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Nach längerer Pause wieder im Nationalkader: SCM-Linksaußen Matthias Musche. Foto: P. Gercke

Im Magdeburger Handball herrscht derzeit die berühmte Ruhe vor dem Sturm. Nimmt man einmal das bedeutungslose EHF-Cup-Spiel im dänischen Silkeborg heraus, heißt das: 14 Tage keine Partie für die Jungs von Trainer Bennet Wiegert. Geradezu himmlische Zustände, ansonsten has-tet der SCM in diesem Frühjahr bei seinem Tanz auf drei Hochzeiten (Meisterschaft, EHF-Cup, DHB-Pokal) nahezu im Drei-Tage-Rhythmus durch Raum und Zeit. Halt, so ganz stimmt es nicht: Zumindest drei Nationalspieler der Grün-Roten mussten in der Länderspielpause ran: die beiden Deutschen Matthias Musche und Dario Quenstedt sowie der Serbe Nemanja Zelenovic. Denn: sie spielten gegeneinander.

Das Erfreuliche vorweg: Mit Linksaußen Musche und Torhüter Quenstedt, der für den wegen eines Trauerfalls verhinderten Berliner Silvio Heinevetter einsprang, hatte der SCM nach gefühlt ewigen Zeiten wieder mal zwei Akteure in der Nationalmannschaft an Bord. Nachdem deren Trainer Christian Prokop bei der Pleite-EM im Januar gänzlich auf SCM-Spieler verzichtet hatte; wie zuvor schon beim Heimländerspiel gegen Schweden, ausgerechnet in der Getec-Arena. Unter heimischen Fans wurde schon offen gefragt: Hat etwa Prokop, der ja zwei Jahre die Youngsters trainiert hatte, dem also sogar ein gewisser Magdeburger Stallgeruch anhaftet, etwas gegen unsere Leute? Und wenn ja, warum?

Nun, nach dem EM-Desaster, als das als Titelverteidiger und Mitfavorit ins Rennen gegangene deutsche Team kläglich in der Hauptrunde rausflog, wurde der ehrgeizige Prokop zurechtgestutzt. Zwischenzeitlich hatte es sogar so ausgesehen, als würde er seinen Job – garniert mit einem Fünf-Jahres-Vertrag und einem kolportierten Gehalt von knapp einer Viertelmillion Euro pro anno – verlieren. Der Bruch, der sich in Kroatien zwischen ihm und der Mannschaft aufgetan hatte (einige Leistungsträger kündigten intern schon an, nicht mehr unter Prokop spielen zu wollen), schien ziemlich unüberbrückbar. Zumal Prokop aus einer Reihe von Bundesliga-Vereinen gehöriges Sperrfeuer entgegenschlug. Dass er Abwehrchef Finn Lemke (Melsungen) zunächst überhaupt nicht nominierte, war ein Anfängerfehler, der das Fass für einige Kritiker zum Überlaufen brachte.

In einer mühevollen Aktion versuchte der Verband, die unübersehbaren Risse zwischen Trainer und Team zu kitten, nachdem man sich vorher (nach einer wochenlangen internen Analyse des EM-Versagens) dafür ausgesprochen hatte, Prokop noch eine Chance zu geben, die Zusammenarbeit mit ihm fortzusetzen. Unter etwas veränderten Bedingungen allerdings. Der Trainer, der als ziemlich beratungsresistent gilt,  musste ganz offenbar Abstriche an seinem Konzept vornehmen. Die Bundesligatrainer wurden plötzlich eingeladen, ihre Ideen für die Nationalmannschaft einzubringen. Ein Novum. Mit Teammanager Oliver Roggisch sitzt nun neben Prokop und dessen Co. ein Mann mit auf der Bank, dessen Aufgabe bisher eher nebulös umschrieben ist. Nicht allzu Wohlmeinende wollen in ihm sogar so etwas wie einen Aufpasser für den Coach sehen.

Nach zwei souveränen Testspielerfolgen über ein besseres serbisches B-Team wurde am Wochenende die große Friedenspfeife ausgepackt. Alle befragten Spieler beschworen, einen dicken Strich unter die Vergangenheit zu ziehen und einen Neuanfang starten zu wollen. Seinen Rücktritt aus dem Team hat keiner erklärt. Dabei spielt wohl auch eine Rolle, dass in bereits neun Monaten die nächste Weltmeisterschaft auf dem Programm steht. Und die findet in Deutschland statt. Da will natürlich jeder dabei sein. „So ein Großereignis wie eine WM im eigenen Land erlebt man in einem Sportlerleben vielleicht nur einmal. Deshalb wollen wir schnell alles vergessen“, sagte Patrick Wiencek, einer der Wortführer des Teams, nach dem reibungsfreien Aufgalopp gegen Serbien. Wie er denken sicherlich die meisten.

Trotz des neuen Rütli-Schwurs dürfte es für Prokop alles andere als einfach werden. Zum einen besitzt er kaum noch Möglichkeiten für ernste Testspiele. Zum anderen dürfte er inzwischen erkannt haben, dass sein anspruchsvolles System, Handball spielen zu lassen, wohl nach jahrelangem Üben und Einstudieren mit einem Klubteam (bei ihm: DHfK Leipzig) gelingen kann, in einer Nationalmannschaft – wo die Akteure außerdem in die unterschiedlichsten Klub-Systeme integriert sind – aber einfach die Zeit für akribische Arbeit fehlt. Viel wird zudem davon abhängen, ob es ihm gelingt, die Vakanz auf der Spielmacherposition, seit Jahren ein grundlegendes Problem des deutschen Handballs, zufriedenstellend auszufüllen. Viel Auswahl unter deutschen Spielern bietet ihm die Bundesliga da jedenfalls nicht.

Die Zerreißproben werden in dem Moment kommen, wenn für einige der Spieler der Traum von der WM im eigenen Land platzt, weil sie aus dem Kader gestrichen werden. Einen Vorgeschmack darauf hatte es bereits in den Wochen vor der EM 2018 gegeben. Oder spätestens während der Weltmeisterschaft selbst, wenn ganz andere Kaliber als S­erbien warten und Trainer und Mannschaft in Stresssituationen einen gemeinsamen Weg finden müssen. Rudi Bartlitz

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