Keine Kritik, nur kuscheln

Der Trend ist unübersehbar: Fußball-Großvereine versuchen, sich von der journalistischen Berichterstattung möglichst abzukoppeln. Der FC Bayern hat den ersten 24-Stunden-Kanal eines deutschen Klubs ins Leben gerufen.
Es ist ein Stück aus einer, hoffentlich, noch sehr fernen Zukunft. Es geht so: Der FC Bayern München steht, wieder einmal, im Finale der Champions League. Aber Live-Bilder von diesem Top-Event sind nicht einmal mehr im Bezahlfernsehen zu bekommen. Einziger Anbieter ist das vereinseigene Bayern-TV, das in einem bravourösen Coup der wieder einmal finanziell klammen UEFA unter die Arme griff und die Rechte abkaufte. Als Kommentatoren und Reporter agieren an diesem Tag Leute, denen jedes kritische Wort über die Roten von der Isar von jeher ein Graus ist. In der Münchner Chefetage feiern sie und sehen es als Erfüllung eines jahrzehntelangen Traums an.
Wer dies nun als eine böse Fiktion ewig bayern-kritischer Reporter ansieht, verkennt zumindest unübersehbare Signale der Jetzt-Zeit.  So zum Beispiel dieses: Vor kurzem beging der deutsche Rekordmeister seinen 117. Geburtstag. Und weil zu einem solchen Anlass nicht mit Glückwünschen oder gar Präsenten aus Dortmund oder Leipzig zu rechnen war, beschenkten sich die Bayern eben selbst. Mit einem eigenen Fernsehsender. Er soll Millionen von München-Fans das Gefühl vermitteln, ganz nah dran am Geschehen zu sein. Für 5,95 Euro im Monat.
Das erste lineare Klub-Fernsehen Deutschlands sendet, wie stolz angemerkt wurde, rund um die Uhr, 24 Stunden am Tag. Die volle Dröhnung FC Bayern München. Überall jubelnde und fröhliche Bayern, Konfettiregen, jede Menge Pokale und Heldenverehrung in Zeitlupe, unterlegt von emotionaler Musik. Arjen Robben verspricht „exklusive Einblicke und einzigartige Formate“. Es werden Bayern-Nachrichten gezeigt, große Bayern-Spiele wiederholt und zwischendurch Bayern-Gespräche geführt. Diejenigen, die sich die Sendungen ansehen, bemerken allerdings nach kaum mehr als 20 Minuten, dass erste Wiederholungen eingestreut werden. Bayern als Endlos-Schleife sozusagen. Als Moderatoren agieren Ex-Weltmeister Klaus Augenthaler und der relativ unbekannte Ex-Spieler Andreas Ottl. Wie man auf die beiden in der Branche noch nicht durch Brillanz hervorgetreten „Ansager“ gekommen ist, wäre vielleicht eine Posse für sich. Wahrscheinlich hatten sie gerade Zeit …
Festzuhalten bleibt jedenfalls: Die Vereine werden selbst zum Medium. Und das Beste: Sie können sich alles so zurechtbasteln, wie sie wollen. Unangenehmen Fragen? I, wo! Unabhängige Medien als ungeliebte Konkurrenz? Das hätte gerade noch gefehlt! Die Klubs haben allein das Sagen. Was wichtig ist, bestimmen sie. Keine Kritik, nur Kuscheln. Wichtig ist nur, dass beim Kunden der Anschein erweckt wird, dass sich die Beiträge des eigenen Kanals kaum von denen der öffentlich-rechtlichen, privaten und Pay-TV-Sender unterscheiden.
Zwar werden die Bemühungen des FC Bayern vielerorts mit Argwohn gesehen, doch was Lokalrivale TSV 1860 München derzeit tut, geht gar nicht. Die Sympathiewerte für den Club erreichen gerade nie gesehene Minuswerte. Ende November verhängte 1860 einen allgemeinen Medienboykott, der jordanische Investor Hasan Ismaik war die kritischen Fragen der Journalisten zur Entlassung des Trainers Kosta Runjaic leid. Im Januar entzog der Klub lästigen Journalisten dreier Zeitungen sogar die Dauerakkreditierung – wieder fand man den Ton der Artikel unangemessen.
„Ich sehe die Entwicklung mit Sorge“, sagte Thomas Horky, Professor für Sportjournalistik an der Hamburger Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation (MHMK), der Wochenzeitung „Die Zeit“. Und weiter: „Dadurch wird die Arbeit unabhängiger Medien verhindert. Das ist Nichtjournalismus.“ Problematisch wird es vor allem, wenn die Vereine Interviewanfragen der Presse zu sensiblen Themen mit dem Hinweis auf im eigenen Kanal geführte Gespräche ablehnen. Oder wenn sie Informationen bewusst vorenthalten.
Mit seinem Schritt zum TV-Veranstalter hat der FC Bayern indes nur nachvollzogen, was die internationale Konkurrenz längst tut. Der FC Barcelona, Real Madrid und Manchester United machen schon seit Jahren ihr eigenes Fernsehen. Wer für sich beansprucht, im Fußball an der Spitze zu stehen, darf eine solche Entwicklung nicht verschlafen. Ein eigener Fernsehsender ist gut für die Außendarstellung und verringert die Abhängigkeit von dem, was Journalisten über einen berichten. „Wir haben die Möglichkeit, selbst die Botschaft rauszusenden“, sagte Bayern-Marketingvorstand Andreas Jung auf einer Tagung im Januar. Das Entscheidende sei, „dass man die eigene Marke so positionieren und steuern“ kann, wie man das möchte.
