Wer manipuliert?

In jeder medialen Wiedergabe von Geschehnissen finden sich Einordnungen und Urteile. Je nach eigenem Verständnis werden diese zurückgewiesen oder angenommen. Manchmal sogar als Manipulation abgestempelt. Ein einordnender Deutungsversuch.

Der Begriff Manipulation kommt aktuell schnell über die Lippen, wenn Medien kritisiert werden sollen. Von „Mainstream-“ oder „Staatsmedien“ ist dann oft die Rede. Gemeinhin wird damit jedoch entweder eine verkürzte Wiedergabe eines Geschehens oder eine pauschalisierende Beurteilung dessen verbunden. Wir würden doch alle manipuliert und für die Interessen der Mächtigen gefügig gemacht. Es geht um die Einflussnahme auf Menschen, bei der laut Definition die Annahme einer Meinung, Ware oder Dienstleistung durch die Zielperson zu deren Nachteil führen kann. Da professionelle Medien wie Fernsehen, Radio, Zeitungen oder Onlineangebote nach wie vor zum überwiegenden Teil die Informationsverbreitung bestimmen, stehen diese im Fokus jeder Missbilligung.

Die Medienmechanismen sind jedoch komplexer, als sie auf den Manipulationsbegriff zu reduzieren. Dennoch bedarf es einer grundlegenden Revision des Journalismus und dem Selbstverständnis seiner Akteure. Als die britische Premierministerin Theresa May nach dem Giftgasattentat in Salisbury auf den russischen Ex-Doppelagenten Sergej und Julia Skripal sofort Russland an den Täter-Pranger stellte, wiederholte sich dieser Vorwurf gebetsmühlenartig auch in deutschen öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten und großen Tageszeitungen. In der Tagesschau kommentierte jemand Kamerabilder mit der britischen Regierungschefin May und einer größeren Menschenmenge im Hintergrund mit den Worten: „Die Menschen spüren, dass ihre Premierministerin sie beschützen will.“ Was die Menschen spüren, weiß niemand als jeder, der dort anwesend war. Ganz abgesehen von den unbewiesenen Vorwürfen gehört so ein Satz in keine Nachrichtensendung. Doch „spüren“, „hoffen“, „bangen“ oder andere Worte über Gemütsregungen perlen allabendlich aus den Lautsprechern des TV-Gerätes.

Brisanter ist die Verwendung politisch einordnender Begriffe. Von Diktatoren, Autokraten, Terrormilizen, Seperatisten hört man am laufenden Band. Komplizierte internationale Verflechtungen, historisch langwierige Prozesse spalten sich in der Berichterstattung verkürzt und rasant in die Guten und die Bösen auf. Der russische Präsident Wladimir Putin fällt heute vielfach nur noch in die Schublade des autokratischen Herrschers, der manipulativ seinen Machterhalt sichert und sich nicht zu schade ist, russische „Staatsmedien“ – dort erscheint die Bezeichnung wiederum angemessen – dafür einzusetzen. Manche Ankündigung Donald Trumps irritiert sicher vielfach, vor allem wenn es jüngst um „Strafzölle“ geht, die den weltweiten Handel ins Wanken bringen könnten. Das Wort „Handelskrieg“ und schlimmer noch der Begriff „Krieg“ bestimmen fast schon inflationär jegliche Berichterstattung und werden mit einfältiger Leichtigkeit verwendet. Obwohl sich kein Mensch in eine Schublade stecken lassen möchte, gehört die Schubladisierung zum Tenor jeglicher Nachrichtenverbreitung. Ist das tatsächlich Ausdruck von Manipulation oder doch eher ein Indiz für eine Kapitulation vor einer komplexer werdenden Welt bzw. vor der Unfassbarkeit tausendfacher Einordnung innerhalb einer Informationsexplosion?

„Journalisten müssten ein Geschehen einordnen“, lautet eine häufig dahergebetete Formel. In diesem redaktionellen Selbstverständnis liegt eher die Wurzel der aktuellen Medienkritik begraben. Im Onlinezeitalter mit seinem unerschöpflichen Quellenreichtum und einer Infomationskanalflut wirken verknappte Bestimmungen mehr verstörend als aufklärend. Es scheint so, als sei in vielen Redaktion noch nicht richtig verinnerlicht, dass sich das öffentliche Informationsmonopol aufgelöst hat und Inhaltsverbreitung heute nicht allein auf den Schultern professioneller Presseorganen ruht. Gerade Medien, die fortwährend mangelnde Digitalisierungsfortschritte anprangern, bemerken offenbar nicht, dass sie in einem sich selbstorganisierenden Kommunikationsmeer langsam ertrinken.

