Gedanken- & Spaziergänge im Park: Blühende Laternenmasten

Auf dem Wege zum Park sah ich, dass die Laternenpfähle angefangen haben zu blühen. Ich meine: an ihnen sind jetzt Wahlplakate befestigt. Das erste war das Konterfei des SPD-Kandidaten Lischka, dessen Bild schon drei bis vier Wochen vor den anderen zu sehen war. Ob er glaubt, dass ein möglichst frühzeitiger Start auch das beste Ergebnis bringt? Man weiß es nicht. Darunter aber steht der Satz: „Voller Einsatz“. Was meint er nur damit? Ist es eine Aufforderung an uns, dass der Bürger den vollen Einsatz bringen soll? Oder dass er mit vollem Einsatz für seine Wiederwahl kämpft? Oder dass wir gar den vollen Einsatz in einer Spielbank setzen sollten? Das bleibt leider offen.
Bei diesen schlichten zwei Worten aber stellte sich mir die Frage: Ist das nicht auch Populismus? Einfach zwei Worte als ein Schlagwort in den Raum zu stellen, ohne genau zu sagen, was man damit eigentlich meint. Ich denke, in Wahlkampfzeiten sind die meisten dieser Sprüche rein populistisch. Alle Wahlkämpfer gebrauchen einfache Phrasen, die man manchmal so oder so ausdeuten kann.
Das meinte wohl auch Ralf Dahrendorf, als er  2007 schrieb: Populismus ist einfach, Demokratie kompliziert. Auch der Vorwurf des Populismus ist häufig selbst nichts weiter als populistisch. Populist ist immer der andere! Manchmal wird das Adjektiv populistisch auch durch Redakteure oder Politiker nahezu automatisch vor bestimmte Parteien oder Gruppierungen gesetzt, oft noch mit einer Richtungsangabe. So ist sehr häufig von der „rechtspopulistischen AfD“ zu lesen. Da frage ich mich, warum mit der gleichen Berechtigung nicht von den „linkspopulistischen Linken“ gesprochen wird? Und warum steht es fast jedes Mal vor dem Kürzel AfD?  Diese ewige Wiederholung ermüdet, man spürt die Absicht und ist verstimmt. Für wie dumm und unbelehrbar werden die Leser gehalten, wenn man ihnen das immer wieder suggerieren will? Offensichtlich wird mit dem Adjektiv populistisch eine Abwertung gemeint. Aber warum eigentlich?
„Populus“ bedeutet lateinisch das Volk. Und populistisch wäre dann etwas, das so ausgedrückt wird, dass jedermann es verstehen kann. Und das sei schlecht? Oder gar rechts? Schon Luther sagte, dass „man dem Volk aufs Maul schauen solle“, das heiß sich einer für alle verständliche Ausdrucksweise bedienen solle. Es bedeutet aber nicht, das man dem Volke nach dem Maule reden soll! Aber es gibt nicht nur populistische Reden, sondern auch solche Taten. Da fällt mir beispielsweise ein, dass sich im Oktober 2015 etwa 120 Politiker der Linken und der Grünen publikumswirksam auf der Spree vor dem Bundestagsgebäude für eine gute halbe Stunde auf ein großes Flüchtlingsschlauchboot begaben – natürlich mit Rettungswesten bei rund einem Meter Wassertiefe – um das Elend der Mittelmeerflüchtlinge zu demonstrieren und nachfühlen zu können. Sahra Wagenknecht, Petra Pau, Simone Peter fotogen am Bug.
Der jetzt kommende Wahlkampf wird eine Hoch-Zeit des Populismus sein. Von allen Seiten werden uns einfache Formeln serviert werden wie z. B. das Schlagwort „soziale Gerechtigkeit“, unter dem sich viele etwas völlig verschiedenes vorstellen. Ein Beispiel nur, um nicht dauernd die viel zitierten Manager zu bemühen: Ist es sozial gerecht, dass manche Fußballspieler Millionen im Jahr nur dafür verdienen, einen Ball in ein grob gewirktes Netz zwischen zwei Pfählen zu treten? Was ihnen übrigens auch nicht mal immer gelingt. Ist das deshalb sozial gerecht, nur weil das kein Politiker benennt, sondern lieber die Manager vorführt, die im Gegensatz zum Fußballer manchmal die Verantwortung für zig Tausende Arbeitsplätze haben?
Jemanden als Populisten zu bezeichnen, bedeutet aber auch noch etwas anderes: Es kanzelt ihn ab, es diskriminiert ihn, man geht nicht weiter auf seine Argumente ein, sondern schmeißt mit dieser Bezeichnung die Botschaft des anderen gewissermaßen ungeöffnet in den Papierkorb. Die Stärke einer gesunden Demokratie steckt aber in der Debatte von Ideen, nicht im Ausschluss oder der Verleugnung bestimmter Ideen. Vielleicht kann man es kaum besser sagen als es Frank Meyer im „Cicero“ (Juli 2017) schrieb: „Die einzige Gewissheit des Demokraten besteht darin, dass in der Demokratie alle Fragen gestellt werden, die Antworten darauf  bestreitbar und deshalb vorläufig sind. Das ist die Dialektik des Fortschritts, das ist das Erfolgsrezept der westlichen Zivilisation. Und Populisten, rechte wie linke, stellen jene Fragen, die von anderen nicht gestellt wurden, verdrängt wurden, unterdrückt wurden. Demokratie ist die Kultur der Fragen in einer Welt von endgültigen Antworten.“
Wenn Politiker andere Politiker als Populisten bezeichnen bzw. diskriminieren, so steckt wohl auch eine beträchtliche Angst vor dem anderen und um die eigene Pfründe dahinter. Der „Populist“ bzw. die „populistische“ Partei ist immer ein erfolgreicher Mitbewerber und Konkurrent, sonst würde man ihn wohl kaum beachten. Was aber die diesbezüglichen gegenseitigen Vorwürfe betrifft – da könnte man in Abwandlung eines Aphorismus von Kurt Tucholsky sagen: Nichts ist lächerlicher, als wenn Populisten Populisten Populisten nennen! Paul F. Gaudi

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