Die Leiden des Plastikzeitalters

Der Mensch im Plastikzeitalter hinterlässt überall seine Spuren. Foto: Aroon Phukeed

Erzeugnisse aus Plastik besitzen wertvolle Gebrauchseigenschaften. Aber ihre massenhafte Erzeugung und die langsame Vergänglichkeit machen sie zu einem Umweltproblem. Auch Biokunststoffe sind bisher keine umweltfreundlichere Alternative.

Vor einigen Jahren wurde im Magen eines toten Albatros ein schwarzes Bauteil gefunden, das die amerikanische Navy während des 2. Weltkrieges im Pazifik verloren hatte. Obwohl es sechs Jahrzehnte im Müllstrudel des Pazifik trieb, bis es der Albatros verschluckte, hatten das salzhaltige Meerwasser, die Sonne und der Magensaft kaum Verrottungsspuren an ihm hinterlassen. Aus welchem Material war dieses Bauteil? Es war aus Bakelit. Die reiferen Leser werden sich daran erinnern, dass früher Telefonapparate oder Steckdosen aus schwarzgefärbtem Bakelit gefertigt wurden, einem Kunststoff der sich übrigens gut anfühlt. Ein belgischer Chemiker, Leo Hendrik Baekeland, hatte ihn aus Phenol (ein Bestandteil des Steinkohlenteers) und Formaldehyd (oxidiertes Methanol) hergestellt und dafür 1905 ein Patent erhalten. Bakelit war der erste, vollsynthetisch und industriell produzierte Kunststoff, der schnell als vielseitig einsetzbarer Werkstoff Karriere machte. Mit der Erfindung neuer Kunststoffe, wie Polyethylen (PE, Folien), Polyvinylchlorid (PVC; Fußbodenbeläge, Schallplatte), Polyamid (Nylon, Perlon, Dederon), Polystyrol (Styropor), Polyacrylnitril (Wolpryla) und Teflon (Bratpfannenbeschichtung, Gelenkprothesen), wurde Bakelit später mehr und mehr verdrängt. Trotzdem bleibt das Bakelit für immer mit dem Beginn des Zeitalters der Plastikpolymere verbunden. All diese Schöpfungen der Chemie des 20. Jahrhunderts kann die Natur nicht herstellen und kennt deshalb auch keine Rezepte zu deren Entfernung. Laut dem Bundesumweltamt hat sich eine Plastikflasche erst nach 450 Jahren zersetzt. Da nun einerseits die Plastikherstellung weltweit zunimmt und andererseits Plastik äußerst langsam verrottet, wird eine umweltschonende Beseitigung von Plastikmüll zu einer riesigen Herausforderung.

Im Unterschied zu dem im Magen des Albatros aufgefundenen Bakelit, widerfährt dem Inhalt eines Sarkophages ein ganz anderes Schicksal. In diesem aus Kalkstein gefertigten Steinsarg wurden betuchte Tote in der Antike bestattet. Aber wie kam der Sarkophag eigentlich zu seinem Namen? Bei dem Römer Plinius heißt es dazu: „Die in ihn gelegten Körper Verstorbener werden, wie man bestimmt weiß, innerhalb von 40 Tagen bis auf die Zähne verzehrt“. Die Wortschöpfung Sarkophag setzt sich deshalb aus den griechischen Wörtern für Fleisch (Sarkos) und fressen (phagein) zusammen. Der Sarkophag ist also ein „Fleischfresser“.