Mit rührseliger Einfalt wird der eigene Bedeutungsverlust verdrängt. Als könne man den David gegen ein Millionenheer an engagierten Nachrichtentransporteuren aufbegehren. Es bleibt auch häufig der Eindruck hängen, als ob man Zuschauern, Hörern oder Lesern die Dinge besonders profan servieren müsste, weil sonst deren Rezeptionsvermögen überstrapaziert werden könnte. Diese Vorstellung grenzt schon an Arroganz und verkennt einerseits, dass die Gesellschaft in der Summe ihrer Individuen über ein viel größeres Wissenspotenzial verfügt als einzelne Journalisten oder kleine Redaktionsteams und andererseits blendet sie wegen demografischer Effekte aus, dass die Zahl reiferer Informationskonsumenten, denen man nicht mit schlichten Einordnungen begegnen kann, zunimmt.

Natürlich unterbreiten Medien inhaltliche Formate mit Hintergründen, Differenzierungen und schlüssigen Betrachtungen. Oft gehen diese jedoch in nachrichtlichem Gewittern über besondere Ereignisse unter. An dieser Stelle muss der Blick von Medien auf Nutzer geworfen werden. Wenn man überhaupt von Manipulation reden wollte, geht dies nicht, ohne auf die Wechselwirkung von Sender und Empfänger zu verweisen.

Es liegt in unser Natur auf Außergewöhnlichkeiten zu schauen. Alles, was sich über Alltägliches erhebt, ist betrachtungswert und wird schließlich zum Mitteilungsbedürfnis. In der Zeit vor dem Internet und dem Vormarsch sozialer Medien gingen Nachrichten einen eindimensionalen Weg zum Mediennutzer. Das ist ein für allemal vorbei. Das Interaktionspotenzial wächst ständig. Wer heute Ansprüche auf Wahrheitswiedergabe erhebt, gehört ins Reich von Absurdistan.

Leider sind die schärfsten Widersacher eines angestaubten journalistischen Selbstverständnisses in ihrer Kritik nicht besser als jene, die an die Informationshoheit der Presse glauben. Sie drehen den Spieß einfach um und schlagen mit ähnlich hölzernen Prügelstöcken einer Generalabrechnung zurück. Unter dem Strich ist dies auch nur ein Manipulationsversuch, um die Deutungshoheit über politische Einordnungen zu erlangen.

Der US-Präsident Trump gibt hierfür ein gutes Beispiel ab: Waren doch allen voran die USA Motor der Globalisierung, von Freihandel und Wegbereiter für grenzenlose Kapitalflüsse. Wenn Trump nun mit dem Finger auf China zeigt, um damit auf den unfairen und übermächtigen Marktakteur aufmerksam zu machen, gleicht die Reaktion Goethes Ballade vom Zauberlehrling, der die Geister, die er rief, nicht mehr los würde. Noch kurioser ist die politische Verurteilung des Präsidenten von links, also von jenen, die in der Vergangenheit grundsätzlich gegen grenzenlose Wirtschaftsmechanismen protestiert hatten.

Über alles wächst die Erkenntnis, dass in wenigen Minuten TV-Berichterstattung und ebenso wenig in ausführlichen Zeitungsartikeln Geschehnisse in ihre Verästelungen mit kulturhistorischen, internationalen, politischen und wirtschaftlichen Aspekten erklärt werden können. Eine Einordnung kann heute nur dem neugierigen, wissensdurstigem Geist des Empfängers gebühren, nicht aber den Nachrichtensendern.

Gleichsam sollte man sich immer wieder bewusst machen, dass die Ausbreitung einer Nachricht nicht nur in enger Abhängigkeit ihres Erstverbreiters steht, sondern genauso vom Potenzial der verbreitenden Gemeinde beeinflusst wird. Manches Ereignis erscheint dadurch exorbitant schwerwiegender als es manchmal für tatsächlich Beteiligte jemals war. Insofern darf ein Manipulationsvorwurf nicht nur vom Inhalt bzw. Wortgebrauch abgeleitet werden. Er muss selbstkritisch in der eigenen Art und Weise der Verbreitung gesehen werden. Wer Unterlegenheitsgefühle spürt, mangelndes Selbstvertrauen besitzt oder Angst hat, lässt sich leichter von Botschaften täuschen und ist damit leichter manipulierbar.

Im Übrigen könnten jene, die die größte Angst vor Manipulation haben, einfach ihren Informationskonsum – auf welchem Kanal dieser auch immer ausgelebt wird – einschränken. Der Boden muss schon fruchtbar sein, wenn Manipulation darauf Früchte erzeugen wollte. Die meisten fühlen sich schließlich klug genug, um selbst nicht in eine Manipulationsfalle tappen zu können. Diese Annahme könnte schon durch Manipulation hervorgerufen worden sein. Was jeder wie in seinem Verstand verarbeitet, fußt auf verinnerlichtem Wissen – das natürlich niemals vollständig sein kann – sowie eigener oder vermittelter Erfahrungen. Jeder hat hier seine Grenzen, auch Medienarbeiter. Selbstkritisch öfter das eigene Unvermögen über Einordnungen herauszustellen, würde Pressevertreter oft glaubwürdiger erscheinen lassen. Und nehmen Sie mir, liebe Leserinnen und Leser, bitte ab, dass mir bewusst ist, dass vorstehende Einordnung nur ein waghalsiger Versuch sein konnte. Thomas Wischnewski

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