Geist für Archäologie und Klassizismus

Weimarer Klassik und Aufklärung gelten als epochales Kapitel deutscher Geschichte. Berühmteste Geistesgrößen sind damit verknüpft. Ein Inspirator des deutschen Klassizismus und zugleich Begründer der wissenschaftlichen Archäologie ist der 1717 in Stendal geborene Johann Joachim Winckelmann. Sein Wirken erlangt hierzulande oft nicht die Strahlkraft, die ihm gebührte. Eine Würdigung zum 250. Todestag.

Am Freitag, dem 8. Juni hingen am Sitz des Ministerpräsidenten, der Staatskanzlei in der Hegelstraße die Fahnen auf Halbmast. Nicht für einen aktuellen Todesfall sollte Trauer signalisiert werden, sondern für einen historischen. Johann Joachim Winckelmann wurde am 8. Juni 1768 in Triest Opfer eines Verbrechens. Doch warum diese besondere staatliche Aufmerksamkeit für einen Mann, dessen Namen vielleicht schon manche gehört haben mögen, aber noch viel weniger um dessen Wirken wissen? In kunsthistorischen Kreisen kommt niemand an der sachsen-anhaltischen Persönlichkeit vorbei, eine ihm gebührende Breitenwirkung erlangte der Begründer der wissenschaftlichen Archäologie indes nie. Leider zu Unrecht.

In der Landesvertretung von Sachsen-Anhalt in Berlin müht man sich redlich, das Andenken an den Stendaler Sohn wach zu halten. Eine internationale Tagung am 13. bis 15. Juni befasst sich mit dem Begriff der Freiheit bei Johann Joachim Winckelmann. Am 14. Juni 2018 erinnert die Abendveranstaltung „Auf Winckelmanns Spuren“ mit Vorträgen von Dr. Ursula Krechel, Thomas Lehr und Jan Wagner, dem Büchner-Preisträger 2017, an die Geistesgröße aus der Altmark. Zumal Winckelmann als ein echter Aufsteiger gesehen werden darf und als ein wichtiger Inspirator für die Aufklärung und vor allem die Weimarer Klassik gilt, sollte man ihm heute mit besonderer Aufmerksamkeit begegnen.

Kein Geringerer als der deutsche Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe widmete Winckelmann 1805 ein großes Essay: „Findet sich hingegen in besonders begabten Menschen jenes gemeinsame Bedürfnis, eifrig zu allem, was die Natur in sie gelegt hat, auch in der äußeren Welt die antwortenden Gegenbilder zu suchen und dadurch das Innere völlig zum Ganzen und Gewissen zu steigern, so kann man versichert sein, dass auch so ein für Welt und Nachwelt höchst erfreuliches Dasein sich ausbilden werde. Unser Winckelmann war von dieser Art.“ Die Herkunft deutet zunächst nicht auf ein weites Fortkommen Winckelmanns. Als Sohn eines Schuhmachermeisters am 9. Dezember 1717 in Stendal geboren, wuchs er in dürftigen Verhältnissen auf. Doch seine Sprachbegabung muss dem erblindeten Rektor der Stendaler Lateinschule, Esaias Wilhelm Tappert, dem er oft zur Hand ging, alsbald aufgefallen sein. Drei Jahre verbrachte Winckelmann in dessen häuslicher Obhut und wurde von ihm über die Schule hinaus gefördert. Nach dem Besuch der Stendaler Stadtschule wurde er bis Ende 1735 an der Stendaler Lateinschule unterrichtet. Bis 1736 war er zeitweise am Köllnischen Gymnasium in Berlin und anschließend am Altstädtischen Gymnasium in Salzwedel. Die Stendaler Schönebeck’sche Stiftung gewährt Winckelmann ein Bücherstipendium. Auch für ein Universitätsstudium erhielt er von der Stiftung ein Stipendium. 1738 nahm er das Studium der Theologie an der Universität von Halle (Saale) auf. Gab dieses jedoch 1740 ohne Abschluss auf und nahm bei der Familie von Grolmann in Osterburg eine Stelle als Hauslehrer an. Von 1741 bis 1742 schrieb sich Winckelmann für das Fach Medizin an der Universität Jena ein, arbeitete aber ab Sommer 1742 bis Frühjahr 1743 erneut als Hauslehrer in der Familie des Oberamtmanns Lamprecht in Hadmersleben und war von 1743 bis 1748 Konrektor der Lateinschule im altmärkischen Seehausen.

„Eine niedrige Kindheit, unzulänglicher Unterricht in der Jugend, zerrissene, zerstreute Studien im Jünglingsalter, der Druck eines Schulamtes, und was in einer solchen Laufbahn Ängstliches und Beschwerliches erfahren wird, hatte er mit vielem anderen geduldet. Er war dreißig Jahr alt geworden, ohne irgendeine Gunst des Schicksals genossen zu haben; aber in ihm selbst lagen Keime eines wünschenswerten und möglichen Glücks“, schrieb Goethe weiter über Winckelmann. 1748 erhielt er bei Heinrich Graf von Bünau auf Schloss Nöthnitz bei Dresden eine Stelle als Bibliothekar. Hier arbeitete er an der Kayser- und Reichs-Historie des Grafen sowie am gedruckten Katalog seiner Bibliothek mit. Diese galt seinerzeit mit 42.139 Bänden als eine der bedeutendsten öffentlich benutzbaren Privatbibliotheken Europas. Zu den Besuchern gehörte der päpstliche Nuntius in Sachsen, Alberico Archinto. Der war von Winckelmann derart beeindruckt, dass er ihm die Stelle eines Bibliothekars in Rom anbot. Bevor Winckelmann das Angebot von Archinto wahrnehmen wollte, zog er zunächst zu seinem Freund, dem Maler Adam Friedrich Oeser, um bei ihm, wie später auch Goethe, zeichnen zu lernen.

