Schuld und (wenig) Sühne

Ein völlig misslungener Foto-Auftritt zweier deutscher Fußball-Nationalspieler und seine Folgen.

Über die Macht von Bildern, stehenden wie bewegten, wird seit langem trefflich diskutiert. Der Faszination, die von ihnen auszugehen vermag, können sich nach wie vor viele nicht entziehen. Die Macht der Bilder ist unumstritten. Und das ist auch gut so. Daran vermochte, gottseidank, selbst die allgegenwärtige Digitalisierung (und die damit einhergehenden Möglichkeiten der Manipulation) bisher wenig zu ändern.

Manchmal sorgen Bilder allerdings dafür, Illusionen zu zerstören. Dinge in einem anderen Licht zu zeigen als man sie bisher zu sehen geglaubt hat, man sie vielleicht sehen wollte. Dazu müssen sie nicht einmal künstlerisch wertvoll sein. Manchmal reicht es schon, wenn sie die Realität ungeschminkt abbilden. Hätte es noch eines Beweises für diese These bedurft, die jüngste Debatte um die Aufnahmen der beiden deutschen Fußballer Mesut Özil (Foto) und Ilkay Gündogan mit dem türkischen Präsidenten Recep Erdogan, aufgenommen bei einem Treffen in London, liefert sie frei Haus.

Eigentlich waren es nichts anderes als Allerwelts-Protokollfotos. Als sie erstmals in den sozialen Medien erschienen, ging dennoch ein regelrechter Aufschrei durchs Land. Zwei in der Bundesrepublik geborene und aufgewachsene, türkischstämmige Nationalspieler, freundlich lächelnd und mit devoten Worten, ausgerechnet an der Seite des Despoten von Ankara! Einer, der die Menschenrechte knebelt, Kritiker ins Gefängnis wirft, der Krieg führt in Syrien und gegen die Kurden im eigenen Land. Das schrie geradezu nach Landesverrat der beiden.

Schnell waren Stimmen zu hören, sie dürften nie wieder das deutsche Trikot tragen: Sollen sie sich doch zurück in die Türkei scheren! Wer nicht gar so tief in die Kiste des abschätzigen Wortschatzes greifen wollte, sprach zumindest von Eklat, von Empörung oder Wut. Enttäuschung war noch die harmloseste Vokabel. Selbst die Politiker in Berlin, so sehr sie sich ansonsten fetzen mögen, waren sich von den Linken bis zur AfD insoweit einig, dass sich dies absolut nicht gehöre. Dass Özil und Gündogan, wie auch immer, der deutschen Sache Schaden zugefügt hätten.

Gerade im Fußball, der hierzulande immer noch mehr ist als purer Spaß und reines Spiel. Vielleicht sogar das, wie der „Spiegel“ schrieb, „einzige nationale Heiligtum“, auf das sich in diesen bewegten Zeiten noch alle „voller Stolz und Hingabe“ einigen könnten. Die Meinungsforscher waren schnell zur Stelle und meldeten: Zwei Drittel der Bundesbürger glauben, das Ansehen der Nationalmannschaft sei beschädigt. Immerhin noch 36 Prozent befürworteten den sofortigen Rauswurf der Missetäter aus dem schwarz-rot-goldenen Team.

Und natürlich blieb es nicht beim Spiel mit dem runden Ball. Schnell rankte sich die Diskussion darum, ob hier nicht, exemplarisch sozusagen, die ganze Integrationspolitik, auf die dieses Land doch so stolz ist, sich in Luft aufzulösen beginne. Ein Werbe- und Wahlkampfauftritt war binnen Stunden zum Politikum geworden. Selbst die Bundeskanzlerin, die ansonsten immer eine geraume Zeit verstreichen lässt, bevor sie sich, wenn überhaupt, zu Wort meldet, mischte sich über ihren Regierungssprecher schnell in die Debatte ein. Spätestens hier ahnte man: Es geht um mehr.

Richtig, es geht um mehr. Darum, ob die ganze Rederei von der Integration noch etwas wert ist, wenn schon zwei hochgepäppelte und millionenschwere Nationalspieler zum Feind überlaufen. Und darum, welches Signal die Fotos von London an die Basis senden? Dahin, wo der Sport bisher als eines jener Gesellschaftsfelder gilt, das die Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund noch am besten in den Griff bekommt. Zumindest in diese Richtung hat die Aktion von Özil und Gündogan schon heute tatsächlich fatale Folgen. Weil die Frage mitschwingt, wie ernst man es mit der Integration hierzulande nimmt, ob vieles nicht nur Lippenbekenntnisse sind.

Des Weiteren stellt sich eine ganz einfache Frage: Ist es nicht etwas zu kurz gegriffen, bei den Beweggründen für den Londoner Auftritt nur auf Argumente wie Heimatromantik oder angebliche Naivität junger Fußballer („Zu viele Kopfbälle“) zu schauen. Oder ob es nicht vielmehr zentral um das Thema geht, das den Profifußball so oft bestimmt: das Geld. Als beide vor der Wahl standen, sich für die türkische oder deutsche Elf entscheiden zu müssen, schlug das Pendel für jenes Team aus, das ihnen bessere Verwertungschancen bot – in diesem Fall: Auftritte bei der WM und sogar Aussichten auf Titel. In der Türkei hätten sie die eindeutig nicht gehabt.

Mit anderen Worten: War die Entscheidung für das Land, in dem sie aufgewachsen sind, weniger Verbundenheit, sondern einfach nüchternes Kalkül? Wenn es um zweistellige Millionensummen geht, welche Rolle können da noch Ehre, Werte, Vorbild oder Nation spielen? Der DFB hat sich nach einer kurzen Gefühlsaufwallung für die sanfte Tour entschieden, beide im Team belassen. Schließlich beginnt in zwei Wochen die WM in Russland. Ob es aber ausreicht, mit ein paar routinierten Worten der Kritik, wie von Bundestrainer Joachim Löw und Teammanager Oliver Bierhoff, zur Tagesordnung überzugehen und das Thema diskret zu den Akten zu legen, sei dahingestellt. Zumal sich die DFB-Spitze in der Vergangenheit stets stolz in die Brust warf, wenn es galt, die angebliche gesellschaftliche Vorbildrolle des Nationalteams herauszustellen.

Um jetzt in der Türkei-Frage aktuell nicht allein alle Schuld ausschließlich auf das Fehlverhalten zweier Kicker abzuladen, sollte man auch dies im Auge haben: Gesellschaft und Politik erwarten von Fußballern ganz offensichtlich eine klarere Linie gegen Erdogan, als sie sie selbst einschlagen. Schließlich war es die Bundesregierung, die mit dem Potentaten einen Pakt einging, wenn er nur mithalf, die Zahl der Flüchtlinge drastisch zu verringern, die es nach Deutschland schaffen. Oder nehmen wir Normalbürger Max Mustermann. 2016 schien es zunächst so, als habe die Verfolgungswelle in der Türkei, unter der Zehntausende zu leiden hatten (und weiterhin haben), zumindest bei einem Teil der Bundesbürger zu der Konsequenz geführt, das Land am Bosporus als Urlaubsziel zu meiden. Davon ist im Frühsommer 2018 nicht allzu viel übrig geblieben. Die Foto-Aktion Özils und Gündogans wird zwar laut missbilligt, Buchungen von Flügen nach Antalya oder Izmir schnellen dennoch wieder rasant in die Höhe. Rudi Bartlitz

Zurück