Der schöne Schein

Die Kerze – uralte Lichtquelle, Adventsaccessoire, Symbol der Hoffnung und naturwissenschaftliches Wunderwerk.
Advent – das ist wieder die Zeit der brennenden Kerzen, die unser Gemüt in dieser dunklen Jahreszeit erhellt und das Warten bis zum neuen Licht des Frühjahrs erleichtert. Steinzeitmenschen haben bereits vor 40.000 Jahren mit dem Licht von Fackeln der Dunkelheit getrotzt. Sicher wurden auch mit dem Licht dieser frühesten Form der Kerze die faszinierenden Felsenzeichnungen in der erst vor wenigen Jahren entdeckten Grotte Chauvet im südfranzösischen Ardèche-Tal erschaffen. In vielen Religionen symbolisiert die brennende Kerze die Seele, die im Reich des Todes leuchtet. Altarkerzen erinnern im Christentum an die Auferstehung Jesus. Die jetzt auf den Friedhöfen häufiger brennenden Grablichter beleben unser Gedenken an die Verstorbenen. Brennende Kerzen tragen auch mit ihrem Licht und den zugesetzten Duftstoffen zu unserer Wellness bei. Beim Candle-Light-Dinner ist es das Kerzenlicht, das die Intimität des Zusammenseins verstärkt und diesem den Touch der Einmaligkeit verleiht.

In solchen Momenten ist aber den wenigsten von uns bewusst, welches kleine naturwissenschaftliche Wunder sich gerade auf dem Tisch vollzieht. Über dieses berichtete in den Weihnachtsferien von 1860 der berühmte englische Naturforscher Michael Faraday einem aus Knaben und Mädchen bestehenden Auditorium in London. In seiner legendären „Naturgeschichte der Kerze“ erklärt der damals schon greise Faraday seinen jungen Zuhörern die Chemie und die Physik einer brennenden Kerze. Unter dem Eindruck des Gehörten sagte ein Zeitgenosse: „Das Kind, das diese Vorlesung gehört hat, weiß mehr vom Rätsel des Feuers als Aristoteles“.

Die Herkunft des Wortes Kerze liegt etwas im Dunkeln. Einer Deutung nach geht es auf charta zurück, womit im Lateinischen „Papyrusblatt, Schreibmaterial, Schriftstück“ gemeint ist. Dafür spricht auch, dass Kerzen lange Zeit aus mit Öl getränkter Birkenrinde hergestellt wurden und die Birkenrinde außerdem als Schreibunterlage diente. Es ist aber auch möglich, dass sich das Wort Kerze vom lateinischen cerata, dem Begriff für Wachs, ableitet. Sicher ist dagegen, dass die antiken Römer zur Herstellung früherer Kerzen gerollten Papyrus in flüssigen Talg, und später in flüssiges Wachs getaucht haben. Diese Kerzen spendeten allerdings nur kurze Zeit Licht und dieses musste auch aufmerksam gehütet werden. Vom antiken China weiß man, dass zu ihrer Herstellung pflanzliches Wachs in Papierrohre, die einen Docht aus gerolltem Reispapier enthielten, gegossen wurde.

Wahre Pioniere der Kerzenherstellung waren die Römer. Diese verfeinerten die Kerzenqualität so weit, dass etwa ab dem 2. Jahrhundert n. Chr. Kerzen ohne Rußen und Aufsicht in geschlossenen Räumen abbrennen konnten. Durch den liturgischen Bedarf der christlichen Kirchen und einer Verordnung zurfolge, durfte nur Bienenwachs für die Kerzenherstellung verwendet werden, was es zu einem wichtigen Handelsgut im Mittelalter machte. Bienenwachs ist ein von den Honigbienen ausgeschwitztes Gemisch von Estern aus langkettigen Fettsäuren (Palmitin- und Cerotinsäure) und eines Alkohols (Myricylalkohol). Nach der Absonderung nimmt es die Inhaltsstoffe des Blütenpollens auf, und erhält dadurch seine gelbe Farbe. Später wurde es durch den leichter verfügbaren Talg verdrängt, dem Eingeweidefett der Wiederkäuer (z. B. der Rinder). Bei der Seifenherstellung wurde das Stearin, ein aus pflanzlichen und tierischen Fetten hergestelltes Gemisch von langkettigen Fettsäuren, als Brennstoff entdeckt. Seine höhere Wärmestabilität verbesserte die Qualität der Kerze und ermöglichte ihre Manufaktur zu Beginn der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts.

