50+1 ist mehr als 51

Im deutschen Fußball tobt ein Glaubenskrieg. Die Geister scheiden sich an der Frage, ob ausländischen Investoren die Tore in die Klubs künftig weit geöffnet werden sollen. Eine Bestandsaufnahme.

Wie viel Romantik verträgt unser Fußball? Eine Frage, die, folgt man dem öffentlich geführten Diskurs, seit nunmehr Monaten nahezu eine komplette Nation umzutreiben, ja geradezu auseinanderzureißen scheint. Auf jeden Fall diejenigen hierzulande, die sich mit Haut und Haaren der angeblich schönsten Nebensache der Welt verschrieben haben. Die Kontroverse kommt dabei unter einem kryptischen Kürzel daher, das eigentlich eher an eine simple mathematische Additionsaufgabe denn an eine militant erörterte Frage erinnert: 50+1. Die Lösung lautet allerdings nicht 51. Das wäre ja geradezu genial einfach. Das Resultat ist vielmehr gleichbedeutend mit einer Spaltung der Anhängerschar des runden Leders in, wie es scheint, zwei sich immer feindlicher gegenüberstehende Lager. „50+1 – Fluch oder Segen?“, fragt denn auch das Fachblatt „Kicker“ besorgt. Selbst zwischen den Vertretern der führenden deutschen Klubs, ansonsten durchaus um Etikette bedachte ältere Herren, wird der Tonfall in dieser Sache immer bissiger.

Worum geht es also beim Kürzel 50+1? Und woraus resultieren die fast an einen Glaubenskrieg erinnernden unversöhnlichen Meinungen? Zunächst so viel: Bei 50+1 handelt es sich um eines der wichtigs-ten Themen in der über 50-jährigen Geschichte der Bundesliga überhaupt. Es ist eine Frage der Fußball-Kultur in Deutschland schlechthin. Hier soll, vereinfacht gesagt, darüber entschieden werden, wer künftig in den Profiklubs das Sagen hat: wie bisher die Vereine selbst oder finanzstarke Investoren. Letztere werden in der derzeit gültigen Regelung durch eine Sperrminorität daran gehindert, das Zepter zu übernehmen. Mit anderen Worten: Eine Stimme Mehrheit, eben jene 50+1, muss immer im Klub bleiben, damit kein Spekulant ihn überfallartig kapern kann. Festzuhalten bleibt, dass Deutschland mit der seit Jahrzehnten bestehenden Sport-Klausel 50+1, die es so in keinem anderen Land der Welt gibt, alles in allem nicht schlecht gefahren ist. Der hiesige Fußball nimmt in der Welt eine hervorgehobene Stellung ein, die Bundesliga zählt zu den besten Spielklassen der Welt, deutsche Vereine haben, wenn auch in jüngerer Vergangenheit in zurückgehendem Maße, in den europäischen Pokalwettbewerben stets eine gute bis sehr gute Rolle gespielt. Und nicht zuletzt ist Schwarz-Rot-Gold die Farbe des aktuellen Weltmeisters.

Insofern spricht schon einiges dafür, das Bestehende nicht aufs Spiel zu setzen. Die Romantik im deutschen Vereinswesen also weiter zu pflegen, an Traditionen festzuhalten, die Klubs vor Übergriffen gieriger Finanzhaie zu schützen. Alle Versuche abzuwehren, 50+1 irgendwie den Garaus zu machen. Ganz in dem Sinne, wie es die „Süddeutsche Zeitung“ dieser Tage schrieb: „Ein Sportverein mit Tradition ist keine Firma und kein Disneypark. Er ist eine lokale Sozialstation. Und auch wenn mancher Bundesligist jetzt grübelt, wer ihm künftig das Geld zuschießt, das er doch wieder falsch ausgibt, sollte er eines bedenken: Ein Traditionsklub gehört nicht einem, sondern allen – weil er Kulturgut und Tankstelle für die Seele ist.“

Ob die Manager der Erst- und Zweitligisten derart edel im obigen Sinne gedacht haben, als sie vor einigen Wochen in Frankfurt/Main einen in dieser Deutlichkeit überraschenden Entschluss zu 50+1 fassten, sei einmal dahingestellt. Jedenfalls geriet die Welt des Fußballs ein wenig aus den Fugen, als das Ergebnis der Abstimmung verkündet war: Mit deutlicher Mehrheit (18 pro, 4 contra, der Rest Enthaltungen oder Nichtteilnahme am Votum) sprachen sich die 34 Klubvertreter (zwei schwänzten sogar) für die Beibehaltung der Regelung in ihrer jetzigen Form aus. Es spreche, so ihr Bekenntnis, eindeutig mehr für die Wirksamkeit von 50+1 als dagegen. Vertreter von über 1.000 Fan-Klubs aus ganz Deutschland, die sich in einer Initiative zusammengetan haben, plädierten dafür, das Bestehende zu erhalten. Sie warnten davor, den Fußball „noch weiter von der Lebensrealität der normalen Leute“ zu entfernen.

