Satirisiert sich die Gesellschaft?

Mit der „Magdeburger Zwickmühle“ bringt Kabarettist Hans-Günther Pölitz seit 21 Jahren politische Satire auf die Bühne. In der medialen Welt ist das Angebot an humoresker Unterhaltung offenbar unerschöpflich geworden. Erleben wir einen Zeitgeist hin zu einer satirisierten Gesellschaft? Thomas Wischnewski wollte dazu die Sicht des Satirikers erfahren.

Herr Pölitz, durchforstet man die Fernseh- und Radioprogramme laufen auf allen Sendern zahlreiche Sendungen aus den Genres Satire, Comedy und Klamauk. Einerseits mag der Satire eine große Kraft bescheinigt werden. Sonst gäbe es wohl nicht so viele Satiresendungen. Andererseits frage ich mich, ob nicht Ernsthaftigkeit, Respekt und eine gewissenhafte Auseinandersetzung mit wichtigen Themen der Zeit unter die Räder kommen.
Wenn es doch wenigstens alles Satire wäre. Da müssen wir schon die Spreu vom Weizen trennen. Wo hört sie auf? Wo fängt sie an? Nicht alle Sendungen, die da laufen – selbst, wenn sie unter dem Label laufen – sind wirklich Satire. Es ist von Humor bis Ulk alles dabei. Wie wollen wir denn die Satire definieren?

Eine Abgrenzung sollten wir wenigstens einmal versuchen.
Spätestens seit Böhmermann weiß ja jeder, was Satire ist, nur die Satiriker offensichtlich nicht. Jedes Gericht kann festlegen, was Satire ist. Wenn man, wie ich, Satire als eine Kunstform begreift, die Personen und gesellschaftliche Zustände kritisiert, dann fallen schon manche Sachen durch das Raster. Schillers Definition von Satire lautet: Satire ist die Kritik daran, wie weit die Realität vom Ideal entfernt ist.

Wer ist dafür verantwortlich, dass das satirische Metier derart ausgehöhlt und zerfasert ist?
Natürlich schadet man der Satire, wenn sie inflationiert wird. Frei nach dem Motto von Wilhelm Busch: „All zu viel zerreißt den Sack.“ Letztlich nimmt dann das Interesse ab. Wenn ich sehe, wie Comedy und Satire als Synonyme verwandt werden. Das ist eine elendige Vermischung und führt zu einem Brei. Es wird dem Betrachter überlassen, was er als Satire oder Humor sehen will.

Nun, wir lachen ja von Natur aus gern. Da steckt doch eine Wurzel für politische Satire drin. Man sagt auch, wenn die Zeiten schlecht sind, wird mehr gelacht. Kann das eine Ursache für die Flut sein?
Man kann doch ernsthaft nicht ertragen, was in der Welt so los ist. Da sind wir gleich bei Karl Marx, der da sagte, wir müssen von unserer Geschichte lachend Abschied nehmen. Und wenn wir davon ausgehen, dass der Kapitalismus noch nicht das Ende der Menschheitsgeschichte ist, dann nehmen wir derzeit ganz schön lachend davon Abschied.

Aber was macht das aus Menschen, die permanent Spaßiges konsumieren? Besteht nicht die Gefahr, dass ernsthafte Botschaften gar nicht mehr ankommen?
Das ist durchaus zu befürchten. Es gleicht sich doch alles mehr und mehr einem Mainstream an. Darunter verschwindet auch das eigentliche Anliegen der Satire. Das beredete Beispiel ist doch die Geschichte des Scheibenwischers. Von einer wirklich prononcierten, hochklassischen politischen Satiresendung von Dieter Hildebrand wie das immer weiter mutiert ist bis zu einer heutigen Ansammlung von Comedians, die sich über alles Mögliche unterhalten. Mit politischer Satire hat das nichts mehr zu tun. In den klassischen Satiresendungen wurden solche Sachen wie der Donaukanal oder die Atomkraft thematisiert. Da ging es wirklich um existenzielle Probleme, die mit dem Mittel der Satire beispielsweise einen Franz-Josef Strauß kritisierten. Der schaltete sich dann ein und forderte sogar die Abschaltungen dieser Sendungen. Das findet man im Fernsehen eigentlich nur noch in einer Sendung, und das ist aus meiner Sicht „Die Anstalt“. Da wird noch recherchiert. Sachverhalte werden offenlegt. Es wird mit Namen und Hausnummern gearbeitet. Und neu daran ist, dass sich hier ein journalistisches Kabarett etabliert. Hier werden Hintergrundinformationen in einer famosen Art und Weise in Satire umgesetzt. Alles andere ist ziemlich austauschbar. Da tauchen überall dieselben Leute auf, die heute beim NDR erzählen, was sie morgen beim WDR zum Besten geben und eine Woche später beim Bayrischen Rundfunk. Das ist nur noch Entertainment.

