Kallnik:„Sorgsam mit unserem Fußball umgehen“

Immer mittendrin: Manager Mario Kallnik (2.v.r.) mit Trainer Jens Härtel, Betreuer Heiko Horner und Pressesprecher Norman Seidler (v.r.). Foto: Peter Gercke

FCM-Manager Mario Kallnik spricht im Interview mit Magdeburg Kompakt über Konflikte und Gefahren, mit denen sich Deutschlands Volkssport Nummer eins derzeit konfrontiert sieht.

Besteht Gefahr für den Fußball, dass er sich angesichts der Gewalt in den Stadien, angesichts zunehmender Kommerzialisierung und der Debatte um  horrende Spielergehälter immer mehr von der Lebensrealität der Menschen entfernt?
Mario Kallnik: Das ist eine Gemengelage, bei der sich aufgrund unterschiedlicher Ursachen für einzelne Erscheinungen die gestellte Frage ganz schwer nur mit ja oder nein beantworten lässt. Da muss man sich schon die einzelnen Felder ganz genau anschauen
 
Bitte.
Die aktuelle Situation ist so, dass derzeit insbesondere die aktiven Fanszenen in Deutschland ihre Frustration gegenüber dem DFB offen austragen. Dabei geht es unter anderem um Themen der Entfremdung des DFB von den Fans, die aktuelle Sportgerichtsbarkeit, ausufernde Kommerzialisierung und die Relegationsregelungen. Andererseits gibt es eben auch in der Fanszene verschiedene Lager mit verschiedenen Interessen.
 
Nun haben aber die Radikalen unter den Fans dem DFB sogar „den Krieg erklärt“.
Für mich steht außer Frage, dass Wörter und Ideologien von Krieg, Gewalt und Einsatz von Pyrotechnik zur Gefährdung der Gesundheit von Menschen  nichts im Fußballsport verloren haben. Wenn Menschen diese Ideologien für sich vereinnahmen, verfolgen sie andere Interessen, als den sportlichen und emotionalen Wert des Fußballsports zu erhalten. Voraussetzung für Veränderung ist der gemeinsame Dialog mit dem gemeinsamen Bekenntnis, diesen Ideologien abzuschwören bzw. diese nicht tolerieren zu wollen. Der 1. FC Magdeburg ist unter dieser Voraussetzung stets bereit, das Gespräch mit allen Fan-Gruppierungen zu führen und aufrechtzuerhalten. Gemeinsam, respektvoll und konstruktiv miteinander Gespräche zu führen und dabei für beide Seiten vertretbare Kompromisse schließen zu wollen, muss der Anspruch aller Partner am Runden Tisch sein.
Allerdings sind alle Pyro-Verbote bisher ins Leere gelaufen. Noch nie ist in Stadien derart viel gezündelt worden wie in der zurückliegenden Saisonzeit. Es gibt den sogenannten Chemnitzer Weg, der als Modellprojekt in einem abgegrenzten Bereich das angemeldete Abbrennen von Rauchfackeln erlauben will. Würden Sie diesen Weg mitgehen?
Wenn die dazugehörigen gesetzlichen Bestimmungen vorliegen und konsequent eingehalten werden, wäre das für mich ein darstellbarer Weg. Das Chemnitzer Modell schließt ja nicht umsonst alle Feuerwerkskörper und nicht-löschbare Pyrotechnik, die unter das Sprengstoffgesetz fallen, ausdrücklich aus.

Gerade beim Pyro-Einsatz ist der FCM wahrlich ein gebranntes Kind, musste schon häufig Strafen zahlen.
Wir befürworten die Einführung eines transparenten und differenzierten Strafsystems im deutschen Fußball. Aus unserer Sicht gibt es schon einen Unterschied, ob ich Pyrotechnik zur Untermalung von Choreografien oder zum Schaden anderer Menschen bewusst anwende. Dennoch gilt es, aktuell geltende Gesetze und Regelungen einzuhalten. Veränderungen kann man nur im Dialog herbeiführen und nicht, indem man regelmäßig und mutwillig die aktuell geltenden Regeln und Gesetze überschreitet. Mit Hilfe eines Strafkatalogs, ähnlich dem im Straßenverkehr, sollte somit vor Begehen von Straftaten die Strafe bereits feststehen, welche letztendlich für das jeweilige Vergehen erhoben wird.
 
Das Ganze steht und fällt doch mit den Fans, oder?
Ja. Ich bin der Meinung, dass man Fans für ihren Verein einen angemessenen Teil von Verantwortung übertragen sollte, um letztendlich auch miteinander den Verein zu gestalten.  Wer Verantwortung trägt, kann die jeweiligen Risiken besser abschätzen als dem Prozess Außenstehende.

