Gedanken- & Spaziergänge im Park: Der Pranger

Kürzlich sah ich im Fernsehen die Verleihung des Golden Globe. Erst war ich erstaunt: alle Damen kamen in schwarz, um damit ihre Solidarität mit der #metoo Aktion zu demonstrieren. Aber dann musste ich laut lachen und konnte nur noch mit dem Kopf schütteln. Ja, fast alle waren schwarz gekleidet, aber wie! Da gab es das kleine Schwarze, aber vor allem auch lange Abendkleider. Und die waren raffiniert. Da war manchmal das Oberteil nur aus Spitzen oder zeigte viel vom schönen Busen und die langen Röcke waren manchmal fast bis zur Hüfte geschlitzt. Es wurde schwarz und sehr viel Haut gezeigt. Dem eigentlichen Anliegen sprach dieser Anblick Hohn. Schön, verführerisch und sexuell aufreizend waren diese Schauspielerinnen anzusehen. In meinen Augen doch eigentlich das ganze Gegenteil von Abwehr der Verführung, sondern Verführung pur. Ich weiß nicht, ob nur ich es so gesehen habe. Ich bin ein Mann, alt und weiß und gehöre damit zu der Gruppe der alten weißen Männer, die an allem Unglück der Welt schuld sein sollen und mit deren Aussterben die Welt dann goldenen Zeiten entgegen geht.

In meinen Augen greift die Fixierung dieser me-too-Bewegung zu kurz: es geht in Wirklichkeit nicht um sexuellen Missbrauch, sondern um Machtmissbrauch! Und dieser Machtmissbrauch ist sehr vielfältig und nicht nur sexueller Natur, da ist das Erzwingen von Sexualität nur ein Teilaspekt. Dieser Missbrauch der Macht wird nicht nur von Männern an Frauen sondern auch von Männern an Männern und auch von Frauen an Frauen und Männern begangen.

Der Film „Der Teufel trägt Prada“ illustrierte das sehr treffend. Die Macht missbrauchenden Frauen sehen zwar anders aus als die entsprechenden Männer, handeln aber ebenso hart und unnachgiebig wie diese. Machtmissbrauch gibt es im Berufsleben, wenn Vorgesetzte die Abhängigkeit der Untergebenen und Mitarbeiter für besondere Leistungen, Mehrarbeit, Gehaltseinbußen o.a. ausnutzen. An Hochschulen und Universitäten, wenn die Arbeiten von Studenten oder Assistenten für die Karriere des Institutsdirektors benutzt werden. Besonders in der Politik spielt der Machtmissbrauch eine große Rolle, denn hier geht es immer um die Macht. Dabei will ich gar nicht von der massenweisen bösartigen Machtausübung in Diktaturen, wie z.B. in der DDR, reden, wo vielen Menschen erpresserisch das Rückgrat gebrochen werden sollte, um den eigenen politischen Willen auszuschalten.

Aber wenn auch heutzutage ein Parteivorsitzender oder auch eine Parteivorsitzende potentielle Nachfolger oder Konkurrenten nicht hochkommen lässt und sie wegbeißt. Wer mit aufmerksamen Augen die Tagespolitik betrachtet, findet genügend Beispiele dafür.

Da könnte man schon einmal die Frage stellen, ob der vielleicht einmalige sexuelle Missbrauch durch einen Regisseur oder Filmproduzenten – den es auch nicht zu entschuldigen gilt – doch vielleicht eine Nummer kleiner ist als der Machtmissbrauch durch eine Politikerin, Chefredakteur oder Direktor bzw. Direktorin, der manchmal eine ganze Laufbahn zerstören oder aber zumindest erheblich behindern kann, vielleicht auch zum Berufs- oder Ortswechsel führt. Durch diese sexuell getönte Debatte wird leider alles Erotische und Spielerische zwischen den Geschlechtern beschädigt. Diese Meinung vertreten auch viele namhafte französische prominente Frauen in einer Unterschriftenaktion, in der sie sich gegen diese einseitige und simplifizierende Debatte wenden. Solche Gesichtspunkte spielen aber für verschiedene Ideologinnen keine Rolle, da für sie das Geschlecht wunderbarerweise allein durch die Sozialisation bestimmt werde! Eigentümlicherweise reden sie nicht über den vielfachen Machtmissbrauch an Afrikanerinnen aus Nigeria, die, wie der Spiegel berichtete, illegal nach Europa geschleust werden, um dann hier von einer afrikanischen Mafia als rechtlose Prostituierte ausgebeutet zu werden. Kein Thema für diese Frauenrechtlerinnen?