1755 übersiedelte der Archivar und Bibliothekar schließlich nach Rom, reiste unter anderem nach Neapel und Pompeji und sammelte dort Material für künftige Schriften. Im selben Jahr hatte er seine erste Schrift in einer Auflage von nur knapp 50 Exemplaren herausgeben. „Gedanken über die Nachahmung der Griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst“ hieß die Schrift, die aber später große Aufmerksamkeit erhielt und deshalb ergänzt und erweitert neu aufgelegt wurde. Nachdem Alberico Archinto 1758 verstarb, erhielt er beim Kardinal Alessandro Albani Unterkunft. Noch im selben Jahr reiste er nach Florenz und bearbeitete dort die Gemmensammlung des Barons Philipp von Stosch, die eine der bedeutendsten archäologischen Sammlungen des 18. Jahrhunderts darstellte. Sie umfasste in erster Linie originale antike Gemmen sowie Kopien, Imitate und Abgüsse weiterer Werke. Als Würdigung für seine Arbeit wurde Winckelmann in die „Accademia Etrusca“ aufgenommen. Ab 1761 entwarf er im Auftrag Albanis maßgeblich das Programm für die künstlerische Ausgestaltung der Villa Albani. Die Umsetzung lag vor allem in den Händen des Malers Anton Raphael Mengs (von Meng stammt auch das Winckelmann-Porträt links).

1763 erklomm Winckelmann quasi den kunsthistorischen Olymp. Papst Clemens XIII. ernannte ihn zum Aufseher der Altertümer (Commissario delle Antichità) im Vatikan sowie zum Scrittore (Schreiber) an der „Bibliotheca Vaticana“. Die Göttinger Akademie der Wissenschaften wählte den zu wissenschaftlichem Ruhm gekommenen Deutschen im Jahr darauf zum auswärtigen Mitglied. Die Rezeption der griechischen Antike aus dem Feld der antiquarischen Buchgelehrsamkeit hinausgeführt zu haben, hin zu einer sinnlich-erotischen Rezeption antiker Kunst wird als sein großes Verdienst angesehen. In Winckelmanns Beschreibungen über die griechische und römische Antike wiegt sich später der Geist des deutschen Klassizismus. Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1740 – 1817) ließ sich 1765 während seiner „Grand Tour“ durch Italien für seine Wörlitzer Parkgestaltung maßgeblich von Winckelmann inspirieren. Im April 1768 trat Winckelmann gemeinsam mit dem Bildhauer Bartolomeo Cavaceppi eine Reise zu alten und neuen Freunden in der Heimat an. Leipzig, Dessau, Berlin, Hannover und Göttingen waren seine Ziele. Bereits in Regensburg brach er die Reise wegen der Beschwerlichkeiten eines melancholischen Anfalls ab. Auf dem Rückweg wurde er in Wien noch von Kaiserin Maria Theresia empfangen. In Triest machte er im Hotel „Locanda Grande“ Station und begegnete dort am 8. Juni 1768 dem vorbestraften Koch Francesco Arcangeli. Der muss es offenbar auf die kostbaren Medaillen abgesehen haben, die Winckelmann ihm arglos gezeigt hatte. Zunächst versucht der Koch, ihn zu erdrosseln und sticht im Handgemenge siebenmal zu. Binnen weniger Stunden stirbt Winckelmann, berichtete der Polizei zuvor aber noch ausführlich über den Tathergang. Auf dem Friedhof der Kathedrale San Giusto in Triest wurde er in einem Gemeinschaftsgrab einer Bruderschaft bestattet. Bis 1802, zur Zeit von Johann Gottfried Seumes Italienreise, geriet sein Grab zunächst in Vergessenheit. „Von seinem Grabe her stärkt uns der Anhauch, das, was er begonnen, mit Eifer und Liebe fort- und immer fortzusetzen“, schließt Goethe seine Schrift über Winckelmann.

Der feige Mord jährte sich nun zum 250. Mal. Leider ist das Museum in Winckelmanns Geburtsstadt Stendal seit Juni 2017 geschlossen. Ursprünglich sollte es im laufenden Winckelmann-Jahr in diesem Frühling wieder eröffnet werden. Doch Sanierung und Ausstellungsaktualisierung wurden nicht rechtzeitig fertig. Die Wiedereröffnung ist nun im September geplant. Einem angemessenen Andenken Winkelmanns ist es zu wünschen, dass sein Wirken nach dem Abebben überregionalen Anklangs wenigstens in Sachsen-Anhalt regionalgeschichtlich lebendig gepflegt wird. Kulturhistorisch bedeutsame Köpfe seines Formats gebührt, dass er mindestens von jedem Abi-turienten hierzulande gekannt wird. Thomas Wischnewski

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