Gedanken- & Spaziergänge im Park: Wahlnachlese
Als ich kürzlich mit meinem Freund Gerd die Elbe entlang spazierte, gab es nur ein wichtiges Thema: die Bundestagswahl. Auf meine Frage, was er zur AfD sage, antwortete er: „Ich finde es gut, das sie im Bundestag sitzt.“ Das wollte ich nicht glauben und fragte, ob er sie gewählt habe. „Nein, Du kennst mich, ich bin kein Wechselwähler und wähle immer dieselbe Partei. Ich finde es deshalb gut, weil Deutschland jetzt ein normaler Staat in Europa geworden ist. Es gibt kaum einen europäischen Staat ohne rechte Partei. Aufgrund unserer Vergangenheit, die bei jeder Gelegenheit zitiert wird, war eine rechte Partei quasi ein Tabu. Mehr als 70 Jahre nach Ende der Naziherrschaft sind wir sozusagen erwachsen geworden.“ Mir leuchtete die Argumentation ein. Deutschland erschien immer wie ein Musterschüler, der alles richtig machte, der nie randalierte oder vorlaut war, der nie abschrieb, ständig alle Hausaufgaben ordentlich erledigte und immer saubere Fingernägel hatte, nie gegen Lehrer hetzte, aber manchmal andere Schulkameraden verpetzte. Solche Typen waren noch nie beliebt. Und solch eine Rolle hat Deutschland gewissermaßen in der europäischen Klasse.
Ein parlamentarisches Leben erstreckt sich zwischen links und rechts. Und es ist ein Vorurteil, das mangelnde historische Bildung erkennen lässt, wenn man rechts mit schlecht und links mit gut assoziiert. Auch bei den linken Parteien spricht man nicht von Linksextremisten. Politiker und zum Teil Journalisten tun gerade so, als wäre jetzt der Faschismus ausgebrochen. Das ist nicht der Fall. Eine ähnlich hysterische Reaktion gab es schon 2000, als in Österreich der damalige Bundeskanzler Schüssel mit der FPÖ von Haider eine Koalition einging. In Europa wurde damals über Sanktionen nachgedacht, der damalige Bundeskanzler Schröder war entsetzt. Was ist passiert? Österreich blieb Österreich. Bisher reden die meisten Politiker über die Unmöglichkeit einer politischen Zusammenarbeit mit der AfD. Sie tun so, als wären die von Teilen des Volkes gewählten Politiker Aussätzige. Verbal findet eine massive Ausgrenzung statt, d. h. man tut genau das mit ihnen, was man ihnen vorwirft, dass sie es täten. Im Einzelfall mag das zutreffen, aber Pauschalierung ist falsch. Nun geht der Eiertanz los, wo die Abgeordneten der AfD im Bundestag zu sitzen hätten. Gerd meinte, wenn es nur irgendwie möglich wäre, würde man einen Wassergraben zwischen diese und die anderen Abgeordneten ziehen. Ich erwiderte, das es diese Quarantänebedürfnisse gegenüber der damaligen PDS nicht gab, obwohl es in den Reihen der heutigen Linken mit Hermann Klenner im Ältestenrat ein ehemaliges NSDAP-Mitglied sowie ein einstiger IM sitzt. Es wäre wirklich interessant zu wissen, wie viele der Gedanken AfD-Leute aussprechen, die auch von Mitgliedern anderer Parteien gedacht werden. „Da gibt es ein lustiges Beispiel“, sagte Gerd und zeigte mir einen Stern-Artikel vom 28. September. Da schrieb die Kolumnistin Meike Winnemuth, dass sie den Wahl-O-Mat benutzt habe und am Ende ein Ergebnis bekam, dass sie entsetzte. Demnach müsste sie eine Partei wählen, die „sie noch nie in Erwägung gezogen hätte“ und sie das „Ergebnis in weitem Bogen von sich schleuderte“. Es ist interessant, dass sie Überzeugungen hat, von denen sie überzeugt war, dass sie die nicht haben dürfe. Genau da findet man Gründe für den Erfolg der AfD: Dass diese Partei eben manches ausspricht, was ein Teil der Bevölkerung auch denkt und was vermutlich sogar Politiker anderer Parteien meinen, aber nicht aussprechen dürfen, um nicht von anderen Politikern in die „rechte Ecke“ verbannt zu werden.
In der Gruppendynamik kennt man zwei wichtige Positionen: den Alpha und den Omega. Der (oder die) Alpha ist der Führer der Gruppe. Er ist tonangebend und die meisten anderen Gruppenmitglieder folgen ihm gerne und oft kritiklos. Der (oder die) Omega hat dagegen die Rolle des Prügelknaben. Er eckt immer an und leckt sozusagen wider den Stachel; sagt Dinge, die niemand hören möchte und über die alle ihre Empörung äußern. Gruppenpsychologisch ist es aber so, dass der Omega der Träger der verdrängten und verleugneten Wünsche und Ängste der Gruppenmitglieder ist. D. h. er spricht einfach das aus, was andere Gruppenmitglieder manchmal fühlen und zu ihrem Erschrecken auch denken – aber nicht denken wollen oder dürfen. Diese Erkenntnis der Gruppendynamik sollte uns zu denken geben. In die Politik übertragen würde es bedeuten: diese rechte und bei den anderen Parteien so unbeliebte Partei teilt etwas mit, was dringend der politischen Bearbeitung bedarf und nicht durch Verschweigen, Verteufelung, Beschönigungen und political correctness unter den Teppich gekehrt werden sollte! Paul F. Gaudi