Gleichgewicht des Schreckens

Musik ist einfach toll. Sie kann heilsam wirken oder gar Krankheiten vorbeugen. Das dazugehörende Hochschulfach heißt Musiktherapie. Auch kranke oder von Krankheit bedrohte Gesellschaften können mit Musik therapiert werden. Als in den 60er Jahren des vergangen Jahrhunderts der Vietnamkrieg tobte, waren es Lieder von Bob Dylan, Pete Seeger, Joan Baez und anderen Musikern, die uns im musischen Geiste mit ihren Songs zu einer weltweiten Friedensbewegung zusammenschweißten. Sie prägten Einstellungen und Denken. Ich glaube nicht, dass man mit Liedern wirklich neue und revolutionäre Gedanken in die Welt bringen kann. Dazu reichen die wenigen Zeilen, die Liedermacher zur Verfügung haben, nicht aus. Das geht besser mit Aufsätzen und Reden von charismatischen Persönlichkeiten, wie Dr. Martin Luther King („I have a Dream“). Wenn aber eine Idee erst einmal angekommen ist, helfen Lieder, eine Wertegemeinschaft zu schmieden, die entschlossen ist, diese Ideen umzusetzen. Musik ist identitätsstiftend und schafft es, Mut und Leidenschaft zu entfachen. „Give Peace a Chance“ von John Lennon haben wir inbrünstig gesungen. Ich glaube, all dies hat etwas bewirkt. Deshalb ist es gut, wenn Aktionen für oder gegen etwas von Musik flankiert werden.

Wo man singt, da lass dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder – das ist ein schöner Mythos und es gibt dazu einen Kanon, der gern gesungen wird. Schade nur, dass es nicht stimmt. Europäer wissen das spätestens, seit die nationalsozialistische SA mit dem Horst-Wessel-Lied in den Kehlen aufmarschierte und seit die deutsche Wehrmacht mit Liedern wie „Auf der Heide blüht ein kleines Blümelein und das heißt Erika“ oder auch mit „Schwarzbraun ist die Haselnuss“ ihren Vernichtungsfeldzug begleitete. Dabei haben die beiden letztgenannten Lieder nicht einmal böse Texte, aber sie laden zum identitätsstiftenden Mitgrölen ein. Die Bösen haben also auch Lieder. Mit ihnen schaffen sie es, Menschen, die zunächst gar nicht böse sind, zu vereinnahmen. Das gibt es politisch rechts wie links. Gerade heute. Ich gehe davon aus, dass auf Rechts-Rock-Konzerten Hassbotschaften herausgeschrien werden. Das habe ich nicht überprüft, sondern glaube der Berichterstattung. Hingegen wollte ich selbst hören und lesen, wie es mit den linken Bands aussieht, die beim großen Konzert gegen rechts „Wir sind mehr“ dabei waren. Schließlich gibt es die Gefahr, dass man einer Verunglimpfung aufsitzt.

Wir (die Guten) sind mehr

Über manche Band, die in Chemnitz auftrat, muss man sich nicht sonderlich aufregen. Und doch scheint es so zu sein, dass die Ablehnung des staatlichen Gewaltmonopols und der Hass gegen Poli- zisten (die Bullen) und den Verfassungsschutz wie eine gemeinsame Währung ist, mit der man sich die Sympathie der Massen erkauft. Man bedenke, dass es Polizistinnen und Polizisten sind, die ihre Knochen hinhalten, um normale Fußballfans vor Hooligans zu schützen oder die sich, wie zum G20-Gipfel in Hamburg, plündernden und brandschatzenden Antifa-Gruppen entgegenstellen. Über die Verherrlichung von Rauschgift und Gesetzesübertretungen herrscht bei diesen Bands offenbar Konsens: „Also geben wir einen Fick auf das Gesetz“ und „Fick die Bullerei“ sang in früheren Liedern Nura. Der leuchtende Stern am Chemnitzer Abendhimmel war der „Tote-Hosen“-Sänger Campino. Er sagte im Interview: „Wenn es die grundsätzliche Einstellung beim Verfassungsschutz sein sollte, jemanden wie Monchi zu beobachten, muss man den Laden auflösen.“ Der In-Schutz-Genommene Monchi ist der Sänger der Punkband „Feine Sahne Fischfilet“, der nach eigenen Angaben an einer Fußballrandale beteiligt war und ein Polizeiauto abgefackelt hat. Zwischen 2009 und 2016 gab es 16 Ermittlungsverfahren gegen Bandmitglieder, unter anderem wegen Landfriedensbruchs, gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung, Raub und Nötigung. Aber man hört nun, die Band hätte sich von ihrer Vergangenheit distanziert. Und tatsächlich: Die Textzeile „ich mach mich warm, weil der Dunkelheitseinbruch sich nähert, die nächs-te Bullenwache ist nur einen Steinwurf entfernt“  wurde in Chemnitz nicht gesungen. Auch nicht diese: „Punk heißt gegen’s Vaterland, das ist doch allen klar / Deutschland verrecke, das wäre wunderbar! …  Deutschland ist scheiße, Deutschland ist Dreck! / Gib mir ein ,like’ gegen Deutschland“ und weiter „Wir stellen unseren eigenen Trupp zusammen / Und schicken den Mob dann auf euch rauf / Die Bullenhelme – sie sollen fliegen / Eure Knüppel kriegt ihr in die Fresse rein. …“  Auch dieser Text wurde in Chemnitz von Monchi und seinen Mannen nicht gesungen, sondern nur Banalitäten in Fäkalsprache. Der Refrain seines Liedes „Ich bin komplett im Arsch“ wurde von einem tausendstimmigen Chor inbrünstig mitgebrüllt (als Fanal gegen rechts, versteht sich).

