Gedanken- & Spaziergänge im Park: Kleb dir eins
Auffallend ist auf unseren Spaziergängen, wenn wir über die Sternbrücke gehen, die große Anzahl von Aufklebern. Aber nicht nur dort, sondern auch an allen Laternen- und Strommasten auf der Sternstraße und um den Hasselbachplatz, vermutlich in der ganzen Stadt. Diese Aufkleber, neudeutsch (denglisch) Sticker genannt, verunstalten die Masten, Brückengeländer, Stromkästen, Parkuhren und anderes. Ein Beitrag für die Kulturhauptstadt Europas sind sie sicher nicht! Gerd und ich betrachten und lesen sie immer sorgfältig und versuchen, ihren Inhalt zu verstehen. Selten ist etwas Humorvolles dabei, an dem wir uns erfreuen könnten. Als feststand, dass der erste FCM in die zweite Liga aufsteigen würde, schwappte eine Welle von blau-weißen Aufklebern über die Stadt. Der Inhalt war nicht weiter aufregend, eher langweilig. Das war durchaus verständlich. Jetzt, nach dem bisher sieglosen Start in der zweiten Liga, ist diese Art von Aufklebern deutlich seltener geworden. Die jetzige Welle beschäftigt sich vielfach mit dem Aufruf zu einer Demonstration Ende Oktober gegen den Braunkohlentagebau im Rheinland. Die politischen Aufkleber sind eine gewisse Konstante, wobei die linken Aufkleber deutlich überwiegen. Die antifaschistische Aktion scheint dabei tonangebend zu sein. Deren Aufkleber sind recht unfreundlich Staat und Polizei gegenüber. Ein Text lautete zum Beispiel: „das Märchen vom guten Polizisten entzaubern. Weder Freund noch Helfer. Gemeinsam gegen Polizeigewalt und Überwachungsstaat“. Oder vom gleichen Herausgeber: „Halt die Fresse, Deutschland“. Das Ganze natürlich mit martialischen Bildern unterlegt.
Häufig sind die Sprüche in englischer Sprache gehalten, zum Beispiel: „hate the state abolish capitalism“, die ganzen Buchstaben vor einem Flammenmeer. Da diese politische Bewegung sich nach eigenen Aussagen für die Armen und Unterdrückten stark macht, die ja laut einiger Politiker von der Bildung ferngehalten werden, ist es nicht ganz zu begreifen, warum man seine Texte nicht in verständlichem Deutsch darstellt. Wie es zum Beispiel ein neuerer Aufkleber, auf dem ein maskierter Mensch dargestellt ist, fordert: „Straße für Straße, Betrieb für Betrieb, nehmt Euch die Stadt für Selbstverwaltung und rebellische Kieze“. Bei vielen Aufklebern geht es immer wieder gegen die Polizei, besonders gern mit der Abkürzung ACAB, die an dieser Stelle nicht erklärt werden soll. Besonders gern werden auch andere Abkürzungen verwendet, zum Beispiel „FCK NAZI“. Es ist anzunehmen, dass jeder weiß, dass die drei ersten Buchstaben einem englischen Wort entsprechen, dass es mit einem anderen Vokal auch im Deutschen gibt und – um es altmodisch auszudrücken – so viel wie Geschlechtsverkehr ausüben bedeutet. Ich weiß wirklich nicht, warum ich aufgefordert werde, Geschlechtsverkehr mit einem Nazi zu haben. Danach stand mir noch nie der Sinn. Außerdem: müsste man im Zeichen der Missbrauchsdiskussion und der #Metoo-Debatte die betreffende Person nicht erst um ihr Einverständnis bitten? Noch schwieriger wird es ja, wenn man aufgefordert wird: „FCK AFD“. Das dürfte alle Manneskräfte übersteigen, mit einer ganzen Partei Geschlechtsverkehr zu haben! Andere Parteien sind von solchen Aufforderungen nicht betroffen. Doch halt, das stimmt nicht ganz. Ein Aufkleber hieß FCK AKP, betraf also die Partei Erdogans. Eine Ausnahme. Auch Aufkleber mit Hammer und Sichel sind manchmal zu finden. Dass das Hakenkreuz, die von den Nazis schändlich missbrauchte uralte Swastika hier verboten ist, ist verständlich und leuchtet jedem ein, ausgenommen er lebt in Indien. Aber Hammer und Sichel sind die Symbole des von Lenin begründeten stalinistischen Staates, wo bis zu Stalins Tod Millionen Menschen gequält und umgebracht wurden. Warum darf dieses Symbol straffrei gezeigt werden?