Sie spielen auf das Hüpfverbot im Stadion an?
Das ist ein aktuelles und sehr positives Beispiel, welches zeigt, wie so etwas funktionieren kann. Die Fan-Vertreter des 1.FC Magdeburg  haben damals im Rathaus zugesichert, dass sie sich an das strikte Hüpfverbot in der MDCC-Arena halten werden bis zur Fertigstellung der uneingeschränkten Nutzbarkeit des Stadions. Wenige Fan-Vertreter haben ihr Wort stellvertretend für eine große Anzahl weiterer Fans gegeben. Nahezu alle heimischen Fans und Zuschauer haben sich bisher daran gehalten. Für mich ist das ein Zeichen von Gemeinsamkeit und Stärke. Darauf dürfen wir alle zu Recht stolz sein. Vertrauen wurde geschaffen und sorgt für ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Unseren Fans wurde Vertrauen entgegengebracht und sie sind diesem Vertrauen bisher gerecht geworden. Im Ergebnis sind sie sich auch ihrer Verantwortung bewusst, wenn vorab in großen Teilen organisiert gehüpft wird, stände die MDCC-Arena bis auf Weiteres nicht mehr für den Punktspielbetrieb des 1.FC Magdeburg zur Verfügung.
 
Ein anderes Stichwort lautet: ausufernde Kommerzialisierung.
Ein sehr komplexes Thema und System. Gerade hier muss man differenzieren. Fußball ist bezogen auf das Transfersystem grundsätzlich ein freier Markt, der sich selbst reguliert.

Aber genau diese Fähigkeit zur Selbstregulierung bestreiten doch die Kritiker.
Grundsätzlich kostet Profisport Geld und ein Verein im Profibereich muss dieses Geld erwirtschaften. Dieser Grundsatz gilt und muss beachtet werden. Berechtigte Kritik gibt es aus meiner Sicht gegen eine grenzenlose Ausdehnung des Pay-TV. Fußball zu jeder Tageszeit an sieben Tagen in der Woche – darin liegt sicher eine Gefahr der Sättigung und Abstumpfung. Das tut dem Fußball in seiner Gesamtheit nicht gut.

Aber nun macht das Pay-TV, wie mit Telekom-Sport ab dieser Saison zu erleben, selbst vor der dritten Liga nicht halt.
Richtig ist, dass sich der Anteil zwischen Pay-TV und Free-TV in unserer Liga verändert und Bezahlfernsehen am Ende von vielen Zuschauern nicht mehr getragen werden kann bzw. möchte. Aber es gibt auch Vorteile. Heute kann sich jeder Interessierte jedes Spiel seines Klubs anschauen. Egal, ob Heimspiele oder Auswärtsspiele. Ob ich dabei in Deutschland bin oder im Urlaub oder irgendwo auf der Welt, spielt kaum noch eine Rolle. Via Internet kann ich die Spiele meiner Mannschaft live verfolgen. Das in dieser Gesellschaftsordnung mehr Service auch mehr Geld kostet, steht kaum außer Frage. Die Frage ist am Ende nur, in welchem Verhältnis stehen Angebot und Nachfrage. Zusammenfassende Sportsendungen, wie zum Beispiel die Sportschau oder Sport im Osten, sollten in der aktuellen Situation auch an Zuschauern gewinnen.
 
Manager von Bundesligisten beklagen dieser Tage erneut, der deutsche Fußball könne international nicht mehr mithalten, weil beispielsweise die hierzulande geltende 50-plus-eins-Regelung ihnen verbiete, an das Geld von Großinvestoren heranzukommen. Teilen Sie diese Sicht?
Es ist sicher so, dass deutsche Spitzenvereine es gegenüber anderen europäischen Spitzenvereinen wie Barcelona, Paris Saint-Germain, Manchester City oder Manchester United schwerer haben, auf diesem Weg Geld zu generieren. Ein Investorenmodell wurde bisher in Deutschland mit großen Einschränkungen erfolgreich verhindert. Andererseits müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass ein Markt für Inves-torenmodelle  im Fußball vorhanden ist. Aus Sicht des 1. FC Magdeburg und sicherlich auch vieler anderer Vereine ist die aktuelle Regelung in Deutschland gut. Vorstände von deutschen Spitzenvereinen sehen das sicherlich anders.
 