Warum vergeht nun aber organische Materie so schnell? Dafür sind zwei Ursachen wesentlich, die Selbstauflösung der Zellen (Autolyse) und die Fäulnis (Gärung). Stirbt eine Pflanze, ein Tier oder ein Mensch, wird in seinen Zellen eine kleine Armee von eiweiß- und fettspaltenden Enzymen aus den Lysosomen freigesetzt. Zu Lebzeiten der Zellen ist der Inhalt dieser kleinen, kugelförmigen Behältnisse an der Fettverwertung und der Entsorgung von „Zellmüll“ beteiligt. Nach dem Zerstörungswerk durch die „Schneidwerkzeuge“ der Lysosomen schlägt die Stunde der Bakterien, Schimmelpilze und Insekten. Zuerst machen sich 1 Billion Darmbakterien (diese Zahl entspricht einer Masse von 2 kg) ans Werk. Zu Lebzeiten leben diese mit ihrem Wirt in einer für beide einträglichen Symbiose. Der Wirt gibt den Darmbakterien Behausung und Ernährung, sie danken es ihm als Verdauungshelfer und Vitaminproduzenten. Nach dem Tod aber verlassen sie ihre Behausung und bauen diese zu Gasen, Mineralien und vielen wasserlöslichen Stoffen ab. Dadurch wird kompakte organische Materie nicht nur wieder zu Erde, sondern es wird auch der Platz für neues Leben geschaffen. Nehmen wir als Beispiel einen Garten mit vielen Laubbäumen. Würde das im Herbst fallende Laub nicht vergehen, dann ist der Garten nach einigen Jahren nicht mehr begehbar.

Im Unterschied zu den natürlichen Polymeren (Eiweiß, Kollagen, Cellulose, DNA, Chitin) sind die chemischen Polymere eine sehr junge Erfindung des menschlichen Geistes. Da die Natur vorher nie mit diesen Kunststoffen in Kontakt gekommen war, konnte sie auch keine „Werkzeuge“ (Enzyme) zu deren Beseitigung erschaffen. Nebenbei gesagt, aus einem ähnlichen Grund hat uns auch die Evolution nicht vor den Leiden des höheren Lebensalters bewahren können. Bevor nämlich diese dem Steinzeitmenschen zusetzen konnten, war er bereits an anderen Ursachen verstorben. Deshalb fehlte der Evolution die Zeit, Mutationen im Erbgut zu installieren, die Alterserkrankungen verhindern oder deren Leiden mildern.

Es sind aber auch die besonderen chemischen Eigenschaften, dass Plastik so schlecht verrottet. Säuren und Basen finden an den meisten Kunststoffen keinen Angriffspunkt. Diese chemische Widerstandsfähigkeit ist beim Teflon besonders ausgeprägt. Übrigens, Teflon machte zuerst durch das „Manhatten-Project“, der Entwicklung der ersten Atombombe, auf sich aufmerksam. Für deren Herstellung musste nämlich Uranmetall (ein Gemisch von Isotopen) in das gasförmige, äußerst aggressive Uranhexafluorid umgewandelt werden, um das spaltbare Uranisotop 235 anreichern zu können. Dabei zeigte sich, dass der Aggressivität des Gases nur mit Teflon überzogene Metallrohre und Dichtungen gewachsen waren. Daher kommt auch der Name Teflonpolitiker für jene, an denen augenscheinlich jede Kritik abperlt.

Und es gibt noch einen weiteren Grund für die schlechte Verrottung von Kunststoffen – ihr abweisendes Verhalten gegenüber dem Wasser. Da in der Regel chemische Reaktionen nur unter Vermittlung von Wasser ablaufen, blockiert die Hydrophobie der Kunststoffe zusätzlich ihren Abbau. Von der jährlich erzeugten Plastikproduktion, 2015 waren es rund 300 Millionen Tonnen, werden nur 2% qualitätsgerecht recycelt. Ein viel größerer Teil wird verbrannt oder landet auf Müllhalden. Außerdem gelangt mehr als ein Drittel unkontrolliert in die Umwelt, viel davon in die Meere. Das waren allein 2010 etwa 8 Millionen Tonnen als Tüten, Eimer, Flaschen, CD-Hüllen, Zahnbürsten u.v.a.m. Auch Schiffe verlieren ständig Plastik im Meer. 1990 verlor ein Frachtschiff auf der Route von Hongkong nach Washington 60.000 Turnschuhe, ein anderes auf der gleichen Route etwas später, 29.000 Spielzeugtiere. Viel Plastikmüll wurde auch 2011 durch den vom Tohoku-Erdbeben ausgelösten Tsunami in den Nordpazifik gespült. China, Indien, Afrika, Ostasien gelten als die größten Verursacher dieser Vermüllung. Plastikmüll bildet riesige Teppiche auf dem Wasser, deren Fläche heute schon der vierfachen Größe Deutschlands (rund 1,4 Millionen Quadratkilometer) entsprechen. Unter dem Einfluss der Wellenbewegung und der Sonne zerreibt sich der Müll aus Makroplastik zu Mikroplas-tikmüll. Durch letzteren sind heute bereits 88% der weltweiten Meeresoberflächen verschmutzt. Ein Teil des Mikroplastikmülls wird durch Algen gebunden und danach in die Tiefe transportiert. Ein anderer gelangt in die Mägen der Fische und kann so auf dem Tisch der Verbraucher landen. Seevögel verwechseln Plastikstücke mit Futter und verhungern dadurch, weil Plastik im Magen ein Sättigungsgefühl erzeugt. Ansammlungen von Plastikmüll (Getränkekästen) werden zur Todesfalle für Robben. Angesichts dieser bedrohlichen Umweltbelastung wurden Gegenmaßnahmen ergriffen. So ist die Entsorgung von Plastikmüll in die Meere durch Schiffe seit 1988 verboten und mit dem Projekt „The Ocean Cleaning“ wird das Einsammeln von auf der Meeresoberfläche treibendem Plastikmüll mit Pilotanlagen erprobt.

