Langsamer Leser: Eine kurze Betrachtung des Frühlings

Schreib doch mal was über den Frühling. Meine Frau meinte, ich solle mal etwas Nettes produzieren. Etwas Freudiges. Der 1. Weltkrieg brach am 28. Juli 1914 aus, die Kriegserklärung Deutschlands an Russland geschah am 1. August 1914. Zuvor hatten Nicky und Willy (Wilhelm Zwo) noch Telegramm-Wechsel: dem „lieben Nicky“, wie der Kaiser den Zaren titulierte, wurde nahe gelegt, den Krieg doch zu vermeiden, nachdem Nicky geradezu hilflos Willy die Situation geschildert hatte: Nicht er, das Volk wolle den Krieg.

Wir haben uns, unterstützt von den Medien, angewöhnt, ach was. wir sind sicher, dass an unguten Ereignissen „die da oben“ die Schuld haben müssen. „Wir sind nicht das Weltsozialamt“, heißt es da. Und der Segen kommt von ganz allein, wenn Merkel erst weg ist. Früher hieß es dann, wenn der Karnevalsredner an dieser Stelle angekommen war, „Ufta, Ufta, Ufta, ta“. Die Blaskapelle heizte den Narren heiß ein. Heute hört man an dieser Stelle eher ein „AfD(a), AfD(a), AfD(a), Afd.“. Aber das nur nebenbei. Der Ausbruch des 1. Weltkrieges hat auch gezeigt, dass „die da oben“ nicht mehr anders entscheiden konnten, sonst wäre Ihnen das Volk entlaufen. Und dann beginnt man, um moralisch aufzurüsten, die Unwahrheiten über den anderen zu erzählen. Dann reicht ein „höchstwahrscheinlich“ oder ein „mutmaßlich“, um deutlich aufzuzeigen, was für ein Monster die Gegenseite ist. Da muss man „Gegenschläge“ erwägen und vor dem heißen einen kalten Krieg ins Leben rufen. Mir scheint, wir befinden uns auf diesem Weg. Und wenn ich die Wahlergebnisse in diesem Jahr in Europa sehe, verstärkt sich mein Gefühl eher.

Die gegen eine solche Entwicklung sind, werden gerade zur verschwindenden Minderheit.
Schreib doch mal was über den Frühling, sagte meine Frau. Das ist die Zeit, in der das Tier erwacht. In mir, antwortete ich. Da zeigte sie mir einen Vogel. Wie soll ich denn das nun wieder verstehen?

Die Bundesrepublik hat einen Antisemitismus-Beauftragten ernannt. Das, an und für sich, wäre lobenswert. Aber die Politik fährt hier unter falscher Flagge. Es geht um antiisraelische Vorfälle seitens Kinder und Jugendlichen mit arabischen Wurzeln in deutschen Schulen. Araber sind selber Semiten. Die antiisraelische Haltung ist eben keine antisemitische, sondern resultiert aus der Politik des modernen Israel, die derzeit wieder zu „bewundern“ ist: Am Grenzzaun, an heimlichen Luftangriffen auf ein Land, dem man bisher nicht den Krieg erklärt hat. Sicher gibt es da Diskussionsbedarf. Ich wäre auch dafür, dass Mitglieder der israelischen Botschaft in die Schulen gehen und dort diskutieren. Aber den arabischstämmigen Jugendlichen nun die deutsche Vergangenheit aufzudrücken, ist wirklich mehr als schäbig. Bist du nun endlich beim Frühling? Jetzt wird sie ungeduldig.

