Gedanken- und Spaziergänge im Park: Gewolltes Missverstehen

Es ist immer wieder erstaunlich, wenn Politiker über ihre Gefühle nach besonderen Ereignissen sprechen. Sie sind dann: „Zutiefst betroffen, unsäglich erschüttert, unendlich traurig“ oder so ähnlich. Und gehen anschließend flugs wieder zur Tagesordnung über. Mir erscheinen diese Statements unglaubhaft, denn wer so stark fühlt, der schweigt oder stammelt bestenfalls. Es geht ihnen zu flott über die Lippen. Ähnlich ist es bei einem Empörtsein. Dort ist oft eine kämpferische Absicht zu bemerken. Es reicht eben nicht, gegen etwas zu sein, nein, man ist zutiefst empört. Wer empört ist, verwahrt sich dagegen und wendet sich ab, statt sich auseinanderzusetzen. Häufig ist das verknüpft mit einem Missverstehen über das, was gesagt oder geschrieben wurde. Aber nicht dadurch, dass man sich verhört hätte, sondern durch bewusstes Missverstehen. So zum Beispiel, als zwei Landtagsabgeordnete der CDU kürzlich sagten, dass sich ihre Partei sowohl mit nationalen als auch mit sozialen Themen beschäftigen müsse. Da war was los! Sofort wurde den Abgeordneten unterstellt, dass sie das nationalsozialistisch gemeint hätten. Was für eine bösartige Unterstellung, indem man zwei verschiedene und normale Adjektive, die zum Sprachgebrauch gehören, mit Nazibegriffen verknüpfte. Da fällt einem ein Mephisto-Ausspruch ein: „…im Auslegen seid froh und munter – und legt ihr‘s nicht aus, so legt was unter.“ Wobei nach heutigem Sprachgebrauch mit dem „legt was unter“ unterschieben oder unterstellen gemeint ist. Das ist primitiv und lässt auf den Mangel an Argumenten schließen, wenn jedes Wort des politischen Konkurrenten danach untersucht wird, ob es von den Nazis gebraucht wurde. Wohin soll das führen? Vielleicht wird man noch jedem Vegetarier unterstellen, dass er ein verkappter Nazianhänger wäre, denn bekanntlich war Hitler Vegetarier! (Anmerkung für böswillige Kritiker und Missversteher: Das war Ironie!). Wilhelm Busch bemerkte zu solchem Verhalten treffend: „Wer durch des Argwohns Brille schaut, sieht Maden selbst im Sauerkraut.“

Man hat wirklich das Gefühl, dass manche Politiker und Journalisten eine braun gefärbte Brille aufhaben und durch sie die Welt besehen. Das sieht man unter anderem daran, wie manche Kunstkritiker über Maler oder Schriftsteller urteilen. Ein Beispiel aus jüngster Zeit bietet der Kunstkritiker Wolfgang Ullrich, der in der Wochenzeitung „Die Zeit“ dem Leipziger Maler Neo Rauch vorwarf, dass er „Motive rechten Denkens” in seinen Bildern habe und er seine Prominenz bewusst nutze, um „das politische Klima in Deutschland (nach rechts – Anm. d. Verf.) zu verschieben.” Dies gipfelte in folgendem Satz: „Die Distanz zur Gesellschaft lebt man nicht mehr als Bohemien aus, sondern begibt sich in eine Wahlverwandtschaft zu Reichsbürgern, die sich in ihrem Bunker auf die finale Katastrophe vorbereiten.“

Was soll man dazu sagen? Eigentlich ist so viel bösartige Ignoranz nicht zu fassen. Neo Rauch fand eine passende Replik. Er antwortete mit einem Bild. Darauf sieht man in einer engen Dachkammer (die wohl das eingeengte Denken symbolisieren soll) einen Mann auf einem Nachttopf, den Hintern blank, der mit seinen Exkrementen kindlich-krakelig eine Figur malt, die einen Hitlergruß ausführt. Darunter die Initialen W. U., riesig groß, als Ausdruck der Eitelkeit. Der auf diesem Bild „malt“ ist natürlich der Kritiker. Dieses Bild nennt Neo Rauch „Der Anbräuner“. Dieses Wort ist eine Neuschöpfung, eine passende. Wir kennen die Redensart „jemanden anschwärzen“ als Bezeichnung für eine Denunziation. Es ist eine Art des böswilligen, öffentlichen Prangers, der den Angeschwärzten herabwürdigt, sodass er diskriminiert, verachtet und ungestraft beleidigt werden kann. Der Angeschwärzte wird zur gesellschaftlichen Unperson, zum Verstoßenen. So geschieht es analog mit den „Angebräunten“. Mit denen muss man nicht mehr reden, sich auseinandersetzen oder diskutieren. Nein, man lässt sie links – oder besser gesagt, rechts – liegen, verachtet oder hasst sie sogar. Neo Rauch ist nur einer von denen, die man „anbräunen“ möchte. Gleiches geschah dem Leipziger Maler Axel Krause als auch dem Schriftsteller Uwe Tellkamp. Übrigens sind das zwei Personen, die Rauch nachdrücklich in Schutz nimmt.

Für einige ist rechts kein Teil des demokratischen Spektrums. Und konservatives Denken wird mit rechtsextrem, gleich faschistisch, gleich Nazi in eine Linie gebracht. Ein typisches Beispiel dafür ist der Twittersatz einer ARD-Korrespondentin Anfang des Jahres, die auf die Frage „wer ist ein Nazi“ antwortete: „Jeder, der nicht grün wählt!“ Was für eine schlichte, um nicht zu sagen, radikale Weltsicht! Aber so einfach machen es sich solche, die sich bar jeder Selbstkritik auf der richtigen Seite wähnen. Ein Ausdruck für diese Schlichtheit ist ebenso der Satz vom „Kampf gegen rechts“ und dass man den rechten Rand abschneiden müsste. Machen wir ein Experiment: Nehmen wir ein großes Blatt Papier und schneiden einfach den rechten Rand ab. Was haben wir dann? Einen neuen rechten Rand. Das Spiel können wir so lange fortsetzen, bis das Papier nicht mehr vorhanden ist! Anders gefragt: Wo ist rechts? Von der CDU aus gesehen steht die AfD rechts, von der SPD aus sind FDP und CDU rechts. Aus der Perspektive der Linken sind alle Vorgenannten rechts. Und von der marxistisch-leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) – so was gibt es wirklich – steht sogar die Linke rechts. Wenn immer aufs Neue das jeweils rechts Stehende abgeschnitten wird, bleibt nichts mehr übrig. Nach 1933 wurde das schon praktiziert, wenn auch in die Gegenrichtung. Erst wurden die Kommunisten verboten, dann die Sozialdemokraten, dann die weiteren bürgerlichen Parteien und schließlich war nur noch die NSDAP übrig. Aber auch Staaten, wo nur eine einzige linke Partei regierte, gab es zur Genüge und gibt es immer noch. Ein Vorbild sind bzw. waren Einparteienstaaten wahrlich nie.

Was also brauchen wir? Zuhören, versuchen zu verstehen, ohne gleich Bösartiges zu unterstellen sowie sich zusammenzusetzen zum Auseinandersetzen. Paul F. Gaudi

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