Gedanken- & Spaziergänge im Park: Jamaika: Insel der Probleme

Immer wenn ich mal mit Gerd spazieren ging, redeten wir über Gott und die Welt. Bei dem letzten Spaziergang ging es um Jamaika. Kein angenehmes Thema, aber auch kein Wunder, denn nun war es passiert, die Sondierungen geplatzt. Gerd regt sich über das Wort Jamaika besonders auf. „Wer kam nur auf diese Idee, solch eine Koalition Jamaika zu taufen. Ausgerechnet Jamaika, diese Insel, die für ihre Kriminalität, ihre Arbeitslosigkeit, ihre städtischen Slums und ihren Drogenhandel einen miesen Ruf hat. Noch dazu ein Staat, auf dem die Ureinwohner, die Taino und die Kariben als eigene Völker nicht überlebt haben. Das ist keine gute Symbolik.“ Ich erwiderte ihm, dass das ja nur wegen der Parteifarben so benannt wurde. Man hätte eine künftige Koalition dieser vier Parteien ja auch als BuKo – bunte Koalition – bezeichnen können, aber nun wäre es ja egal. Aber mir hingen diese Berichte über die sogenannten Sondierungen zum Halse heraus. Am lächerlichsten waren die Bilder auf dem Balkon, als wären die dort abgelichteten Gestalten die britischen Royals. Aber auch die laufenden Berichte über die Sondierungen, die ohne greifbare Ergebnisse blieben, begannen zu langweilen. Und die Aussagen der jeweiligen Parteivertreter dazu waren auch nicht mehr als heiße Luft. Neue nichtssagende Begriffe wurden geschaffen, die mit viel Pathos in die Welt gesetzt wurden, um Tatsachen vorzutäuschen. So beim Streit um die Obergrenze des Flüchtlingszuzugs der „atmende Rahmen“! Was sollte dieser Unsinn? Atmender Rahmen – das bedeutet wie beim Brustkorb ein Abnehmen und Ausdehnen durch die Atmung. Aber auch der größte Brustkorb hat ein begrenztes Fassungsvermögen. Atmender Rahmen bedeutet letztendlich nichts anderes als eine variable Obergrenze. Eine variable Obergrenze ist aber keine Obergrenze. Was also sollte das für ein Verhandlungsangebot sein? Heiße Luft. Und immer die gequält-dramatische Mimik Cem Özdemirs, als läge die Last der Welt auf seinen Schultern! Und welche klaren Vorgaben oder Erklärungen waren von Frau Merkel zu lesen oder zu sehen? Keine. „Mutti“ sprach, wenn überhaupt, nur hexenmäßig-geheimnisvoll von irgendwelchen „Enden, die man nur noch zusammenbinden müsse“. Aber offenbar gelang weder ein fester Knoten noch eine hübsche Schleife. Lindner muss für alle Seiten als Bösewicht herhalten. Vielleicht ist es Selbstschutz für die FDP? Denn eine Koalition mit einer Kanzlerin Merkel ist wie der Kuss der Spinnenfrau: Die jeweiligen Koalitionäre verlieren deutlich an Kraft, sprich Sitze im Bundestag oder verschwinden sogar ganz aus ihm wie die FDP 2013. Es könnte ein Zeitpunkt kommen, wo man den Verhandlern der FDP noch dankbar ist! Und die SPD ziert sich noch wie die sprichwörtliche „Zicke am Strick“.

Und die Grünen? Da wird Gerd wütend. Nicht, dass er sie nicht leiden könnte. Er hat sie meist gewählt und gehörte früher sogar selbst einmal dazu. Nein, sein Ärger ist die Bezeichnung „die Grünen“. 1989, im Jahr des kläglichen Endes der DDR trat er nämlich dem Neuen Forum bei, das nachher der Gruppierung Bündnis 90 angehörte und bei der ersten Bundestagswahl 1990 des vereinten Deutschlands statt der Grünen im Bundestag saß. Die West-Grünen hatten ja infolge ihrer Verweigerungshaltung die Fünf-Prozent-Hürde nicht bewältigt. Bündnis 90 und die Grünen vereinigten sich dann 1993 zu der Partei Bündnis 90/die Grünen. „Und wo ist das Bündnis 90 jetzt geblieben?“, faucht Gerd. „Schau Dir ihre Internetadresse an: www.gruene.de! Nichts von Bündnis 90 mehr!“ Und auch alle Zeitungen und die Fernsehleute sprechen meist nur von den Grünen.

