Gedanken- & Spaziergänge im Park: Echo ist tot!
Die Nymphe Echo war laut der griechischen Mythologie unsterblich in Narziss verliebt – der ein Sinnbild für Eitelkeit und Selbstverliebtheit ist. Insofern kein schlechter Name für einen Künstlerpreis. Eine andere Überlieferung aber berichtet von der Liebe des Pan zu ihr, die sie jedoch nicht erwiderte. Vergeblich versuchte er sie zu bekommen, bis er zuletzt in seiner Leidenschaft die Hirten so rasend machte, sodass diese die arme Echo zerrissen, deren Glieder seitdem in alle Welt zerstreut sind. Wie passend zum Ende des Echo-Preises vor wenigen Wochen.
Wenn man für Pan den Götzen der politischen Korrektheit und für seine Hirten die Journalisten, das Fernsehen und die Politiker einsetzt, die plötzlich wie verabredet über den Echopreis herzogen. Zugegeben, mich hat der Echopreis nie interessiert und ich habe auch nie eine Übertragung mit seinen Verleihungen gesehen. Aber die Aufregung über die Verleihung an Kollegah und Farid Bang hat mich doch sehr gewundert. Da kam das Wort Auschwitz in einer Zeile von insgesamt 52 Zeilen im Text vor. In diesem Zusammenhang war das Wort weder diskriminierend, gehässig oder rechtsextrem gebraucht, sondern es ging ausschließlich um den Körper der „Künstler“ und ihre Tätowierungen. So war es zu verstehen und ich wundere mich, wer daraus etwas anderes lesen kann. Noch mehr setzt mich aber in Erstaunen, dass es allein das Wort Auschwitz war, das die Empörung auslöste. Wenn man sich überwindet und den ganzen Text liest – die Überwindung von Ekel gehört dazu – dann gäbe es in den ganzen übrigen 51 Zeilen viel mehr, um sich zu empören. Der ganze Text, wie auch die Texte der anderen Rap Songs sind so massiv gewaltverherrlichend, frauenfeindlich, sexistisch, schwulenfeindlich und brutal, dass wirklich wichtigere Gründe beständen, um seinen Widerwillen und seine Empörung zu äußern. Das ist aber nicht neu und auch seit Jahren bei nahezu allen Rappern so.
Meine große Verwunderung ist, dass das bislang niemanden gestört hat, bis das Reizwort Auschwitz auftauchte. In meinen Augen ein Armutszeugnis der Kritik. Wenn man all seinen Widerwillen überwindet, seinen guten Geschmack beiseite stellt und die Texte dieser beiden Rapper und auch die der anderen einmal liest, dann zeigt sich eine extreme Verwahrlosung der Sprache. (Verwahrlosung darf man sagen? Oder ist das auch ein Nazi-Wort? Ich glaube nicht.) Aber der Verwahrlosung der Sprache geht natürlich immer eine Verwahrlosung des Denkens voraus. Und die entsteht aus einer Verwahrlosung der Erziehung und der Umgebung. D. h. Der Boden, in dem diese brutalen und widerlichen Texte wurzeln, liegt in der Gesellschaft. Also sind hier die ganze Gesellschaft und die von ihr gewählten Volksvertreter in den Städten, den Ländern und des Bundes gefragt. Ist das übertrieben? Ich glaube nicht. Man schaue sich nur in manchen Stadtvierteln der größeren Städte um, z. B. in Magdeburg in einigen Straßen der Neuen Neustadt. Nur wenig wird getan, um die Ursachen zu bekämpfen. Es wird Kosmetik betrieben durch häufigeres Kommen der Müllabfuhr und durch gelegentliche runde Tische, die als Pseudoaktivitäten die Bevölkerung beruhigen sollen und bei denen zumeist diejenigen nicht anwesend sind, über die die Klagen geführt werden. Auch die Krawalle am Hasselbachplatz zeigen das. Das gibt es in größeren Maßstäben auch in nahezu allen großen Städten, in Berlin, in Duisburg und anderswo. Hier muss man anfangen und natürlich auch in den Schulen, wo es gilt den Anfängen der Brutalität, des schlechten Benehmens, der widerwärtigen Ausdrucksweisen energisch und konsequent entgegenzutreten. Jedes Darüberhinwegsehen ist keine Toleranz oder Achtung vor dem Andersartigen, sondern nur Gleichgültigkeit oder Vogel-Strauß-Politik!
Man sollte außerdem noch bedenken, dass der Echopreis vor allem die belohnt, die die höchsten Verkaufszahlen erreichten. Er ist gewissermaßen also das Ergebnis einer Volksabstimmung. Am meisten beunruhigen aber sollte uns, dass diese Verwahrlosung des Denkens und des Sprechens sowie Gleichgültigkeit darüber schon so große Ausmaße hat.
Daher wirkt die lauthals vorgetragene Empörung, die nach wenigen Tagen wieder abebbte, wie das kurzzeitige Hämmern oder Sägen an der Spitze eines Eisbergs; der viel größere Teil unterhalb der Oberfläche wird dadurch nicht tangiert. Symbolpolitik, weiter nichts. Dafür gibt es mancherlei Beispiele. Erinnern wir uns noch an die Demonstration vieler führender Weltpolitiker in Paris am 11. Januar 2015 nach dem Anschlag auf die satirische Zeitschrift Charlie Hebdo? Auf den ersten Aufnahmen in der Presse und im Fernsehen sahen wir, dass die vielen Politiker an der Spitze eines Demonstrationszuges von Millionen Franzosen Arm in Arm marschierten. Am nächsten Tag zeigten die Fotos aber, dass die Politiker sich lediglich in einer Nebenstraße, weit genug entfernt von den Demonstranten, aufgestellt hatten und nach dem Fototermin schnell wieder in ihre Karossen stiegen und davon fuhren. Symbolpolitik und Falschmeldung zugleich. Spöttisch könnte man sagen, dass die Politiker eine Demonstration demonstrierten.
Ein weiterer Ausdruck solcher Symbolpolitik ist die kürzlich erfolgte Aktion „Berlin trägt Kippa“. Gut abgeschirmt durch die Polizei trafen sich zusammen mit Berliner Juden Vertreter der Politik und der Kirchen mit der Kippa auf dem Kopf und sprachen große Worte gegen den aufkeimenden Antisemitismus in Deutschland. Anders erging es drei mutigeren Demonstranten in Berlin-Schöneberg, die ohne Polizeischutz mit Kippa und Israelfahne auf einem Platz standen und sehr bald von nicht so wohlmeinenden Mitbürgern vertrieben wurden. Und kaum einer dieser Politiker spricht diese aktuelle Quelle dieses neuen Antisemitismus und der Israelfeindlichkeit an. Dass sie nämlich aus dem muslimischen, türkischen und vor allem arabischen Raum kommt. Wie will man ihrer Herr werden, wenn man nicht an die Familienlegenden der arabischen Familien über Israel und die Juden oder an manche Moscheen – wohlgemerkt nicht alle (!) – herankommt? Da ist es doch viel einfacher, von einem Antisemitismus in Deutschland zu sprechen in der nicht unberechtigten Erwartung, dass die Deutschen sich wieder bereitwillig das Büßerhemdchen überstreifen. Aber vielleicht sollte man an den kürzlich erfolgten, überspitzten Ausspruch von Karl Lagerfeld erinnern: „Man kann nicht, selbst wenn Jahrzehnte dazwischen liegen, Millionen Juden töten, um anschließend Millionen ihrer schlimmsten Feinde kommen zu lassen“. Paul F. Gaudi