Geld: Treibhausgas in den Köpfen

Fast alles, was uns heute etwas bedeutet, drückt sich in Geld aus. Ein Nachdenken darüber, wie wir einen Klimawandel in den Köpfen mit Gläubigkeit entfacht haben.
Geld regiert die Welt.“ So sagt es eine uralte Redewendung. Doch wo ist sein Regierungssitz und wo die Gesetzgebung, nach der sich alles richtet? Wir müssen übers Geld reden, weil es eben der einzig bestimmende Maßstab für alles geworden ist, nicht nur der für Lohn und Brot, sondern einer für die Welt der Wünsche und Träume, ja sogar für alle Illusionen.
Kürzlich fragte mich einer, der in Frankfurt am Main im Bankenviertel seine Arbeitsheimat hat, ob ich ihm mein gesamtes Vermögen beziffern könnte, also nicht nur Geld, sondern alles, was ich zu meinem Eigentum zähle, inklusive Möbel, Bücher, Löffel etc. Ich konnte nur mit den Schultern zucken. „Siehst du“, sagte er, „niemand weiß das ganz genau.“ Trotz einer detaillierten Bilanz könne auch kein Unternehmen seinen aktuell tatsächlichen Wert beziffern. Ob eine Immobilie das Geld einbringt, das man mal angenommen hat, zeigt sich erst zum Zeitpunkt der Veräußerung. Erben verfügen manchmal nach dem Tod eines Erblassers über eine bezifferbare Größe von dessen Vermögenswerten.
Es ist zu viel Vermögen in Händen weniger und zu wenig in den Händen der meisten Menschen. Das Geld ist ungerecht verteilt und es fließt immer in jene Taschen, in denen schon genügend ist. Da, wo es gebraucht wird, fehlt es permanent, obwohl mehr Vermögen auf der Welt existiert, als man reale Gegenwerte nach vorherrschenden Wertvorstellungen dagegensetzen könnte. Warum gibt es diese Kapitalexplosion, die offenbar die Menschheit in der Umklammerung hält? Einfach gesagt: Es ist der allseits herrschende Glaube an die Macht des Geldes.
Die gesamten Goldreserven der Erde werden auf insgesamt 183.600 Tonnen geschätzt (s. Grafik). Das entspricht einem Geldwert von rund 7,8 Billionen Dollar. Das gesamte Weltgeld – Münzen, Banknoten, Geldmarktkonten, Spareinlagen und kurzfristige Anlagen – wird mit rund 81 Billionen Dollar angegeben. Gold ist mittlerweile weit entfernt davon, als Äquivalent fürs Geld herzuhalten. Und das Volumen weltweiter Verschuldung hat längst die Weltgeldmenge überschritten, wobei fast ein Drittel davon erst seit dem Beginn der Finanzkrise 2008 entstand.
Wirft man einen Blick auf das Vermögen, das in so genannten Derivaten gehandelt wird – also innerhalb solcher finanztechnischen Begriffe wie Optionen, Termingeschäfte, Swaps, Obligationen oder Futures – kommt man auf einen angenommenen Wertkoloss zwischen der unvorstellbaren Größenordnung von minimal 630 Billionen bis maximal 1,2 Quadrillionen Dollar. Man kann diese Finanzprodukte als Vertrag oder Wette begreifen, dass sie zum Zeitpunkt ihrer Fälligkeit den Wert hätten, der bei Vertragsabschluss von der jeweiligen Seite angenommen wurde. Einer setzt auf einen niedrigeren Preis, der andere auf einen höheren. Manchmal gewinnt der eine, manchmal der andere. Profitieren werden aber stets jene, die das Geschäft abwickeln, weil sie beim Zustandekommen und Abwickeln der Kontrakte stets mitverdienen. Es geht hierbei also mehr oder weniger um die Illusion eines Geldwertes. Aber innerhalb dieser Geschäfte wird mehr virtuelles Geld bewegt, als es wirkliche Waren oder Dienstleistungen auf dem Planeten gibt. Das gesamte Bruttosozialprodukt der Welt wird derzeit mit 60 bis 70 Billionen Dollar pro Jahr angegeben. Was erzeugt also dagegen diese übermächtige Schattensphäre, in der märchenhaft gesprochen Stroh zu Gold gesponnen wird.