Auch wenn die Bayern mit ihrem 24-Stunden-Hauskanal der inländischen Konkurrenz wieder einmal einen Schritt voraus sind, an selbst produzierten Bewegtbildern versuchen sich längst auch die Mitbewerber. Nahezu alle Vereine der  Bundesliga bieten über Internet-Streams kostenpflichtige Video-Inhalte an, die insbesondere für Fans interessant sind. Neben Zusammenfassungen und Pressekonferenzen werden hier auch Vor- und Nachberichte sowie exklusive Informationen bereitgestellt. Die Verantwortlichen sind sicher: Das Klub-TV wird in Zukunft eine beträchtliche Rolle dabei spielen, ihre Erlöse und auch Erträge abzusichern und zu erhöhen. Noch scheint das allerdings nur für die erste Bundesliga zu gelten. In den Klassen darunter lohnt es wirtschaftlich kaum. Drittligist 1. FC Magdeburg jedenfalls hat seine Versuche, ein eigenes FCM-TV auf die Beine zu stellen, schon vor geraumer Zeit eingestellt.
Dennoch, die im Spitzenfußball mittlerweile gängigen Praktiken färben natürlich ab. Andere, gleichfalls professionell betriebene Sportarten würden sie am liebsten klonen. Doch Gott sei Dank stehen davor noch drei hinderliche Worte: das öffentliche Interesse. Es ist in der Regel nicht derart groß, um im Basketball, Handball oder Eishockey – von anderen ganz zu schweigen – einen eigenen Kanal zu rechtfertigen: soll heißen, ihn wirtschaftlich zu stemmen. Und möglichst noch Gewinn damit zu erzielen. Nichtsdestotrotz sind vielerorts Signale zu sehen, das Zepter mehr und mehr selbst in die Hand zu nehmen.
Dazu, glauben die Macher, haben sie mit dem Internet und den sogenannten sozialen Medien inzwischen genau das richtige Medium zur Hand. Man ist nicht mehr an journalistische Filter und Flaschenhälse gebunden, die in Form von Sportredaktionen partout noch existieren. Digital können eigene Inhalte, so die Kalkulation, ungebrochen und unkommentiert direkt an den Verbraucher gebracht werden. Eine mehr oder weniger lästige Einmischung von außen würde so entfallen. Das macht sich besonders dann gut, wenn man weiß, dass es sich bei den Geschichten aus den Klubs in der Regel um solche mit einem durch und durch positiven Inhalt handelt. Die Frage der Relevanz einer Nachricht stellt sich nicht (mehr). Eine weitere Frage, die sich allerdings unweigerlich erhebt: Für wie einfältig (und duldsam) wird der Empfänger derartiger News eigentlich gehalten?
Für klubeigenes Fernsehen spricht andererseits, und das muss man ebenso klar benennen, dass es einem Teil der Anhängerschaft ganz offenbar nicht nach einer allseitigen, schon gar nicht nach kritischen Information dürstet. Ihr genügt es ganz offenkundig, mit „Klub-Nachrichten“ nach Art des Hauses versorgt zu werden. Genau in diese Kerbe hieb auch Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge, als er über die Premiere des eigenen Kanals sprach: „Hier kriegt man wirklich die neuesten News und vor allem die News, die gesichert der Wahrheit entsprechen.“ Was wohl unterschwellig heißen soll, bei anderen Medien sei das nicht unbedingt der Fall, zumindest nicht immer.
Und überdies: Welche Wahrheit meint Rummenigge? Wenn die Bayern über sich berichten, tun sie das natürlich in ihrem Sinne. Sie werden sicher nicht Franz Beckenbauer fragen, was es mit den 6,7 Millionen Euro auf sich hat, die vor der WM 2006 nach Katar oder sonst wohin geflossen sind. Oder Uli Hoeneß in die Mangel nehmen. Und es war auch nicht RMTV, der Sender von Real Madrid, der die Steuertricks von Cristiano Ronaldo aufgedeckt hat. Das war der „Spiegel“.
Bedenklich sicher, verdammenswert ist ein klub-eigenes TV nicht a priori. Es wird es erst dann, wenn für diesen Kanal wichtige Informationen und Interviews zurückgehalten werden, um sie exklusiv zu präsentieren. Wenn versucht wird, sich wie ein unabhängiges Medium zu gerieren, de facto aber nichts anderes als ein reines Kommunikationswerkzeug dahintersteckt. Ohne störende Journalisten. Die Konsequenzen aus der abgeschotteten Medienarbeit sind nicht neu: „Einen Bayernspieler ins Studio zu bekommen, ist extrem schwierig“, meint der Sportchef des Bayrischen Rundfunks, Klaus Kastan. „Wir haben in letzter Zeit keinen bekommen, warum, weiß ich auch nicht.“ Ein Grund könnte sein, dass der Rekordmeister sehr genau darauf achtet, wer wo in der Kette der eigenen Interessen steht. Beim Vereinsmotto „Mia san mia“ scheint der wichtigste Abnehmer klar: die eigenen Vereinsmedien und Social-Media-Kanäle. Danach kommt der Bundesliga-Rechteinhaber Sky und dann erst die Zweit- und Drittrechte-Inhaber.
Und am Ende zahlt der Fan noch fürs Klub-TV. Kein Zweifel, so muss sie aussehen – die perfekte Verwertungskette. Rudi Bartlitz

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