Gedanken- & Spaziergänge im Park: Martin und das Grokodil
Es gibt so viel Schönes und Wichtiges auf der Welt, trotzdem ließ mich das Thema der Großen Koalition und der Koalitionsverhandlungen in den letzten Tagen auf allen Spaziergängen nicht los. Nach der Balkonkomödie der Jamaikaverhandlungen traten nun drei Spitzenpolitiker zusammen, deren Zeit eigentlich schon abgelaufen war, und wollten ihre Macht retten. Seehofer aus Bayern wird als Ministerpräsident von Söder abgelöst, Martin Schulz hatte innerhalb eines Jahres Landtags- und Bundestagswahlen krachend verloren und ist in der Beliebtheitskurve ganz unten und Frau Merkel kämpft um den Machterhalt, um noch einmal weiter regieren zu dürfen.
Während in der CSU die Ablösung erfolgte und bei der SPD der Nachwuchs mit den Hufen scharrt, geht es der Kanzlerin ein wenig besser, da sie rechtzeitig potentielle Kandidaten wie Merz oder Wulff weggebissen oder weggelobt hat. Aber auch ihre Beliebtheit hat seit spätes-tens 2015 mächtig gelitten, sowohl beim Parteivolk wie bei der Bevölkerung. Ausgerechnet diese drei beschädigten Kandidaten hielten bei den Koalitionsgesprächen zusammen nach dem Motto: entweder fallen wir alle oder keiner. Frau Merkel war ihr Amt sogar so teuer, dass sie dafür auf wichtige Ressorts zugunsten der großen Wahlverliererin SPD verzichtete. Das hat die interne CDU-Opposition auf die Palme gebracht, sodass sie sich damit für die Zukunft keinen guten Dienst erwiesen hat. Doch wie das so ist: der Blinde, der Lahme und der Taube kommen zusammen gut durch die Welt. Aber eben nur zusammen! Oder anders ausgedrückt: ein dreibeiniger Hocker steht am stabilsten. So dachte man jedenfalls, bis dann Martin Schulz mit seinem Wunsch, Außenminister zu werden, dem Theater eine neue Krise bescherte. Tragödie oder Komödie? Ausgerechnet Martin Schulz, der vollmundig und für alle im Fernsehen sicht- und hörbar erklärt hatte, dass er niemals als Minister in ein Kabinett Merkel eintreten werde. Schlimmer geht‘s nimmer. Aber wir wissen es ja: der Wille zur Macht ist stärker denn jede Vernunft! Und im Kampf um die Macht nimmt man auch auf altgediente Parteigenossen keine Rücksicht, selbst dann nicht, wenn sie einen erst aufs Ross gehoben hatten.
Dabei hätte man gewarnt sein können. Im Spiegel Nr. 11/13 – ich bin ein gründlicher Leser – sagte Schulz von sich: „Ich schwitze den Machtanspruch ja aus jeder Pore.“ Ganz nebenbei bemerkt: Riecht das nicht etwas unangenehm? Und muss man da häufiger duschen? Man fragt sich heute, warum die SPD gerade ihn auserkoren und mit 100 Prozent gewählt hatte. Mich hatte diese Einstimmigkeit damals misstrauisch gemacht, und ich stellte mir die Frage, wie groß die Verzweiflung dieser Partei wohl insgeheim sein müsse, dass keiner der vielen Amtsinhaber die Verantwortung übernehmen und selber als Spitzenmann in den Wahlkampf ziehen wollte und man sich deshalb eine Lichtgestalt aus Brüssel holte. In einer öffentlichen Diskussion im Deutschlandfunk sagte ein alter SPD-Genosse den denkwürdigen Satz: „Die haben doch nur einen Dummen gesucht, der für sie die Wahl verliert!“ Dieser Satz leuchtet mir sofort ein. Und nun passierte Schulz genau das, was mit solchen geschah, von denen man glaubte, sie könnten über’s Wasser laufen. Schulz wurde ans Kreuz genagelt. Ist er deshalb eine tragische Figur? Nein, er hat nur zu hoch und rücksichtslos gepokert in diesem Trauerspiel. Wäre es ihm gelungen und er wäre Außenminister geworden, so hätte er der SPD den Todesstoß versetzt. Nun erleidet die Partei „nur“ ein langes Siechtum, das von keiner Urabstimmung über den Koalitionsvertrag aufgehalten werden kann.
Die CDU hat keinen Grund, darüber in Schadenfreude auszubrechen, denn ihr wird es nicht anders ergehen, wenn Frau Merkel noch länger an ihrem Sessel klebt. Wäre das ein Trauerspiel? Was hätten wir von einer neuen Groko groß zu erwarten? Wichtige Dinge werden nur sehr vage ausgedrückt. Wo bleibt zum Beispiel das bitter notwendige Einwanderungsgesetz? Oder wann wird über eine Wahlrechtsreform gesprochen? Wir haben jetzt einen Bundestag mit 709 Abgeordneten, davon sind wohl 111 Ausgleichsmandate, also Abgeordnete, die nicht direkt gewählt wurden. Das muss man sich mal vorstellen: der Bundestag ist jetzt größer als beide Kammern der USA zusammen. Und das ist eine Weltmacht! Dafür soll es aber pro Monat 25 Euro mehr Kindergeld geben. Man vergleiche: Laut Rundfunkmitteilungen werden sich die Abgeordnetendiäten – und über deren Entwicklungsmechanismen bestimmen sie selbst – im Juli um etwa 2,5 Prozent erhöhen. Das wären dann knapp 250 Euro pro Monat mehr. Solche Zahlen auf der einen und der anderen Seite sollte man sich ruhig vor Augen halten. Wird sich daran etwas ändern? Kaum, denn – wie ein altes Sprichwort sagt – man darf die Frösche nicht fragen, wenn man einen Sumpf trocken legen will. Aber das ist ein anderes Thema. Zurück zu den sogenannten Volksparteien. Wer hat ihnen eigentlich diesen Begriff zugeordnet? Die bisherige Entwicklung zeigt, dass sie an Bedeutung und an Wählerprozenten immer mehr abnehmen, wobei die SPD zurzeit kaum einholbarer Spitzenreiter ist.
Manch einer macht die AfD dafür verantwortlich. Falsch, die AfD ist nicht Ursache, sondern Folge der Entwicklung. Die Weiter-so-Politik der GroKo nützt vermutlich nur der AfD und Sarah Wagenknechts Vision einer linken Sammlungsbewegung aus enttäuschten SPD-Genossen, Linken und Trittin-Grünen. Aber das ist in Europa nicht anders. Schauen wir uns einmal um: in Frankreich, in Österreich, in Italien haben die sogenannten Volksparteien abgewirtschaftet, sich kräftig verändert oder sind in die Bedeutungslosigkeit verschwunden. Jüngere Politiker mit veränderten Parteien machen dort das Rennen. In Deutschland dauert halt alles nur ein wenig länger, aber das kennen wir vom Stuttgarter Hauptbahnhof, von der Elbphilharmonie, vom Magdeburger Bahnhofstunnel oder vom Flughafen Berlin-Schönefeld. Paul F. Gaudi