Auf dem Wohnzimmerbüfett liegt auf dem Stapel „unbedingt sofort zu lesende Bücher“ zuoberst das von der nicaraguanischen Schriftstellerin Gioconda Belli und dem deutschen Illustrator Wolf Erlbruch „verfasste“ Kinder- und Erwachsenenbuch „Die Werkstatt der Schmetterlinge“, erschienen im Peter Hammer Verlag Wuppertal. Endlich ein unpolitisches, allein der Schönheit in der Welt verpflichtetes und verbundenes Werk. Rodolfo heißt einer der Versager unter den „Gestaltern Aller Dinge“, der unter dem Verdikt der „weisen Alten“ leidet, dass alle wunderbaren Dinge nur unter strengen Regeln zu schaffen seien. Rodolfo aber träumt, ein Wesen schaffen zu wollen, dass „wie ein Vogel und gleichzeitig wie eine Blume sein sollte.“ Die „weise Alte“ schickt Rodolfo und seine Freunde, die ständig über diesen Gedanken abhängen, als Bußübung in die Insektenwerkstatt, die für angehende, junge Designer mit Visionen so etwas ist wie eine Demutsübung in Sibirien. Ganz aus Versehen gestaltet Rodolfo aus einer Maus eine Fledermaus, die es bis dahin noch nicht gab. Er philosophiert mit einem Hund, der auf seinem Platz am Ufer des Sees saß und ihm vom einfachen Leben erzählt. „Ich kann nicht aufhören, darüber nachzusinnen, wie ich ein Wesen erschaffen kann, das fliegt wie ein Vogel und lieblich ist wie eine Blume.“ Der Hund wehrt ab: „Was grämst du dich so?“ ... „Wie es scheint, vermisst doch niemand dieses Ding, an das du ständig denkst.“ ... „Aber ich habe einen Traum, der viel mehr Schönheit und Harmonie in die Welt bringen könnte.“. Unterwegs zu seinem Traum schafft Rodolfo die Libellen. Das ist schon mal ein großer Schritt zum Ziel. Aber es ist eben nicht das Ziel. Manche Designer halten Rodolfo wegen seiner Unbeirrbarkeit für arrogant. Andere machen sich um seinen Geisteszustand Sorgen. Statt Ermutigungen erhält er Warnungen: „’Alle Schönheit ist verletzlich’, rief der Wind ihm zu. ‚Sieh nur, wie die Blüten von den Büschen fallen, sobald ich nur meine Backen etwas aufblase und puste.’“. Nun hat es freilich Rodolfo von Geburt her nicht leicht. Es war sein Großvater, der den Regenbogen erschuf, seine Mutter hatte das Nordlicht designt. Insbesondere der Regenbogen ging ihm nicht aus dem Kopf. Welches Wesen könnte er erschaffen, das dem Regenbogen gleichwertig sein könnte? Sie ahnen es, die Belli hat es ja im Titel vorweg genommen, vielleicht, weil sie die Spannung bereits im Vorfeld lösen wollte, dass der Leser kein Schnellleser wird, sondern sich die wunderbare Poesie dieses kleinen Meisterwerks im langsamen Lesen erschließt. Denn diese Art der Poesie macht etwas mit dem Leser, dass dieser nie mehr entbehren möchte. Versprochen.

Jetzt, wo wieder die Schmetterlinge in der Natur auftauchen, wissen Sie, woher sie kommen und warum sie in all ihrer Pracht da sind. Angesichts all dieser Meldungen in diesem Frühling, all dieser lüs-ternen Kriegstreiberei und dem selbstmörderischen Hang, sich wie die Lemminge um die Populisten dieser Erde zu scharen, um ja rechtzeitig den Abgrund zu erreichen, in den man wieder springen will (und dazu deren Lieblingslied zu singen: Wir brauchen eine Mauer, dass wir uns dahinter im eigenen Volksein wälzen können), ist dieses Buch eine wundervolle Atempause. Ein Buch zum Gefühl, dass es ihn noch gibt, diesen Frühling – und die Sehnsucht nach ihm grenzenlos sein darf.

Im Übrigen bleibt es dabei: Eine Partei kann nicht aus der Tatsache, dass sie demokratisch gewählt worden ist, ableiten, dass ihr Programm demokratischen Inhalts sein muss. Ludwig Schumann

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