Leider bringt diese Diskussion aber auch wieder etwas zum Leben, was im Mittelalter häufig angewendet wurde und von dem man glaubte, dass es das nicht mehr gäbe. Den Pranger! Wobei der mittelalterliche Pranger noch harmlos war gegen den heutigen. Damals wurden Menschen an den Pranger gestellt, die man einer Tat überführt hatte – zumindestens mit hoher Wahrscheinlichkeit. Heute ist das anders. Der Pranger steht nicht mehr auf dem Marktplatz, sondern der Pranger sind die Medien – Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen. Menschen werden wegen eines Verdachtes an diesen Pranger gestellt. Ich will nicht behaupten, dass die Anklagen in jedem Fall falsch wären, aber sie sind weder bewiesen noch gab es ein Verfahren noch wurde ein Urteil gesprochen. Und das in einer Zeit, die sonst immer akribisch auf den Täterschutz besteht! Da werden gewöhnlich die Namen nicht genannt, auch nicht die Nationalität und das Gesicht wird auf den Abbildungen unkenntlich gepixelt oder mit einem schwarzen Balken versehen. Bei den nach sehr vielen Jahren (!) behaupteten sexuellen Übergriffen ist das aber völlig anders. Hier wird nicht gefragt, ob es wirklich ein Übergriff war und ob das alles so der Wahrheit entspricht. Der Beschuldigte kann zu Recht oder Unrecht das Gegenteil behaupten und sogar eidesstattlich erklären, dass da nichts gewesen wäre – das ist jetzt nutzlos selbst wenn es wahr wäre, denn die Behauptung ist in der Öffentlichkeit und oft wird das Lebenswerk des „Täters“ dadurch zerstört. Und das alles ohne den Nachweis einer Tat!

Alle Medien beteiligen sich daran ohne Skrupel! Und das ist nicht nur die sogenannte Boulevardpresse, nein, auch solche scheinbar ehrenwerten und intellektuellen Organe wie das „Zeitmagazin“ oder „Spiegel-online“  – ich bin ein gründlicher Leser – beteiligten sich an dieser Hatz, wie zum Beispiel im Fall des Regisseurs Wedel. Was treibt die Journalisten zu solchem Tun, frage ich mich. Hat sie der Fall Kachelmann nicht vorsichtiger gemacht? Wie gesagt, ich will keine Täter in Schutz nehmen – aber ein solcher Pranger vor jeder Beweisaufnahme und vor jedem Urteil ist schlimmer, auch in seinen Folgen für den angeblichen Täter, als es der mittelalterliche Pranger war.

Mit dem Begriff des Täters sind wir bei einem weiteren Missstand unserer Zeit: dem primitiven binären Denken, das nur schwarz und weiß kennt bzw. Täter oder Opfer. In Diskussionen im Fernsehen oder der Presse wird viel zu wenig differenziert, sondern es heißt nur pro oder contra. Mir fällt an dieser Stelle die Novelle von Franz Werfel ein: „Nicht der Mörder, sondern der Ermordete ist schuldig“. Werfel stellt darin dar, wie der ermordete Vater durch seine ständige Quälerei des Sohnes diesen zu seinem Mörder gemacht hat. Das rechtfertigt die Tat nicht, aber es erklärt sie. Auch in der Antike beschäftigt sich das Drama des Ödipus genau mit diesem Problem. Es ist ein uraltes menschliches Problem, das nicht mit dem primitiven Schwarz-weiß-Denken gelöst werden kann, das heute so viele Polemiken beherrscht. Wer so schlicht denkt, will sich die komplizierte Welt so einfach denken, damit er sich darin zurechtfindet oder – was noch schlimmer ist – sie zu seinen Zwecken zu benutzen oder vielleicht sogar zu missbrauchen. Paul F. Gaudi

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