Alle diese Aufkleber sind übrigens grafisch vorzüglich gestaltet und wenn man ihre Menge betrachtet, muss das doch einen Haufen Geld kosten. Fließen in diese Art von Stadtverschönerung etwa auch Fördergelder für den Kampf gegen rechts? Ich stellte Gerd die Frage, ob es denn keine rechten Aufkleber gäbe, das wäre doch bei dieser Gefahr des drohenden Faschismus eigentlich zu erwarten, oder? Er sagte mir, dass er in seinem Kiez um den Hasselbachplatz herum noch keine gesehen hätte, obwohl er es für möglich halte. Aber, so berichtete er, er habe einmal zwei Aufkleber auf dem Breiten Weg gesehen, wo drauf stand: „hier wurde ein Nazisticker überklebt“. Neugierig wie er ist, hat er vorsichtig unter diese nicht so gut haftenden Aufkleber geguckt und zu seiner Überraschung festgestellt, dass darunter nur harmlose FCM-Bilder waren. Natürlich hatte er die Aufkleber wieder fein befestigt, aber er fragt sich seitdem, ob die, die diese Aufkleber anbrachten, auch ein gewisses Soll hätten und um ihre Planerfüllung kämpfen müssten, so und so viel Naziaufkleber zu überkleben. Und was sollen die Aktivisten dann machen, wenn keine zu finden sind. „Aktivisten?“, fragte ich. „Wieso nicht?“, antwortete er. Naja, als gelernter DDR-Bürger verstehe ich unter einem Aktivisten seit Adolf Hennecke einen Menschen, der sehr viel und sehr hart arbeitet, oft mehr als er eigentlich müsste. Anscheinend hat der Begriff „Aktivist“ seine Bedeutung völlig verändert, so wie er jetzt im Fernsehen und von der Presse gebraucht wird. Bei den heutigen Aktivisten ist nicht ganz klar, was und wie viel sie arbeiten oder ob sie überhaupt einer Arbeit im landläufigen Sinne nachgehen. Denn um zum Beispiel im Hambacher Forst Baumhäuser zu bauen oder Tunnel zu graben, dazu muss man sehr viel Zeit haben, die einem ein normaler Arbeitgeber wohl kaum zur Verfügung stellt. Das nebenbei.
Dann sagte ich zu Gerd, dass ich vielleicht doch kürzlich einen rechten Aufkleber gesehen hätte. Auf einer Parkuhr war ein relativ kleiner Aufkleber, auf dem das mit einem roten Schrägstreifen versehene Verkehrsschild zu sehen war, das mit einem Gesicht von Frau Merkel unterlegt war. Gerd war sich nicht ganz sicher, ob man diesen Aufkleber als rechts einordnen könne. Der könne ja auch von einem unzufriedenen CDU-Mitglied oder einem SPD-Genossen stammen. In der heutigen angespannten Situation der GroKo sei das durchaus möglich. Und schon waren wir bei dem Thema des abgesetzten und beförderten Herrn Maaßen. Ich glaube, die in der Presse und im Fernsehen dargestellte Diskussion geht an der Auffassung vieler Menschen völlig vorbei. Diese fast wochenlange Personaldiskussion interessierte wohl kaum jemanden ernsthaft. Meist fragte man sich, was soll das eigentlich. Da sollte einer gehen, der gesagt hatte, dass er nicht gesehen hätte, was die Kanzlerin gesehen habe. Dann sollte er auch noch beweisen, dass er es nicht gesehen habe. Das ist wohl schwer zu machen, denn man kann nur beweisen, was man gesehen hat, nicht das, was man nicht gesehen hat! Der Eindruck entsteht, dass das eigentliche Vergehen eines erfolgreichen Beamten, der schon unter Otto Schily (SPD) im Innenministerium diente, darin bestand, dass er der Kanzlerin öffentlich widersprochen hat. Große, große Sünde! Es könnte aber auch sein, dass die Affäre Maaßen von dem ablenken soll, was viele Menschen wirklich bewegt: die Toten, die erstochen oder erschlagen wurden; die Arbeit der zuständigen Behörden, die wiederholt Straffällige, die hätten längst abgeschoben werden müssen, immer noch im Lande beließen und dass es dadurch zu Straftaten kam, die eigentlich hätten vermieden werden können, wenn alles nach Recht und Gesetz gelaufen wäre. Der „Fall“ Maaßen wird wie eine Nebelwand vor die wahren Probleme gezogen. So kamen wir auf unserem Spaziergang vom Hundertsten zum Tausendsten und von den Aufklebern zum doch nicht Staatssekretär Maaßen, von dem es noch keinen Aufkleber gibt. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Paul F. Gaudi