Das wird mittelfristig nicht ohne Folgen bleiben. Fürchten Sie ein Durchschlagen dieser Geld-Exzesse bis auf die unteren deutschen Profiligen?
Stand heute ist das für die Dritte Liga nicht zu beobachten. Zum einen sind wir eine Spielklasse, die, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, grundsätzlich national von Interesse ist und auch wahrgenommen wird. Zum anderen erhalten in der Dritteln Liga nahezu alle Vereine das gleiche TV-Geld (Anm. d.Red: bis auf Zweite Mannschaften von Bundesligisten) und sind somit im Wettbewerb grundsätzlich finanziell gleich aufgestellt. Sicherlich gibt es Vereine, welche über weitaus mehr Zuschauerinteresse verfügen als andere. Dafür gibt es dort wiederum Mäzene, über diese andere nicht verfügen. Am Ende behaupte ich, sind die finanziellen Voraussetzungen in der Dritten Liga nahezu gleich, was sich letztendlich im unheimlich ausgeglichenen sportlichen Wettbewerb widerspiegelt. Die finanziellen Voraussetzungen kann man durch die Qualität der Arbeit selbst schaffen. Somit steht eben nicht zuallererst das Geld im Vordergrund, was letztlich über Erfolg oder Misserfolg entscheidet, sondern vielmehr die beteiligten Personen selbst.
 
Größere Ablösesummen sind also nicht zu erwarten? Der Weg des FCM, der ja bisher nur ablösefreie Spieler verpflichtet hat, ist demnach nicht in Gefahr?
Diese Gefahr sehe ich aktuell nicht. Zumal die Etats der dritten Liga keine Spielräume für größere Ablösesummen zulassen. Das ist in der Zweiten Bundesliga anders. Deshalb betone ich ja immer wieder, dass zwischen beiden Spielklassen große Unterschiede existieren.
 
Lassen Sie uns noch einmal auf die Investorenmodelle zurückkommen. In Deutschland wird da gegenwärtig über verschiedene Varianten nachgedacht, 50-plus-eins doch irgendwie zu umgehen oder anders auszulegen. Der FCM hat im Frühjahr dazu eine, wie wir es sehen, Grundsatzentscheidung getroffen.
Wir haben bei der Ausgliederung der Profimannschaft exakt festgelegt, dass einer möglichen Beteiligung eines Investors 75 Prozent der Mitglieder zustimmen müssen. Damit wird verhindert, dass gegen den Willen der überwiegenden Mehrheit der Mitglieder Anteile der GmbH verkauft werden können. Das ist auch gut und richtig so. Denn Vereine, die in finanziellen Krisen stecken, öffnen sich schneller den Angeboten von Investoren. Am Ende sind diese Vereine von dem jeweiligen Führungsverständnis des Investors abhängig. Konträrere Beispiele hierfür gibt es genug, siehe RB Leipzig und 1860 München.  Wir, der 1. FC Magdeburg, haben es gemeinsam in den vergangenen Jahren geschafft, auch ohne fremde Mittel und große Risiken aus einer finanziellen und sportlichen Krise herauszukommen.  

Eine der Forderungen der Fanszene betrifft sozialverträgliche Eintrittspreise. Wie hält es der FCM damit?
Jeder Verein möchte zunächst so viele Zuschauer als möglich. Dieser Aspekt ist nicht unerheblich für die Preisgestaltung. Hier ist jeder Verein selbst gefordert. Es gilt, die nötige Sensibilität zu beweisen und zu hinterfragen, welcher Preis für das Ticket in der jeweiligen Region und Spielklasse vertretbar ist. Da könnte sich im Stuttgarter oder Münchner Raum eine etwas andere Voraussetzung als beispielsweise in Meppen ergeben.
 
Mit Nachdruck sprechen sich die Fans in vielen deutschen Städten, darunter auch in Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt,  für den Erhalt der Stehplätze in den Arenen aus.
Dieser Forderung möchte die Stadt Magdeburg als Stadioneigentümer in Form des Umbaus der MDCC-Arena nachkommen. Die von der Stadt beschlossenen Pläne zu den baulichen Veränderungen im Stadion sehen künftig eine Erhöhung der Anzahl der Stehplätze vor. Statt derzeit 5000 wird die MDCC-Arena nach Abschluss der Baumaßnahmen über ca. 9000 Stehplätze verfügen.
 
Angesichts aller angesprochenen Probleme, welche Schritte halten Sie für den deutschen Fußball für geboten? Oder einfacher gefragt: Was wünschen Sie sich?
Die Gefahr, dass sich der Fußball in seiner Gesamtheit ein Stück weiter von der Basis, sprich den Zuschauern und Fans, entfernt, sollte nicht ignoriert werden. Wir alle müssen sorgsam mit unserem Sport umgehen. Er darf nicht ausgequetscht werden wie eine Zitrone. Das alleinige Streben nach Geld darf nicht die Oberhand gewinnen. Im Sport haben immer die Werte gezählt, und das sollte auch so bleiben.
Fragen: Rudi Bartlitz

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