Langsamer Leser: Ein offener Brief

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, liebe Angela Merkel,

von Mark Twain stammt dieser wundervolle Satz: „Lasset uns dankbar sein, dass es Narren gibt. Ohne sie könnten wir anderen keinen Erfolg haben.“ Ich habe das durchaus bewundert, wie Sie diesen größenwahnsinnigen und altersstarrsinnigen Bayern in ein Paket gewickelt haben, dem er zustimmen konnte, ohne dass er seinen Plan durchzusetzen vermochte. Ich bewundere auch, dass Sie leise und ohne darauf zu verweisen Ihre Kritiker sich selbst vorführen lassen. Ich denke dabei neben dem Bayern an Herrn Spahn, von dem nun laut wird, dass er schon mal die Fühler ausstreckte zum Koalitionspartner, um nach Ihrem sicher geglaubten Sturz vorbereitet in den Ring treten zu können. Wer Augen hat und Ohren, der sieht und hört, wie die heilige Einfalt, ich spreche von Ihrer Agrarministerin, ihre Ohren gar nicht mehr putzen kann von dem Gezischel der verschiedenen Lobbyisten, deren Ansturm sie offensichtlich als Charmeoffensive, die ihr gilt, missversteht und sich so in aller Öffentlichkeit weiterreichen lässt. Sie verstehen es, ohne jegliche Aufgeregtheit, dass die Dame und die Herren sich in ihren Ämtern selbst entblößen und viele sagen: „Um Gottes Willen, nicht die oder den als Nachfolger auf dem Kanzlerinnenstuhl!“ Man merkt, dass ein anderes Bonmot von Mark Twain nicht stimmt. Er sagte „Gott hat den Menschen erschaffen, weil er vom Affen enttäuscht war. Danach hat er auf weitere Experimente verzichtet.“ Hat er nicht. Siehe Jens Spahn. Die Experimente führten nur nicht zu besseren Ergebnissen. Naja, und Ihr Innenminister, da passt ein Bonmot des Aphorismensammlers Peter E. Schumacher: „Ich kenne Leute, die so engstirnig sind, dass sie mit beiden Augen gleichzeitig durchs Schlüsselloch gucken können.“

Nichtsdestotrotz: Es ist ein gefährlicher Weg, auf den Sie sich begeben. Von der Bundeskanzlerin, die 2015 in Absprache mit anderen Ländern die Grenze öffnete, weil das zu dieser Zeit aus humanistischen Gründen nicht anders ging, bis zu der, die nun schon ganz dicht an ihre bayrischen Hascherl herangerückt ist, was die Abwehr der Flüchtlinge betrifft, ist soviel nicht übrig geblieben. Ich habe Sie für den Satz: „Wir schaffen das!“ geliebt, weil ich ihn so verstanden habe, wie er gemeint war: „Hier kommen jetzt Menschen in ein Land, die willkommen sind, die sich einbringen dürfen und die Freunde haben, die ihnen den Weg in diese Gesellschaft zeigen. Wir integrieren diese Menschen. Wir sind ein findiges, gastfreundliches, fantasievolles, gern Verantwortung übernehmendes Volk. Wir schaffen das!“

Wer hätte zu diesem Zeitpunkt ahnen können, dass es in Deutschland Menschen gab, Beamte, Parteikollegen, die Opposition, die das gar nicht schaffen wollten. Denen das Versinken in der Verzagtheit wichtiger war, als ihren Stolz herauszukehren, ihre Fähigkeit, Dinge zu bewältigen. Die Ihnen den Stolz abkauften, indem Sie Ihnen das Gegenteil von Leis-tungsbereitschaft vor Augen hielten. Nie wäre ich z. B. auf die Idee gekommen, wenn ich vor den Türen im Winter Männer, Frauen, Kinder stehen habe, Mittag Feierabend zu machen und am Montag früh wieder zur Arbeit zu erscheinen, während die Familien draußen sich den Hintern abfroren. Das habe ich in meiner Naivität nicht für möglich gehalten, dass eine deutsche Behörde entgegen dem Kanzlerwort in solcher Weise arbeiten würde wie das BAMF damals.

Man hat Ihnen vorgeworfen, dass Sie nicht „führten“, sondern bloß „moderierten“. Ich frage mich seither, ob ich als gelernter DDR-Bürger von Demokratie nichts verstehe. Ich dachte – und tue das auch heute noch –, dass die der Demokratie zugehörige Kommunikationsmethode die des Moderierens ist. Mit „Führern“ bis hin zu Gerhard Schröder glaube ich nicht, dass wir sonderlich gut gefahren sind, mit Ausnahme dessen, dass er Herrn Bush die Gefolgschaft im Irak-Krieg verweigert hat, was Sie ihm angekreideten.

Ich könnte jetzt jede Menge Fakten aufzählen, die ich anders als Sie bewerten würde. Wo wir, souverän und vom Souverän gewählte Kanzlerin, einen tief greifenden Dissens hätten. Das halte ich freilich aus, weil ich Ihnen drei Großtaten anrechne, in denen Sie nicht „nur“ moderiert, sondern in aller Öffentlichkeit knallhart entschieden haben, obgleich das nach Ihrer Agenda überhaupt nicht möglich gewesen wäre:  Das sind der Abschied von der Wehrpflicht, die ich für überfällig hielt. Das ist die Entscheidung zur Energiewende nach Fukushima und das ist die Öffnung der Grenze 2015. Das sind drei so großartige Momente bundesdeutscher Politik, dass Sie dafür vieles bei mir gut haben.

Muss ich dann noch etwas zu den Armseligen im Geiste sagen, die bis auf ihre „Merkel-muss-weg“-Rufe nicht viel mehr Einendes haben? Was dann? Machen Sie doch, meine Damen und Herren vom undemokratischen Ufer auf, was Sie in der Hinterhand haben, wenn Merkel weg wäre? Ich habe da bis heute nichts gehört. Selbst in der Rentenpolitik sind Sie zwei unversöhnliche Parteien in einer. Also das vernachlässigen wir. Sie haben das neulich sehr souverän im Bundestag demonstriert, wie der rechte Umgang da ist: Kein Wort in Richtung Weidel und deren Luftblasen.

Aber eins darf nicht passieren, was aber unter der Hand schon Usus geworden ist: Die Wertegemeinschaft zieht die Seenotrettungsschiffe aus der Rettung ab, indem sie sie in den Häfen festhält oder von Hafen zu Hafen fahren lässt. Derweil saufen zur Freude von Orban und Genossen Afrikaner im Mittelmeer ab. Deshalb mein Vorschlag, dass den Populisten (ich zähle die CSU dazu), ein Totenkreuz auf den Rücken geklebt wird. Rundherum steht der neue Name, auf den sich die Populistenparteien geeinigt haben (das wäre allein schon ein Wunder): Christliche Flüchtlings-Ersäufnis-Befürworter (CFEB). Mit diesem Namen sollte die CSU in den bayrischen Wahlkampf gehen. Nichts anderes steckt hinter ihrer Politik. Sie sollten sich nicht, Frau Bundeskanzlerin, zur Komplizen dieser Bestrebungen machen lassen! Mit freundlichen Grüßen, Ludwig Schumann

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