Nun gibt es Menschen, die wissen, dass hierbei einzig Verschwörerkräfte am Werk sind. Man mag dagegen auf tausende Finanzwissenschaftler weltweit verweisen, Bankeninsider und Multimilliardäre, die den lieben langen Tag nichts anderes tun, als sich mit dieser Geldvermehrungsmaschinerie zu beschäftigen – und dennoch bekommt man keine schlüssige Antwort, was dieses Finanzuniversum nun sei und wie es im Kern funktionierte. Tatsache ist, dass sich das Finanzsystem jeglicher nationalen Steuerung entzogen hat. Treiben also einige Wenige die Geldvermehrungsmaschine an oder ist sie am Ende die Summe der Erwartungen aller Individuen auf der Erde.
Blicken wir also noch einmal zurück auf uns selbst: Jeder geht mit Zukunftsträumen ins Leben. Gut bezahlte Arbeit steht an erster Stelle, vielleicht ein Auto, ein eigenes Haus, diese oder jene ganz persönlichen Wünsche sollen Erfüllung finden. Der überwiegende Teil dieser Wünsche erfüllt sich nur gegen Bezahlung. Jetzt addiert man diese Vorstellungen mal 80 Millionen Deutsche, nimmt die Summe aller Europäer oder die der ganzen Weltbevölkerung. Lässt sich die Lebenswunschvorstellung aller in Geld- oder Realwert fassen? Nein. Hinzu kommen die Ziele von Unternehmen, eine bestimmte Wirtschafts- bzw. Produktionsleistung erbringen zu wollen. Wir fassen das als Realwirtschaft, als all das, womit wir Lebensleistung und -lohn verbinden. Und dann existiert da natürlich die Vorstellung, dass man erzieltes Geldvermögen anlegt, auf dass es sich zusätzlich vermehre.
Nur hat sich die Vermehrungsweise für Geld mittlerweile weit vom realen Wirtschaften entfernt. Man muss annehmen, dass manche Finanzprodukte nur deshalb erfunden wurden, um die Illusionsmaschine für virtuelle Werterzeugung am Laufen zu halten. Wenn Sie persönlich auf dem Konto ein wenig Geld angehäuft haben, fragen Sie dann eigentlich, wie versprochene Zinsen in der Realität entstehen oder glauben sie vielmehr dem Versprechen, dass sie für Ihr Geld mehr Geld bekommen? Addieren oder besser multiplizieren Sie bitte Ihre Gewinnerwartung wiederum mit den Wünschen von Millionen anderen Menschen. Dieser Geist ist das eigentliche Treibhausgas, dass sich über den Globus ausgebreitet hat. Es ist eben nicht nur das unablässige Beten nach Wachstum, sondern vor allem die Illusion, dass sich Geld im Gelde vermehrt und man persönlich davon einen Vorteil hätte, was die Bewegungen des Finanzkreislaufes befeuert. Wir alle laufen den Versprechungen hinterher, dass eine Versicherung, ein Sparvertrag oder eine andere Geldanlage zu einer wundersamen Fortpflanzung führt. Selbst das Alter sei nur sicher, wenn man genügend vorgesorgt hätte. Nach Gelde drängt, am Gelde hängt doch alles, möchte man Goethes Reim aus dem Faust umdichten. Wir haben uns offensichtlich darin verstrickt, dass allein Geld das Leben absichert, obwohl es doch in Wahrheit Menschen braucht, die Schutz, Betreuung und Fürsorge gewährleisteten. Oder warum zahlen mittlerweile mehrere Millionen Menschen in Partnerschaftsbörsen eine Stange Geld dafür, dass sich ihr Traum von einem Traumpartner erfüllen möge? Weil so viele daran glauben und es möglicherweise noch mehr werden, werden Anlageprodukte dafür entwickelt um gemeinhin die Wachstumserwartung in Gewinn ummünzen zu können. Die Perversion sind dann Anlagen, die auf Gewinne aus gegenseitigen Wetten für irgendwelche Erwartungen bauen.
Die gewachsene Gläubigkeit gegenüber allem Finanziellen löst die realen Zusammenhänge gemeinschaftlichen Handelns auf. Wenn morgen alle Kunden einer Bank kämen und jeder wollte sein ganzes Geld abheben, dann könnte das keine Bank auszahlen. Jeder weiß das, dennoch glauben wir fest an die sichere Existenz des Geldes. So groß ist der Glaube daran. Letztlich ist das Phänomen der Globalisierung nicht nur eine Ausweitung von Märkten, bei der Produkte dorthin verkauft werden können, wo man sie bisher nicht absetzen konnte, sondern ebenso ein Ausdruck dafür, dass sich jede Leistung – beispielsweise auch die von Fürsorge – im- oder exportieren ließe. Man könnte hier politisch werden und ketzerisch fragen, ob Migranten aus anderen Kulturkreisen wirklich des Geldes wegen die pflegerische Betreuung erbringen wollten, die sich Deutsche versprechen, weil sie entsprechend finanziell vorgesorgt haben und nun glauben, damit die demografische Schieflage im Alter mit Geld ausgleichen zu können. Vielleicht funktioniert das. Es bleibt aber Spekulation. Die künftigen Alten, die heute noch mitten im Leben stehen, werden es erleben.
