Wie aus „Simply wunderbar“ „Simply unfassbar“ wurde

Xenia Smits erspähte eine Lücke in der dänischen Deckung und erzielte einen der 17 deutschen Treffer. Am Ende waren es zu wenig, um das Ausscheiden zu verhindern. Foto: Eroll Popova

Die Sprachakrobaten in den Werbeagenturen hatten lange gefeilt am Motto für die Handball-Weltmeisterschaft der Frauen 2017, die in der gnadenbringenden Vorweihnachtszeit die Herzen der deutschen Sportsfreunde erfreuen sollte. Heraus kam der Spruch: „Simply wunderbar“. Darauf muss man erst einmal kommen. Der Slogan, modern englisch-deutsch verpackt, sollte wohl, ganz nebenbei, so etwas wie eine Hommage an das deutsche Team sein, dass es als Ziel formuliert hatte, sich beim Championat vor eigenem Publikum aus einem Jahre währenden Tief herauszuziehen.

Als nach der Vorrunde am Sonntagabend in Magdeburg die WM mit der K.o.-Runde eigentlich erst so richtig begann, verwandelte sich das anfangs heroisch-optimistische „Einfach wunderbar“ schnell in ein eher klägliches „Einfach unfassbar“. Was das Team um Bundestrainer Michael Biegler gegen Dänemark (17:21) offenbarte, reichte hinten und vorn nicht, um sich unter die besten Acht der Welt zu spielen. Obwohl es niemand so recht auszusprechen mochte: Es fehlte einfach die Qualität. Das selbst gesteckte Ziel Halbfinale verfehlten die „Biegler-Ladies“ klar. Zumal gegen einen Kontrahenten, der auch keinen Handball vom einem anderen Stern zelebrierte. Die Dänemark-Partie war nichts anderes als eine Fortsetzung der letzten Vorrundenbegegnung gegen die Niederlande (23:31), als der Gastgeber seine Grenzen bereits deutlich aufgezeigt bekommen hatte.

Die Spielerinnen standen in der Nacht zum Montag mit Tränen in den Augen in der Mixed-Zone der Getec-Arena und versuchten zu verstehen, was da zuvor 60 Minuten auf dem himmelblauen Bodenbelag über ihnen hereingebrochen war. Neben ihnen gab es allerdings noch einen weiteren Verlierer an diesem Abend: das Magdeburger Publikum. Über 4.100 – so viele waren noch nie zuvor bei einem reinen Frauen-Handball-Event in der Landeshauptstadt dabei – waren trotz heftigen Schneefalls in die Halle gepilgert, um die Deutschen nach vorn zu treiben. An ihrer Unterstützung, so der insgeheime Schwur, der durch die Arena wob, sollte es jedenfalls nicht fehlen.

Gedacht, getan. Selbst haarsträubende Fangfehler, vergebene Großchancen in Serie, Unfähigkeiten im Spiel sechs gegen vier und anderes schwarz-rot-goldenes Unbill vermochten die Unterstützung von den Traversen nicht zu stoppen. Bis zum bitteren Ende nicht. Die Klatsch-Instrumente funktionierten weiterhin. Ein Publikum, wie ein ausländischer Reporter anmerkte, mit echten Nehmer-Qualitäten. Schade ebenso für die nimmermüden Magdeburger WMOrganisatoren samt der 140 Volunteers, die alles unternommen hatten, die Partie möglichst zu einer Sternstunde des deutschen Frauenhandballs werden zu lassen. Immerhin war es nach der Männer-WM 2007 erst das zweite Mal überhaupt, dass sich die Weltelite der ballwerfenden Zunft in der Elbestadt ein Stelldichein gab.

Als gescheitert muss nach dem Desaster von Magdeburg vorerst der Versuch angesehen werden, den deutschen Frauenhandball hierzulande Stück für Stück aus seinem Nischen-Dasein herauszuführen. Die Heim-WM sollte, nach dem Hoffnung machenden Rang sechs bei den europäischen Titelkämpfen 2016, dazu beitragen, zumindest ein Stück aus dem Schatten der schier übermächtigen Männer, immerhin Europameister und Olympiadritter, herauszutreten. Aus dem Fußball weiß man ja, dass dies Frauen gelingen kann, wenn zumindest zwei Dinge erfüllt sind. Zum einen, wenn es sich um die Nationalmannschaft handelt, und zum anderen, das ist die bittere Seite der Medaille, wenn zumindest bemerkenswerte Erfolge (etwa Medaillen bei Olympia, Welt- und Europameisterschaften) vorzuweisen sind.

Das frühe Ausscheiden bei der Heim-WM – deren 20-monatige Vorbereitung Coach Biegler kryptisch als „Projekt“ bezeichnet hatte – ist nun Wasser auf die Mühlen all derer, die stets behaupteten, Mannschaftssportarten der Frauen würden es in Deutschland in der Gunst des Publikums stets schwer haben und es nie völlig nach oben schaffen. Vielleicht eben mit der rühmlichen Ausnahme des Fußball-Nationalteams und, na gut, der Beachvolleyball-Girls oder der Biathlon-Staffel. Die Gründe für dieses Denken werden oft gleich mitgeliefert: Unsere Gesellschaft sei eben – trotz formaler juristischer Gleichstellung der Frau – weiterhin durch und durch patriarchalisch geprägt. Selbst wenn die Handballfrauen vor eigenem Publikum Erfolg gehabt hätten (was ja nun nachweislich nicht der Fall ist), wäre ihnen der Durchbruch nicht gelungen, hatte Andreas Thiel, Ex-Nationalkeeper und Justiziar der Handball-Bundesliga, schon vor Turnierbeginn prophezeit. „Das wird keine nachhaltige Wirkung haben", erklärte Thiel. „Die Ladies werden immer regionale Prinzessinnen bleiben.“ Frauensport sei in Deutschland Randsport, so der 57-Jährige. Zu Bundestrainer Biegler habe er immer gesagt: „Du willst mehr Aufmerksamkeit haben für deine Ladies? Schick sie zum Playboy, dann hast du mehr Aufmerksamkeit." Rudi Bartlitz

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