Langsamer Leser: Die Fraktion der Totmacher spielt auf

Ich weiß noch, wie meine Vätergeneration auf die Fragen der Vierzehn- bis Sechzehnjährigen reagiert hat: Wart Ihr im Krieg, dass Ihr Euch solche Fragen erlauben könnt? Weißt Du Rotzlöffel überhaupt, wie das ist, in einer solchen Kommandostruktur zu leben? Ihr habt doch nur die große Fresse, weil es Euch heute nichts kostet, uns an den Pranger zu stellen. Und so weiter. Wir waren die Eindringlinge in das große Vergessen, das freilich keines war. Es war eher ein Eindringen in das Dasein der Traumawelt, in der sie damals gefangen saßen, ohne jegliche staatliche Hilfe.

Seltsamerweise brechen diese Erinnerungen auf, wenn ich den konzertierten Aufschrei zweier Generationen höre, denen die Arbeit und die doch ziemlich genaue Beschreibung ihres Anliegens der Gretha Thunberg auf den Senkel zu gehen scheint. Landauf, landab liefert die Presse nach den ersten positiven Statements nun das Material der Generationen, die diese kleine Person als „Chaosanrichter“ ausgemacht hat, ihre Väter- und Großvätergeneration. Die fühlt sich jetzt angepinkelt und schlägt zurück. Statt eines großen Gespräches bevorzugt man, wie man sein Leben immer schon verbracht hat: Man gibt sich als diejenigen, die immer alles schon besser wussten, besser machten und irgendwer hat diese guten Absichten wohl verquer gestellt. Schuldig? Um Gottes Willen. Man sieht doch, wie dumm diese Generation ist: Schwänzt die Schule. Lässt sich im SUV der Eltern zur Demo fahren, sagt die Demo ab, wenn die Klassenlehrerin zu Recht darauf verweist, dass mit der Teilnahme an der Demo auch die Klassenfahrt nach Brasilien verwirkt ist. Auf die Idee, dass eine Klassenfahrt nach Brasilien an und für sich bereits eine Perversion angesichts unserer heutigen Verhältnisse ist, scheint niemand zu kommen.

Da werden nun bergeweise Berechnungen angestellt, welche ökologischen Fußabdrücke Gutmenschentreffen wie in Kattowice hinterlassen. Wie schief muss man denn im Kopf gebaut sein, wenn man all das ins Feld führt, um die Menschheit davon überzeugen zu wollen, dass ein sechzehnjähriges Mädchen in Schweden und all ihre Nachahmerinnen eine durch Dummheit gekennzeichnete Gefahr für eine doch funktionierende Gesellschaft darstellen. Die jungen Leute formulieren lediglich und zu Recht ihre Ängste, nicht im Laufe ihres Lebens noch bei lebendigem Leibe gebraten zu werden. Diese Ängste tragen sie zu Recht in sich. Und wäre es nicht sehr viel geschickter, Herr Prof. Szibor (ja, manchmal sträuben sich mir auch die Nackenhaare, wie Sie das so schön sagten über meine Textbeiträge), Sie strengten Ihre geistigen Ressourcen an, um eine Alternative zu solchen riesenhaften Treffen zu entwickeln? Ich glaube, da gibt es gar keine. Menschen müssen zusammenkommen, um solche immens wichtigen Themen vor- und miteinander zu beraten. Es wäre zu begrüßen, wenn sie zu mutigeren Ergebnissen kämen. Aber die Großväter-Generation Trump, Boris Johnson in Großbritannien, und wie sie alle heißen, verhindern das. Die großen Freunde der weltweiten Industrie, solange sie nicht in der Versicherungsindustrie tätig sind, verhindern das als eine große verschworene Weltgemeinschaft des heutigen schnellen Verdienstes. Und da stehen diese jungen Leute auf und sagen: „Schämt Euch, Ihr alten Säcke! Könnt Ihr wirklich verantworten, was Ihr da möglicherweise Unumkehrbares tut?“

Habt Ihr, die Ihr da so kleinkariert reagiert, dass man sich seiner Generation noch einmal zusätzlich schämen muss, wenn man diese Beiträge liest, bei denen man denken muss, dass auch die Bildungspolitik früherer Generationen eine gescheiterte gewesen sein muss, habt Ihr wirklich noch einmal darüber nachgedacht, unter welchen Bildern diese junge Generation aufgewachsen ist? Der Politikpsychologe Thomas Kliche von der Hochschule Magdeburg-Stendal hat es in einem Gespräch mit dem MDR sehr eindrücklich beschrieben: „Diese jungen Menschen sind die letzten zehn Jahre aufgewachsen mit gesellschaftlichem Nichtstun, politischem Versagen bei den Klimazielen und gleichzeitig jeden Tag mit irgendeiner Nachricht über Umweltkatastrophen, die wir in der Zukunft ausbaden können. Wir haben also diese Plastikstrudel in den Weltmeeren, die inzwischen größer als Europa sind und niemand tut etwas dagegen.“

Wäre es nicht klüger, statt die Jungen mit Häme zu überschütten, weil es auch unter ihnen noch Malle-Reisende gibt, als könne man die Sinnhaftigkeit einer Bewegung nur an der Vollzähligkeit ablesen, ihnen Gesprächsangebote zu machen, nein, nicht um sie ruhigzustellen, sondern im besten Sinne Bildungsangebote auf dem Label Frydays for Future. „Wir reden jetzt von etwas völlig Neuem. Gerade deshalb sind diese Demonstrationen der Jugendlichen ja so wichtig. Wir reden von Bedingungen für Teilen und von Bedingungen für Verzicht. Und das ist eine Frage, die sich den Jungen viel mehr stellen wird als den Älteren.“ So Professor Doktor Thomas Kliche abschließend. Wenn wir schon über Bildung reden in dieser Ausgabe der Magdeburg Kompakt, wäre das nicht ein Anfang, statt Häme-Kübel auszustürzen? Ich glaube, die Generation hat jedes Recht darauf. Wobei es ja nicht ohne Reiz ist, zu beobachten, wer sich wie durch wen getroffen fühlt. Gretha hat es jedenfalls verstanden, die Generationen zu beunruhigen. Schon diesem Teil ihrer Leistung zolle ich einen hohen Respekt. Bei ihren Gegnern vermisse ich diesen Respekt. Vom Asperger-Syndrom bis Redenschreiber müssen Argumente herhalten, ihre Bewegung zu desavouieren. Für die, die sie meinen anwenden zu müssen, ein Armutszeugnis der Sonderklasse. Aber ich glaube, die Totmacherfraktion hat gar keinen Raum zum Schämen, weil sie Schämen als menschliche Reaktion gar nicht kennt. Sie treffen sich alle im Klub der Rechthaber. Bemühen Sie sich gar nicht erst dorthin, er hat wegen Überfüllung geschlossen. Ludwig Schumann

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