Kräfteverschiebung

Ein starkes Team: SES-Chef Ulf Steinforth (Stehend, Sechster von rechts) inmitten seiner Boxer, Trainer und Helfer. Foto: Peter Gercke

SES-Boxing macht dem Sauerland-Stall die Rolle als Nummer eins in Deutschland streitig.
Seit einigen Wochen geht in Magdeburg eine „Viererbande“ um. Richtig schwere Jungs. Knapp 80 Kilo bringt jeder von ihnen auf die Waage, zuweilen sogar etwas mehr. Damit von Anfang an keine Irritationen aufkommen, wir reden hier von Faustkämpfern des einheimischen SES-Stalls. Von vier Halbschwergewichtlern, die bei Promoter Ulf Steinforth unter Vertrag stehen. Was die Sache noch interessanter macht: Es sind die vier besten in Deutschland in ihrer Gewichtsklasse. So etwas hat es im deutschen Profiboxen noch nicht gegeben. „Beim früheren Universum-Team aus Hamburg kämpften, wenn ich mich recht erinnere“, so Steinforth im Gespräch mit Magdeburg Kompakt, „einmal drei Spitzen-Akteure in ein und demselben Limit. Aber vier? Das hatten wir so wirklich noch nicht.“

Es ist keineswegs eine Laune der Natur, die Dominic Bösel, Adam Deines, Enrico Kölling und Stefan Härtel jetzt unter SES-Flagge zusammenführt. Steinforth hat diesen Schritt bewusst gewählt. Er will damit, sagt der 50-Jährige Unternehmer, noch mehr Feuer entfachen, den Leistungsdruck erhöhen, seine Boxer noch besser machen. „Alle vier sind zwischen 26 und 30, im besten Boxeralter also. Sie können noch Jahre aktiv sein. Durch gemeinsames Training und Sparring können und sollen sie sich untereinander noch mehr pushen.“ Nur so sei es möglich, in den Weltranglisten ganz nach oben zu klettern. Dazu gehören ebenso Stallduelle wie der im Sommer anstehende Europameisterschaftskampf zwischen Titelverteidiger Bösel und Pflichtherausforderer Kölling. „Die Jungs kennen meine Pläne, ich habe mit jedem einzeln darüber gesprochen. Unser   oberstes Ziel ist, wir wollen guten Sport zeigen.“

Möglich wurde diese ungewöhnliche Konstellation erst, weil Kölling und Härtel bei der langjährigen Nummer eins in Deutschland, dem Sauerland-Team, keine Anstellung mehr fanden. Nach dessen Umsiedlung von Berlin nach Hamburg dünnen die Reihen dort immer mehr aus. Neben den beiden Neu-SES-Leuten verließ auch Ex-Weltmeister Jack Culcay den Stall, Arthur Abraham und Schwergewichtler Kubrat Pulew sind Auslaufmodelle. Am schwersten dürfte Sauerland, der die Zukunft seines Unternehmens ganz offenkundig vor allem In England und Skandinavien sieht, jedoch der Verlust des derzeit nach einer Operation noch in der Reha befindlichen Kult-Trainers Ulli Wegner treffen. Der Magdeburg-Fan („Hier hatte ich mit Sven Ottke meine schönsten Kämpfe“) protestiert seit längerem  gegen die Schließung des Berliner Gyms, einen Wechsel nach Hamburg schließt der 75-Jährige kategorisch aus.

Interessanter Nebeneffekt dieser Entwicklung: Zumindest auf dem deutschen Markt sieht es ganz so aus, als könnte Steinforth die Rolle als Branchenführer demnächst übernehmen. Wenn er sie nicht schon besitzt. Jener Steinforth, der als Selfmade-Mann 2001 mit damals zwei Aktiven unter bescheidenen Verhältnissen den ersten ostdeutschen Boxstall überhaupt aus der Taufe hob. Und der zu den damaligen Riesen Klaus-Peter Kohl (Universum) und Wilfried Sauerland, den beiden führenden Unternehmen in Europa, nur staunend aufblicken konnte. Heute existiert Universum gar nicht mehr, und Sauerland bläst ganz offenkundig zum Rückzug. Seit die TV-Gelder nicht mehr üppig fließen, muss der einstige Krösus kräftig sparen. In Deutschland ist für ihn, der mit Tyron Zeuge nur noch einen Weltmeister in seinen Reihen weiß, nicht mehr viel zu holen.

15 Boxer hat SES mittlerweile unter Vertrag. Er werde sich, unterstreicht Steinforth, auch in Zukunft weiter auf die schweren Gewichtsklassen vom Supermittel- bis zum Schwergewicht konzentrieren. „Dort sind international für uns die Chancen einfach am größten.“ Bereits am 21. April wollen die ganz schweren Jungs im Berliner Estrel-Hotel wieder zuschlagen. Agit Kabayel verteidigt seinen EM-Gürtel, Tom Schwarz seinen Interconti-Titel. „Mit 25 und 23 Jahren gehört beiden im höchsten Limit absolut die Zukunft.“ Einen kleinen Luxus zu den Muskelprotzen leistet sich der Magdeburger Promoter dann aber doch: Super-Weltergewichtler Mohammed Rabii. Der Marokkaner, Olympia-Bronzemedaillengewinner von Rio und als Profi in bisher vier Gefechten ungeschlagen (dreimal K.o), gilt als einer der aufstrebenden Stars des internationalen Boxgeschäfts. Mit dem französischen TV-Sender Canal + und dem marokkanischen Fernsehen besitzt SES exzellente Vermarktungspartner im frankophonen Raum. Steinfort: „Der Junge ist ein Glücksgriff.“ Rudi Bartlitz

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