 Eine andere, exotische Brennstoffquelle war das Walrat, eine fett- und wachshaltige Masse (hauptsächlich Cetylpalmitat), die aus der öligen Flüssigkeit (Spermaceti) des Pottwals gewonnen wurde. Da Walrat heller und sauberer verbrannte, wurden die aus Walrat hergestellten Spermaceti-Kerzen zur Luxusbeleuchtung. Ursprünglich nahm man an, dass das Walratöl das Sperma der Wale ist (Ceti = Seeungeheuer). Dieses Öl (ca. 3000 l bei einem 15 m langen Pottwal) befindet sich in einem melonenförmigen Gewebe über den Kieferknochen des Wals und dieses Gewebe ist für den Wal eine Art „Blindenstock“ zur Orientierung im Wasser. Der Bedarf an Walratöl für die Beleuchtung von Straßen und Leuchttürmen, aber auch als Schmieröl, wuchs so stark an, dass die Jagd auf Wale fast zu ihrem Aussterben geführt hat. Glücklicherweise wurde noch rechtzeitig die Gewinnung von Paraffin aus Erdöl entdeckt. Paraffin, ein Gemisch von langkettigen Kohlenwasserstoffen, ist der häufigste Brennstoff der heutigen Kerzen.

Um die brennende Kerze zu verstehen, müssen wir sie gedanklich in das Paraffin, den Docht und die Flamme zerlegen. Obwohl Bienenwachs, Stearin oder Paraffin viel Kohlen- und Wasserstoff enthalten, kann es mit einem Streichholz nicht entzündet werden. Dieses vollbringt erst der aus 20 bis 50 miteinander verflochtenen, speziell behandelten Baumwollfasern bestehende Docht, dessen Fabrikation die Kerzenhersteller als Geheimnis behandeln. Seine Funktion ist die einer  „Pumpe“ für das verflüssigte Paraffin. Am Fuß des Dochtes wird durch die Flamme die Paraffinpfütze angesaugt und innerhalb des Dochtes in gasförmige, leicht entzündliche Kohlenwasserstoffe umgewandelt. Diese verbrennen in einer scharf konturierten bis zu 1.400 Grad Celsius heißen Flamme. Die Flamme an sich kann es mit jeder künstlerischen Illumination aufnehmen. An ihrem unteren Ende umschließt ein blauer Flammenkelch den Docht und saugt dort die Luft an. Dieses blaue Licht wird durch die Chemilumineszenz von winzigen Kohlenstoffmolekülen (C2, CH) erzeugt und ist dem der Glühwürmchen verwandt. Im Flammenkelch „steht“ ein orangefarbener Flammenkern, der wiederum vom gelbstrahlenden Flammenmantel umschlossen ist. In seinem Inneren werden Rußpartikel zum Glühen gebracht und erzeugen dadurch die sogenannte Schwarzkörperstrahlung.

Diese Lichtstrahlung erklärte Max Planck vor rund 100 Jahren mit der gerade im Entstehen begriffenen Quantenphysik. Danach gleicht es dem von der Wendel einer Glühlampe abgegebenen Licht. Der Ruß ist übrigens das Produkt der „Feuerzertrümmerung“ (Pyrolyse) von gasförmigen Paraffinmolekülen in Abwesenheit von Sauerstoff. Zurück zur Flamme. Auf dem Flammenkelch, dem Flammenkern und dem Flammenmantel „reitet“ der Flammensaum. Abgesehen von der Ästhetik seiner schlanken Tropfenform und des von ihm abgestrahlten gold-gelben Lichtes, „korrigiert“ er auch das Wachstum des Dochtes. Wird dieser nämlich zu lang, neigt sich ein guter Docht zur Seite und lässt sein Spitze im heißen Flammensaum verglühen. Durch das Zusammenwirken von Docht und Flamme verflüchtigt sich der Kerzenbrennstoff zu Wasserdampf und Kohlendioxid.

Goethe lässt durch seinen Götz von Berlichingen sagen: „Wo Licht ist, ist auch viel Schatten“. Ganz so schlimm ist es aber im Fall der Kerze nicht. Als offenes Feuer ist die Kerze eine Gefahrenquelle, die nicht nur für den Weihnachtsbaum zum Verhängnis werden kann. Abgesehen davon ist ihre Leuchtkraft eine reine Energieverschwendung, denn nur 0,4% der im Paraffin gespeicherten Energie wird in Licht verwandelt. Und bei aller Behaglichkeit, die brennende Kerzen verbreiten, ihr Brennen hinterlässt Spuren in der Umwelt. So erzeugt Deutschland mit seinen brennenden Kerzen, das sind geschätzte 200.000 Tonnen verbranntes Paraffin, rund 600.000 Tonnen CO2. Diese Menge entspricht dem CO2-Ausstoß von einer halben Million Autos pro Jahr (130 Gramm CO2/km, bei 10.000 km Fahrleistung im Jahr). Aber wenn wir demnächst wieder der Hypnose des Kerzenscheins erliegen, müssen wir ja nicht unbedingt daran denken, dass durch den Kerzenzauber auch ein klein wenig das Klima gekillt wird. Prof. Dr. Peter Schönfeld

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