Nehmen wir noch mal Marx: Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Wenn also Sein viel öffentlicher Klamauk ist, was macht das mit dem Bewusstsein der Zuschauer? Ich habe den Eindruck, der Respekt vor politischen Argumenten weicht sich auf.
Es ist ja nichts gegen das Lachen an sich zu sagen. Lachen ist immer auch eine Überlebensstrategie. Unter allen gesellschaftlichen Umständen wird gelacht, um sich das Leben erträglicher zu machen. Man spricht ja nicht umsonst vom Totlachen. Man kann auch eine Sache totlachen. Und das könnte auch die Satire sein.

Vielfach wird proklamiert, dass es uns eigentlich gut geht. Aber ist die heutige Spaßgesellschaft vielleicht auch ein Ausdruck für Dekadenz? Statistisch fassen wir einen Rückgang von Arbeitszeit und eine Zunahme von Freizeit, die letztlich von einer riesigen Freizeitindustrie gefüllt wird, Urlaub, Reisen, Sport, Musik, Entertainment und Lachen.
Es war doch früher ähnlich. Ich suche gern nach historischen Vergleichen. Im Moment sehe ich eine Art Tanz auf dem Vulkan. Die Parallelen zu den 1920er Jahren, als Kabarett- und Kleinkunstläden wie Pilze aus dem Boden schossen, als man sich nach dem 1. Weltkrieg wieder amüsieren wollte. Das war doch Ablenkung, um sich nicht mit den Problemen der Massenarbeitslosigkeit auseinandersetzen zu müssen. Davon hat unsere Zeit doch auch etwas, eine Ablenkung von den eigentlichen Ereignissen. Der ganze Zirkus um eine Regierungsbildung lenkt doch davon ab, dass es gar nicht notwendig sei, ein Paar Marionetten zu installieren. Wo es lang geht, bestimmen doch die Konzerne. Die Politik gestaltet die Gesellschaft doch nicht mehr.

Müsste man über den Zeitgeist der Satirisierung der Gesellschaft nicht einmal ein politisch-satirisches Programm machen?
Da sind wir seit 21 Jahren dabei.

Bei der Flut an politischem Kabarett, wird es da nicht schwerer, sich auf die Suche nach Themen zu machen?
Das ist in der Tat schwerer, weil doch jedes Thema in irgendeiner Weise schon bearbeitet ist. Eigentlich suchen wir nur nach neuen Interpretationsformen. Das wie zu DDR-Zeiten, da änderten sich die prinzipiellen Probleme auch nicht und so versuchte man in jedem Programm eine neue Variation zu Bekanntem zu finden. Nach der Wende war es die spannendste Zeit, weil sich quasi täglich etwas änderte. Jetzt sind wir wieder an einem Punkt, dass sich Probleme aufgestaut haben. Als Kabarettist fällt mir dann auf, dass ich das alles schon mal so oder so gesagt hatte. Wir könnten das Programm „Spiel ohne Grenzen“ von 1991 heute komplett wieder auf die Bühne bringen.

Kann Satire denn Visionen schenken oder kann sie nur kritisieren?
Satire kann sich nur mit dem Bestehenden auseinandersetzen und das Denken für Visionen freimachen. Das beste Beispiel waren doch die unsäglichen „Jamaika-Gespräche“ von CDU, FDP und den Grünen. Wenn Vegetarier und Kannibalen an einem Tisch sitzen, wie sollen die sich denn auf ein gemeinsames Menü einigen? In dem sich die Vegetarier verpflichten nur noch fleischfressende Pflanzen zu essen? Und die Kannibalen nur noch pflanzenfressende Vegetarier? Wie kann da jemand erwarten, dass dabei eine Regierung herauskommt?

Muss Satire ernsthafter werden?
Satire ist eine ganz ernsthafte Angelegenheit, damit sie den Leuten Spaß machen kann.

Bedarf es also doch einer besseren Abgrenzung zwischen politischer Satire und anderen humoresken Genres?
Abgrenzung ist doch immer ein zweischneidiges Schwert. Wo ist dies innerhalb von Musik möglich, beispielsweise zwischen ernster und Unterhaltungsmusik? Ist Johann Strauß schon U-Musik oder ist er noch E-Musik? Die Grenzen von Satire sind fließend. Sie hängen einerseits vom Schöpfer ab, ob er seine Kritik mit Anmotzen äußert – was ich nicht unbedingt als Satire empfinde – oder ist sie aus dessen Sicht eine Möglichkeit, Entwicklungsstränge bloßzulegen und Fragen zu stellen, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Da sind wir wieder beim Beispiel Böhmermann. Jeder sagt etwas anderes dazu. Dann ruft man ein Gericht an. Doch wie können Gerichte Kunst beurteilen? Aus meiner Sicht war das nicht unbedingt Satire, sondern eher eine justiziable Beleidigung.