Das alles ist so niveaulos, dass ich deswegen keinen Artikel schreiben würde. Primitiv zu sein, ist ein Menschenrecht und es kann gemeinschaftsstiftend sein. Niemand soll sich allein fühlen! Der Grund, warum ich schreibe, ist der Auftritt von K.I.Z., einer Hip-Hop-Formation aus Berlin. Sie ist mit diesem Text aufgetreten. „Ich ramm’ die Messerklinge in die Journalisten-Fresse/ Ich mach Mousse aus deiner Fresse. Boom verrecke. Wenn ich den Polenböller in deine Kapuze stecke. Die halbe Schule war querschnittsgelähmt von mei’n Nackenklatschern. Meine Hausaufgaben mussten irgendwelche deutschen Spasten machen. Gee Futuristic ich krieg Durchfall von die Bässe. Ich ramm die Messerklinge in die Journalistenfresse. Bullen hör’n mein Handy ab. (Spricht er jetzt von Koks:) Ich habe fünfzig Wörter für Schnee, wie Eskimos. Trete deiner Frau in den Bauch, fresse die Fehlgeburt. Für meine Taten werd ich wiedergebor’n als Regenwurm. Sei mein Gast, nimm ein Glas von mei’m Urin und entspann dich. Zwei Huren in jedem Arm mit Trisomie einundzwanzig… „Eva Herman sieht mich, denkt sich: ‚Was‘n Deutscher!‘/ Und ich gebe ihr von hinten wie ein Staffelläufer/ Ich fick sie grün und blau, wie mein kunterbuntes Haus/ Nich’ alles, was man oben reinsteckt, kommt unten wieder raus.“

Hier werden Kapitalverbrechen in Serie verherrlicht und Menschen mit dem Leiden Trisomie 21 (Down-Syndrom) verunglimpft. Als aktiver Chorsänger weiß ich, dass man einen Text nur dann auswendig mitsingen kann, wenn man diesen zuvor verinnerlicht hat. Nahezu alle Anwesenden, die von der Kamera erfasst wurden, haben den menschenverachtenden Schund mitgegrölt. Die Herabwürdigung von Menschen mit einer schweren genetischen Krankheit wurde herausgeschrien unter dem Schwenken von Regenbogenfarben, die ja eigentlich die Fahnen gegen Diskriminierung und Intoleranz jeder Art sein sollen. Sicher, ich nehme an und hoffe, dass auch manche der Anwesenden betroffen und entsetzt waren. Aber mir ist kein Protest zu Ohren gekommen, nicht aus den eigenen Reihen, nicht von Menschenrechtlern, nicht von Feministinnen, nicht von den Kirchen und nicht von linken Parteien! Nur Lob! Es sei doch schön, dass so viele Menschen gegen rechts aufgestanden sind.

Gesellschaftliche Katastrophe seit der Wiedervereinigung

Was in diesen Tagen in Chemnitz geschah, wird lange nachwirken. Da wird ein Familienvater durch eine Messerattacke getötet und zwei weitere Männer werden verletzt. Die mutmaßlichen Täter waren Araber, die aufgrund vorheriger Straftaten schon längst abgeschoben gehörten. Die Oberbürgermeis-terin erkennt die Brisanz nicht, sie lässt das Stadtfest weiterlaufen. Das hätte sie aus Pietätsgründen sofort abbrechen müssen. Damit eröffnet sie der AfD und rechten Gruppen die Chance, Trauer- und Empathiefähigkeit mit Alleinvertretungsanspruch für sich zu reklamieren. Das Stadtfest wird erst für beendet erklärt, als sich Demonstranten auf der Straße formieren. Es gibt Straftaten fremdenfeindlicher und neonationalsozialistischer Art. Um zu retten, was nicht mehr zu retten ist, wird das Protestkonzert „Wir sind mehr“ organisiert. Das Konzert ging damit los, dass die Moderatorin beim Getöteten von einem Opfer rechter Gewalt sprach. Aber das Tötungsverbrechen war weder rechts noch links. So hat sie das Vertrauen auf Redlichkeit der Veranstalter verspielt. Was beim Konzert stattfand, war keine musiktherapeutische Heilung eines gesellschaftlichen Missstandes, sondern die Herstellung eines Gleichgewichts des Schreckens. Anstatt etwas Wirksames gegen die AfD zu unternehmen, hat man in dem Konzert die hässliche Fratze des Rechtsextremismus durch Hofierung des Linksextremismus gespiegelt. Da hilft es wenig, dass es auf der Bühne auch gute Passagen gab. Der größte Schaden erwächst daraus, dass moralische Autoritäten wie der Bundespräsident und Kirchen das Konzert beworben hatten, obwohl der Charakter der Bands bekannt war. Wem soll man künftig noch vertrauen?

Es ist zum Weinen. Die AfD erstarkt im Schatten der Chemnitzer Ereignisse und durch die Wirkung dieses Konzertes überall. In den neuen Bundesländern wird sie derzeit sogar zur Partei mit den höchs-ten Zustimmungswerten. Dabei hätte Sachsen als eine Hochburg für Kultur genügend wunderbare Künstler gekannt, die in der Lage wären, die Herzen von Menschen anzurühren. Das große Konzert mit der Neunten von Beethoven, bei dem mehr aus 500 Menschen mitgewirkt haben, war ein Lichtblick. Extremismus, gleich welcher Couleur, bekämpft man am besten mit Kultur, die auch den Namen verdient. Reinhard Szibor

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