Ein anderer Ansatz besteht im Ersatz von „Chemie-Plastik“ durch „Bio-Plastik“. Dieser Gedanke ist nicht neu, denn bereits 1923 wurde auf Cellulosebasis das Cellophan (Cellulosehydrat) hergestellt. Heute werden die Ausgangsstoffe von Biokunststoffen (Stärke, Milchsäure) aus nachwachsenden Rohstoffen (Mais, Kartoffeln, Weizen und Zuckerrohr) gewonnen. Polylactid (PLA) ist ein aus Milchsäure-Molekülen hergestellter Biokunststoff. Wegen seiner Abbaubarkeit im Körper wird es bei chirurgischen Eingriffen als Nahtmaterial, Schrauben und Nägel eingesetzt. PLA eignet sich außerdem gut für die Herstellung von atmungsaktiver Bekleidung. Aus PLA gefertigte Stoffe transportieren Körperschweiss nach außen, wogegen jene aus Baumwolle diesen bevorzugt aufsaugen.

Aber trotz anfänglicher Euphorie ist es wieder ruhiger um die Biokunststoffe geworden. Wie kam es dazu? Eine Ursache sind die höheren Herstellungskosten. Eine andere ist der höhere Sauerstoffgehalt von „Bio-Plastik“, denn dieser bringt es mit sich, dass aus ihr hergestellte Becher steifer, und deshalb brüchiger sind. Außerdem muss bei der Bewertung der Umweltverträglichkeit die gesamte Produktionskette einbezogen werde. Wird das gemacht, dann ergibt sich, dass die Produktion von Biokunststoffen auch nicht klimaneutral ist. So wird für den Anbau der Rohstoffe auch Erdöl benötigt und es kommt außerdem zur Überdüngung der Anbauflächen. Durch den Aufwand an Material, Energie und Chemie, also dem „ökologischen Rucksack“, ist die „Bio-Plastik“ nach Expertenmeinung sogar teurer. So muss die aus pflanzlichem Rohstoff hergestellte Tragetasche dickwandiger sein, um die gleiche Stabilität zu garantieren. Deshalb ist die Tüte oder der Beutel aus „Bio-Plastik“ dem Pendant aus „Chemie-Plastik“ erst nach der 3-4fachen bzw. 25-32fachen Wiederverwendung überlegen. Und, wie steht es um die Verrottung von „Bio-Plastik“? Da diese nur unter speziellen Kompostierungsbedingungen (ständige Wärmezufuhr plus spezielle Bakterien) abläuft, gelangt Müll aus „Bio-Plastik“ selten in eine Kompostierungsanlage. Dadurch wird das dem umweltbewussten Verbraucher offerierte biologisch-abbaubare Verpackungsmaterial zum Etikettenschwindel. Um es mit Worten eines Umwelt-Lobbyisten, Thomas Fischer, deutlich auszudrücken: Die beste Tüte ist diejenige, die gar nicht erst entsteht. Das Fazit ist also, so wenig wie möglich Verpackungsmaterial beim Shopping mitzunehmen. Lassen wir auch die Hände vom Plastikspielzeug aus China und begeistern stattdessen unsere Kinder oder Enkelkinder für Spielzeug aus Holz. Prof. Dr. Peter Schönfeld

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