Rückkehr der Urzeitkrebse

Dr. Fritz Rothe (Mitte) zeigt seinen Fang zwei Urzeitkrebsexperten. Fotos: privat

Die Spuren der zerstörerischen Kraft des Frühjahrshochwassers der Elbe im Jahr 2006 waren in Magdeburg noch deutlich sichtbar: ausgewaschene Wege und angespültes Treibgut entlang des Flusses. Doch mit dem Wasser kam auch Leben. In den zahlreichen Tümpeln, die als Reste der großflächigen Überschwemmungen zurückblieben, tummelten sich Wasserflöhe, Larven von Wasserkäfern, von Libellen und Mücken sowie gelegentlich auch ein Teichmolch. „Man muss schon etwas genauer hinschauen, um das Besondere zu finden“, sagte der Magdeburger Biologe Dr. Fritz Rothe, dem der Überraschungsfund des Jahres 2006 gelang: der Nachweis eines Urzeitkrebses, genauer des seltenen Frühjahreskiemenfußes (wissenschaftlich: Lepidurus apus). Diese bis etwa 3 cm langen Tiere, die ein Rückenschild tragen und zu den Blattfußkrebsen gehören, leben im Frühjahr am Grund flacher Tümpel. In fast allen großen Überschwemmungsresten entlang der Elbe im Magdeburger Stadtgebiet, von Randau im Süden bis zum Herrenkrug/Wiesenpark im Norden, konnten diese urzeitlich anmutenden Krebse damals beobachtet werden. Und ihre Anmutung trügt nicht. Sind sie doch fast „baugleich“ mit einer Krebsart, die seit mehr als 350 Millionen Jahren auf der Erde lebt und im Sommer auch bei uns zu beobachten ist, dem Sommerkiemenfuß (wissenschaftlich: Triops cancriformis).

Wie schafften es diese „lebenden Fossilien“, so lange und von der Evolution praktisch unberührt bis zum heutigen Tag zu überleben? Ihr Trick ist ihre Spezialisierung auf den Extremlebensraum „Tümpel“. Tümpel gab es auch schon vor 350 Millionen Jahren. Und in ihnen hatten und haben bis heute die Kiemenfußkrebse kaum Feinde zu gewärtigen. Damit die Krebse unter diesen Extrembedingungen überhaupt leben können, bedarf es jedoch zwei entscheidender Anpassungen: Einerseits müssen die Tiere unter bestimmten Umständen die viele Jahre dauernden Trockenperioden zwischen zwei Hochwassern einschließlich Hitze und Frost überstehen. Andererseits muss nach einer Überschwemmung die Entwicklung der Krebse rasch vorangehen, denn schon nach wenigen Wochen fallen die Tümpel allmählich trocken. Zur Überbrückung der Trockenperioden legen die Krebse besondere Eier, sogenannte Dauereier, die etwa einen halben Millimeter groß sind und die auch unter härtesten Bedingungen vermutlich dutzende von Jahren überdauern können. Werden diese Dauereier im Frühjahr durch Hochwasser oder starke Niederschläge überschwemmt, dann schlüpfen aus ihnen in den so entstandenen Tümpeln innerhalb weniger Tage Larven, die in zwei Wochen zu geschlechtsreifen Weibchen heranwachsen. Mit dem Erreichen der Geschlechtsreife beginnen die Weibchen sofort mit der Eiablage. Sie tun das auch ohne die Anwesenheit von Männchen, von denen in Deutschland bisher nur wenige gefunden wurden und deren biologische Bedeutung unklar ist.

Fünf Frühjahreskiemenfüße auf einen Streich.

Die vormals letzten bekannten Magdeburger Nachweise des Frühjahreskiemenfußes stammten aus dem Jahr 1907 vom damaligen Kustos des Naturkundemuseums Dr. Willy Wolterstorff. Im Jahr 2006 gelang im Stadtgebiet auch der Nachweis einer zweiten, ebenfalls seit 99 Jahren in Magdeburg verschollen geglaubten Krebsart, mit dem deutschen Namen „Frühjahresfeenkrebs“ (wissenschaftlich: Eubranchipus grubii). Er ist zwar mit dem Frühjahreskiemenfuß verwandt, trägt jedoch keinen Rückenschild und ist ein Vertreter der ebenfalls auf Tümpel spezialisierten Feenkrebse. Frühjahresfeenkrebs und Frühjahreskiemenfuß werden deshalb auch nicht selten gemeinsam im selben Gewässer beobachtet.

Die damaligen Funde der Urzeitkrebse kamen gerade rechtzeitig, denn sie fielen mit der Vorbereitung des im April 2007 am Museum für Naturkunde durchgeführten ersten deutschlandweiten Symposiums über diese interessanten Krebstiere zusammen. Deren Organisatoren, der Leiter des Museums, Dr. Hans Pellmann, und Professor Dr. Mario Engelmann, deuteten die Rückkehr der Kiemenfußkrebse nach Magdeburg nach fast 100 Jahren als ein gutes Zeichen für den Erfolg ihrer Tagung. Und tatsächlich: die erste Tagung verlief so erfolgreich, dass im Jahr 2013 die nächste, die zweite, stattfand. Und in diesem Jahr wird die dritte Tagung folgen. Unter dem Dach des Naturkundemuseums treffen sich am 13. April in Magdeburg diejenigen, die sich in Deutschland für die Biologie der Urzeitkrebse interessieren und deren Lebensräume erhalten wollen. Die sind bedroht, denn Bodenvertiefungen, die nur vorübergehend Wasser führen, werden bislang bei Planungen und Eingriffen in den Naturraum kaum berücksichtigt. Die diesjährige Tagung widmet sich den „menschengemachten“ Lebensräumen der Urzeitkrebse, die beispielsweise auf Truppenübungsplätzen zu finden sind. Dort sind es meist Fahrspuren von schwerem militärischem Gerät – wie Panzern und Zugmaschinen – in denen es nach Starkregen zur Urzeitkrebs-lebenswichtigen Tümpelbildung kommt.

Informationen über die Urzeitkrebse sind im Internet verfügbar. Unter http://ag-urzeitkrebse.de präsentiert sich die Gruppe der in Magdeburg angesiedelten deutschen Urzeitkrebsforscher. Die Seite liefert aktuelle Informationen über Vorkommen und Bestimmung der Tiere. Dort gibt es ebenfalls die Inhaltsangaben zu zwei Heften der ‚Abhandlungen und Berichte des Naturkundemuseums Magdeburg‘, in denen die Ergebnisse der vorangegangenen Symposien zu den Urzeitkrebsen zusammengefasst sind. Der gedruckte Tagungsband 1 ist vergriffen, weshalb dessen Inhalt unter http://ag-urzeitkrebse.de/literatur.html#branchiopoden_01 kostenfrei zum Download bereitsteht. Vielleicht regt Sie dessen Lektüre oder der Besuch der Internetseite dazu an, beim nächsten Spaziergang entlang der Elbe nach den Urzeitkrebsen Ausschau zu halten. Der Direktor des Magdeburger Naturkundemuseums freut sich, wenn er von einem solchen Fund erfährt und bittet um möglichst kurzfristige Mitteilung der genauen Fundortangaben.

Wenn Ihnen dieser Artikel Lust darauf gemacht hat, mehr über „Urzeitkrebse“ zu erfahen, dann besuchen Sie am 13. April die Vorträge über die Urzeitkrebse im Magdeburger Naturkundemuseum. Prof. Dr. Mario Engelmann

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