Das sich vermehrende weltweite Finanzvolumen hilft zwar vorrangig solchen, die riesige Vermögen besitzen, aber letztlich hofft jeder, am Wachsen des Geldes zu partizipieren. Die Funktionsmechanismen des undurchsichtigen Finanzsystems könnte man mit einer Lotterie vergleichen: Man sieht, dass es immer Gewinner gibt und hofft deshalb, irgendwann selbst dabei zu sein. Ohne die Millionen Lottospieler keine Millionengewinne. Aber es profitieren stets nur ein paar wenige. Mit der Weltlotterie der Finanzen ist es nicht viel anders. Eben der Illusion wegen spielt die Mehrheit mit. Dass es aber einige wenige Gewinner gibt, baut letztlich darauf, dass viele etwas verlieren müssen. Den wahren Reibach machen jene, die die Geldlotterie anzetteln und mit dem großen Gewinnversprechen ankurbeln. Am Laufen halten sie alle, die mitspielen. „Der Geist der Derivate ist aus der Flasche und diese Instrumente werden sich weiter ausbreiten, so lange, bis ein Ereignis ihre Toxizität zeigt. Zentralbanken und Regierungen haben bisher keine wirksame Möglichkeit gefunden, die Risiken dieser Verträge zu kontrollieren oder gar zu überwachen. Meines Erachtens sind Derivate finanzielle Massenvernichtungswaffen, die latent die Gefahren in sich tragen, tödlich wirken zu können.“ Das sagte 2003 einer der reichsten Investoren, Warren Buffett. Die destruktive Kraft Derivate speist sich aus der Idee, dass sich die angenommenen Werte den Millionen Wett-Transaktionen in der Realität erzeugen ließen. Das ist eine Wahnvorstellung aus der geistigen Summe aller Akteure.
Die unzähligen, menschlichen Erwartungen auf Gewinne sind das Treibgas für forcierten Ressourcenverbrauch, für Umweltzerstörung und -verschmutzung, für umkämpfte Rohstoffquellen, Einflusssphären für Absatzmärkte. Dies erzeugt auch den geistigen Klimawandel hin zu mehr Egoismus. Der eigene Vorteil wird seltener an Lebensinhalt und gefühlter Lebenswirklichkeit zwischen Menschen festgemacht, sondern eher in einer Sphäre von Zahlen auf dem eigenen Konto. Wir wissen das, aber können uns der Magie des Geldes doch nicht entziehen. Die eigenen Träume wiegen schwerer als die Einsicht, dass ihnen leider auch eine negative Seite innewohnt.
Wir müssen heute konstatieren, dass unsere hochgelobte Freiheit vor allem eine solche ist, den Wert des Lebens in Giroverträgen zu fassen, anstatt im Moment des Verweilens unter Sonnenstrahlen auf einer Wiese. Die Mechanismen des virtuellen Geldwachstums sind ebenfalls der Quell eines zunehmend empfundenen Lebensstress. In immer kürzerer Zeit mehr schaffen, überall effektiver werden bis hin zu Selbstoptimierungsvorstellungen reicht der imaginäre Druck, der vom Treibhausgas Geld bei jedem auf ganz individuelle Weise ankommt. Warum der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble die Autobahnprivatisierung anschiebt, liegt nur daran, damit Versicherungskonzerne neue Anlageobjekte finden, damit mit die Nutzungsgebühr der Bürger in die Gewinnerwartung der eigenen Versicherungspolice fließt. Es wird nämlich schwieriger, neue Anlageerfindungen zu entwickeln.
Wer hätte eigentlich auf dieser Welt etwas verloren, wenn man von heute auf morgen all jene Anlagen verbieten würde, die reine Wettgeschäfte über Finanzprodukte sind und bei denen nichts als virtuelle Vermögen verschoben werden? Eigentlich niemand. Denn das Geld dafür war nie wirklich vorhanden. Es existiert nur als Bits und Bytes auf Rechnern. Aber die Nationalstaaten haben gegenüber dem Treibhausgas Geld, das wir alle so gern einatmen, längst kapituliert. Leider bekennt das niemand. Dabei wäre es nur die Wahrheit. Thomas Wischnewski

Übersicht zu verschiedenen Geld- bzw. Wertmengen

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