Aber zurück zum versunkenen Jamaika. In den Aussagen der Pressesprecher wurde so getan, als sei der Versuch dieser bunten Koalition die einzige Möglichkeit, die deutsche Gesellschaft nicht zu spalten! Was für ein Anspruch! Als ob eine Spaltung der Gesellschaft überhaupt zur Debatte stände. Die Gesellschaft eines Staates ist kein homogener Block, sondern fächert sich politisch auf zwischen rechts und links. Das ist in der Demokratie so und zutiefst demokratisch. Keiner redet darüber, dass es vor allem um Macht geht. Denn ohne Macht nützen auch die schönsten Ziele nichts. Parteien sind natürlich nicht uneigennützig, darüber sollten wir uns im Klaren sein! Es geht auch um Ministerposten. Und wer Minister ist, der kann auch Parteifreunde als Staatssekretäre einstellen oder mit ihnen höhere Beamtenstellen besetzen. Da geht es um viel Geld und gute Renten bzw. Pensionen. Daher kann natürlich der Wille, eine kaum mögliche Koalition zu schaffen, größer als das Bestehen auf hehren Parteizielen, von denen behauptet wird, dass sie unverzichtbar seien, sein. Auch in der Politik menschelt es sehr. Deshalb sind Neuwahlen sehr unwahrscheinlich. Denn wer erst an den Fleischtöpfen der Demokratie angekommen ist möchte ja diesen Platz nicht gleich wieder gefährden. Wem das zu hart ausgedrückt ist, der denke doch nur einmal an solche Vorhaben wie eine große Steuerreform, eine Wahlreform oder ein vernünftiges Einwanderungsgesetz, also Ziele, die vor jeder Wahl angekündigt wurden und nach Ende der Legislaturperiode weiter auf der Warteliste schmoren. Z. B. die Wahlreform: Mit jeder Wahl wird der Bundestag größer. Jetzt hat er schon 709 Abgeordnete (2009 622, 2013 631). Zum Vergleich: Der Kongress der USA hat 435 Abgeordnete, dazu kann man noch 100 Senatoren rechnen, also insgesamt 535 Volksvertreter. Und das ist eine Weltmacht im Gegensatz zu Deutschland. Ferner das Einwanderungsgesetz: ein brandheißes Thema. Es ist nicht zu begreifen, dass immer nur von Flüchtlingen (nach neuerer Sprachregelung Flüchtende) gesprochen wird, wo doch eigentlich klar ist, dass es hier drei Gruppen gibt: die Asylsuchenden, die nach unserem Grundgesetz einen Anspruch auf Schutz vor politischer Verfolgung haben, zweitens Kriegsflüchtlinge, die einen befristeten Aufenthalt bekommen und drittens Zuwanderer, die hier ein besseres und zukunftssicheres Leben suchen. Die Ziele der dritten Gruppe sind verständlich, aber für diese Gruppe braucht man ein Einwanderungsgesetz, so wie das Einwanderungsländer wie die USA, Kanada oder Australien, um nur einige zu nennen, haben. Das ist seit zig Jahren bekannt – und nichts wurde bisher getan, um Lösung zu schaffen. Auch jetzt hörte man bei den Sondierungsgesprächen nichts von einem Einwanderungsgesetz. Was ist, wenn in Syrien und im Irak im nächsten Jahr weitestgehend Frieden herrscht? Und welche Vorschläge gab es in einer etwaigen Koalition für eine 100-prozentige Funktionsfähigkeit des BAMF, damit überhaupt erst einmal wirklich alle Flüchtlinge erfasst und registriert werden? Bislang liest man in Pressemitteilungen nur von einem rechten Durcheinander mit diversen Auswüchsen, dass man in manchen Fällen weder das Alter noch die Herkunft des Flüchtlings kennt und es auch von ihm nicht erfährt. Und das in einem Land, das für seine Bürokratie berühmt ist und oft genug dafür verspottet wurde. Paul F. Gaudi

Zurück