Also war das Anrufen eines Gerichtes durchaus gerechtfertigt.
Dann kommt aber der Ruf: das ist doch Meinungsfreiheit. Meinungsfreiheit ist aber etwas anderes als Satire.

Möglicherweise liegt aber genau darin das Problem, weil Meinungsfreiheit und Satire vermischt werden.
Jeder legt es so aus, wie er es für sich zurechtgelegt hat. Es wird gern Kurt Tucholsky zitiert: „Was darf Satire? Alles!“ Ich füge dem immer noch hinzu: Wenn es gut gemacht ist.

Vielleicht darf man dann doch schlussfolgern, dass ein Trend zur Satirisierung in der Gesellschaft dazu führt, dass sich ein Abgrenzungsverständnis zwischen satirischer Überspitzung und realistischem Verständnis bzw. der Ernsthaftigkeit, sich mit Problemen auseinanderzusetzen, auflöst?
Ja gut, aber wir dürfen doch zwischen Satire und Schenkelklopfen kein Gleichheitszeichen setzen. Bei Satire darf es einem auch kalt den Rücken herunterlaufen. Satire ist eben nicht unbedingt nur eine Belustigungsform. Von daher unterscheidet sie sich vom Humor und von der Comedy.

Wird es unter der Flut komischer Inszenierung schwieriger, das ernste Fach politischer Satire aufrechtzuerhalten?
Für echte politische Satire wird es heute in der Tat schwerer, weil über allem die Nazi-Keule schwebt bis hin zur AfD. Von der werden doch auch Probleme aufgegriffen, die wir auf der Kabarettbühne behandeln. Wo ist denn jetzt der Unterschied? Der liegt in der Art und Weise, wie man die Probleme löst. Sicher nicht auf dem Rücken von Flüchtlingen, weil die Ursachen woanders liegen. Aber es passiert Satirikern, dass sie in die rechte Ecke gestellt werden, in die sie gar nicht wollen, nur weil sie Probleme äußern, die beispielsweise bei Pegida ausgesprochen wurden.

Welchen Mechanismus sehen Sie dahinter? Hat das etwas mit Machterhalt zu tun?
Ich denke schon. Man kann jede Kritik damit verteufeln. Das ist es doch, warum Pegida und AfD überhaupt erst entstanden sind. Viele haben sich doch gar nicht mehr wahrgenommen gefühlt. Und die Geister, die ich rief, werde ich jetzt nicht mehr los, weil politisch mit Arroganz und Diffamierung reagiert wurde. Genauso wenig darf man sich in einer Demokratie verweigern, nun mit Leuten zu reden, die gewählt wurden. Wo findet denn die Auseinandersetzung mit der AfD statt? Die äußert sich dann darin, dass man nicht neben ihnen sitzen will und dass Anträge einfach abgelehnt werden, anstatt sich mit ihnen auseinanderzusetzen.

Bietet die Nähe zum Publikum vor der Bühne ein besseres Gespür, ob die eigenen Botschaften beim Publikum ankommen als wenn Programme über den Bildschirm flimmern?
Jeder ist erst einmal glücklich über seine satirische Schöpfung. Letztlich sind doch unsere Werke nichts prinzipiell Neues. Deshalb haben wir in unserem jüngsten Programm „Wir bringen uns in Form“ diese allgegenwärtige Selbsteinschätzung drin, die schon Goethe dem Publikum per „Faust“ auf´s Auge gedrückt hat und die sich bei uns so anhört:
„Solang wir schreiten nur im engen Bühnenhaus
Den ganzen Kreis der Schöpfung aus,
So wandeln mit bedächt´ger Schnelle
Wir vom Himmel durch die Welt zur Hölle.“
Also, so lange man nur Pointen drechselt, ist nie was Nützliches geschehen, wenn nicht endlich mal etwas passiert. Wir versuchen doch auch nur, mit dem Schmetterlingsnetz Elefanten zu fangen.

Finden wir noch zu einem Bewusstsein, dass man nicht mehr über alles lachen sollte?
Es wäre das Schlimmste, wenn man nicht mehr lachen kann. So lange man noch über ein Problem lacht, hat es einen nicht selbst bewältigt oder heruntergedrückt …

… Und am Ende ist man zufrieden mit der Flut an Unterhaltungsangeboten und bleibt eben lieber sitzen und lässt sich weiter bespaßen.
Genau deshalb möchte ich, dass wir besser zwischen Humor, guter Laune und politischer Satire unterscheiden.

Glauben Sie, dass Sie da jemand erhört?
Das weiß ich nicht. So lange ich auf der Bühne stehen werde, versuche ich, dass es das Publikum hört. Was die Zuschauer damit machen, entzieht sich unseren Einflussmöglichkeiten. Aber es wäre falsch, sich ohnmächtig zurückzuziehen.

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