Gedanken- & Spaziergänge im Park: Bilderstürmer

Allmählich werden die Gebiete, die der „Islamische Staat“ in Syrien und im Irak besetzt hat, immer kleiner. Das rief mir wieder die Nachrichten in das Gedächtnis, die über die Zerstörungen von Kunstdenkmälern, Bauten und Plastiken durch die Islamofaschisten vor längerer Zeit zu sehen und zu hören waren. Die Empörung in der Welt war groß über die Geschehnisse in Palmyra, ebenso wie nach der Zerstörung der riesigen Buddhastatue durch die Taliban in Afghanistan im Jahre 2001. Diese Empörungen geschahen zu Recht. Leider gehören aber Bilderzerstörungen zur Geschichte der Menschheit seit dem Altertum. Und sie sind wahrlich – leider – nicht nur ein Phänomen des militanten Islams.

Auch das Christentum war spätestens nach seiner Anerkennung als Staatsreligion sehr fleißig im Zerstören sogenannter heidnischer Bauwerke und Denkmäler. Die Zahl heidnischer Tempel im alten römischen Reich, die zerstört wurden, deren Marmor und Mosaiken für christliche Kirchen entfernt wurden, dürfte in die Tausende gehen. Die Christen waren in diesem Punkte damals nicht zimperlicher als die Islamisten heute. Auch bei der Wiedereroberung des südlichen islamischen Spaniens im 15. Jahrhundert wurden nahezu alle islamischen Gotteshäuser, Moscheen, zerstört. Eine der wenigen Ausnahmen: die Mezquita in Cordoba. Diese war mit 23.000 m² eine der größten Moscheen. 1523 baute die Kirche eine riesige Kathedrale mitten in diese Moschee hinein. Wir mögen das heute als schlimm empfinden, aber dank dieser christlichen „Schutzimpfung“ hat diese gewaltige Moschee überlebt und ist nicht abgerissen worden. Über die massenhafte Zerstörung indianischer Bauten und Dokumente durch die Spanier nach der Eroberung Mittel- und Südamerikas könnte man Bände schreiben. Es war der Versuch, den indianischen Völkern ihre Geschichte und Identität zu rauben und er ist nahezu gelungen.

Mit Beginn der Reformation begann eine neue Welle des Bildersturms über Mitteleuropa herein zu brechen. Die Bürger der Städte stürmten viele bis dahin katholische Kirchen und entfernten und vernichteten Heiligenbilder, Statuen von Heiligen und zum Teil auch Altäre. Auch großflächige Bilder an den Innenwänden wurden zumeist entfernt, sodass die protestantischen Kirchen im Gegensatz zu den katholischen heutzutage meist unbebilderte Innenwände haben. Aber bei genauer Betrachtung sieht man in manchen Kirchen an verschiedenen Stellen noch Farbreste. Die Französische Revolution war nicht besser. Nach der Ermordung des Marat wurden zur „Sühne“ viele Bilder der königlichen Gemäldesammlung des Louvre verbrannt. Und am 1. August 1793 erging vom Konvent die Anordnung, sämtliche Königsgräber in der Kathedrale von Sankt Denis und anderen Kirchen zu öffnen und zu zerstören. Sterbliche Überreste wurden in einem Massengrab verscharrt. Ein krasses Beispiel aus neuerer Zeit ist auch die sogenannte „Kulturrevolution“ während der Diktatur Mao Zedongs 1966 bis 1976, in der fanatisierte Massen, meist Jugendliche, Tempel, Kulturschätze und alte Bücher vernichteten.

Nun könnte man ja annehmen, dass in zivilisierten und demokratischen Gemeinschaften diese Bilderstürmerei ein Ende haben würde. Das ist aber offensichtlich ein Irrtum. Entsprechende Nachrichten kommen aus den USA. Die Medien informierten uns über schlimme rechtsextremistische Zusammenrottungen und Gewalttaten in Charlottesville. Aber etwas wurde bei diesen Nachrichten nur ganz leise und am Rande erwähnt: der Anlass dieser extremistischen Aufmärsche. Es sollte nämlich das Denkmal des in den ganzen Südstaaten verehrten Generals Lee entfernt werden – wie in anderen Orten auch. Dieser General war ein hervorragender Heerführer der Südstaaten bei den Sezessionskriegen 1861 in den USA. Und nun sollte er gewissermaßen zur Unperson werden. Die politische Korrektheit meinte, dass er keine Ehrung verdient habe, weil er der Heerführer der Staaten war, die gegen die Abschaffung der Sklaverei waren. General Lee war aber ein sehr begabter Militär, der auch von Präsident Lincoln hochgeschätzt wurde, denn dieser hatte ihm zuerst die Heerführung der Nordstaatenarmee angetragen. Das nahm Lee aber nicht an, da er nicht gegen seine engere Heimat kämpfen wollte. Die Begründung dieser modernen Denkmalstürmer für die Entfernung ist: er habe einer Sklavenhaltergesellschaft gedient.

Nun frage ich mich, wann wird man auch die Denkmäler von George Washington entfernen, denn auch der erste Präsident der USA besaß Sklaven! Teilte man früher in der öffentlichen Meinung die Menschen in Opfer und Täter ein, wobei es noch eine große Gruppe von Mitläufern und Unbeteiligten gab, so gibt es heute noch eine neue Gruppe: Nämlich die der selbstgerechten Richter, die sich infolge ihrer späten Geburt in der komfortablen Lage befinden, dass sie weder an den Missetaten der Täter noch an den Leiden der Opfer beteiligt waren. Aber ihre Selbstgerechtigkeit gibt ihnen die Chance, sich unheimlich gut zu fühlen und sich über die Altvorderen zu erheben. So nimmt dieser Denkmalsturm in den USA auch Columbus in das Visier. Schließlich sei er der Haupttäter, meinen sie, denn ohne seine Fahrt nach Amerika wären alle indianischen Völker nicht nahezu ausgerottet worden.

Da ist natürlich etwas Wahres daran. Aber die, die das so lauthals fordern, dass die Denkmale des Columbus in den Städten entfernt und entsprechende Straßen umbenannt werden müssten, diejenigen sind meistens Weiße oder Afroamerikaner, die letzten Endes die Nutznießer der Vertreibung und der fast völligen Vernichtung der nordamerikanischen Indianer sind. Sie leben, wohnen und arbeiten auf dem Boden, der früher den Indianern gehörte. Wenn sie ihre Forderungen also auch nur halbwegs ehrlich meinen würden, dann müssten sie eigentlich ihre Koffer packen, ihre Wohnungen auflösen, sich nach Europa bzw. Afrika zurück begeben und den freien Platz den Indianern zur Verfügung stellen! Aber so weit geht die Liebe natürlich nicht bei diesen selbstgerechten Richtern. Man will nur besonders gut sein, aber es darf einen nichts kosten! Warum denke ich jetzt so viel über Amerika nach? Es ist doch weit genug weg. Aber was heißt in unserem Informationszeitalter schon weit? Bis jetzt ist noch jede Dummheit aus den USA zu uns über den Atlantik geschwappt. Und davor ist mir angst und bange, denn diese spätgeborenen und selbstgerechten Richter sind auch in Deutschland reichlich vertreten. Paul F. Gaudi

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