Gladbachs Manager Max Eberl betonte, er sei dagegen, dass ein „über Jahrzehnte bewährtes System gekippt und die Liga mit Großinvestoren geflutet wird“. Es gebe dadurch zudem keinen Automatismus, dass Superstars wie Cristiano Ronaldo oder Neymar in der Bundesliga spielen würden. Er bezweifle zudem, dass durch Großinvestoren die Attraktivität der Liga steigen würde. „Wir haben eine Liga, die nah an den Fans dran ist, in der es Emotionen gibt – das setzt uns ab von anderen großen Ligen, und das sollten wir uns bewahren.“

So wohlig das Gefühl des einstweiligen Sieges ist, ein Dorn im Auge ist den 50+1-Befürwortern immer noch, dass es bereits vier Bundesligisten gibt, die die augenblickliche Regelung mehr oder weniger unterlaufen. So dürfen Investoren laut DFB-Satzung die Mehrheit halten, sobald sie einen Klub mehr als 20 Jahre lang „ununterbrochen" und „erheblich" gefördert haben. Darauf berufen sich Leverkusen (Bayer), Wolfsburg (VW) sowie Hoffenheim (Privatinvestor Dietmar Hopp). Hannover (Unternehmer und Vereinspräsident Martin Kind in Personalunion) strebt eine ähnliche Regelung an. RB Leipzig wiederum hat einen kontrovers diskutierten Schleichweg gefunden und sich so als Filiale des Unterhaltungskonzerns Red Bull oben ins Ligageflecht einweben können.

Was auf den Beschluss von Frankfurt folgte, war ein Sturm der Entrüstung aus dem gegnerischen Lager. Angeführt ausgerechnet vom Klassenprimus Bayern München. Dessen Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge war mit einer These vorgeprescht: Die Bundesliga solle sich für Investoren öffnen, andernfalls werde sie international immer mehr den Anschluss verlieren und auf nationaler Ebene langweilig bleiben. Dass ausgerechnet der Serienmeister, der gerade wegen 50+1 (und der Tatsache, dass die Konkurrenz aus Dortmund und Schalke eben keine fremden Millionen einsetzen konnte) die Langeweile beklagt, irritiert schon. Zumal er auf Grund seiner Finanzkraft durch spektakuläre Verpflichtung (Lewandowski, Hummels, Götze) alles tat, nationale Rivalen zu schwächen.

Sicher, sagen viele, die moderate Änderungen anstreben, Tradition ist ein wichtiger Bestandteil der Bundesliga. Für viele ist sie sogar so etwas wie der Treibstoff des Fußballs. In den Fankurven singen und schreien die „Ultras“ deshalb seit Jahren gegen den Fußball-Kapitalismus an. Aber Tradition allein sei keine Garantie für eine erfolgreiche Zukunft. Und Protektionismus ist in ihren Augen Rückschritt. Seit nunmehr gut zehn Jahren gibt es Versuche, mal zaghaft, mal brachial, 50+1 zu stürzen und Investoren zu bewegen, verstärkt in der Bundesliga zu investieren. Auch Liga-Chef Christian Seifert mahnte jetzt Veränderungen an: „Wenn wir wettbewerbsfähig bleiben wollen, müssen wir uns zu einem gewissen Maß an Kommerz bekennen. Sich waschen ohne nass werden zu wollen, funktioniert nicht einmal mehr im Fußball.“ Die Investorensperre 50+1 müsse gelockert werden, ohne den Scheichs und Oligarchen komplett die Klubs zu überlassen. Genau da scheint der Hase im Pfeffer zu liegen: Wie das eine tun, ohne das andere zu lassen?

Ein weiteres Geschütz, das die Gegner der Regelung auffahren: 50+1 in seiner jetzigen Form sei rechtlich nicht aufrechtzuerhalten. Es widerspreche nationalem und EU-Wettbewerbsrecht. Wenn jemand klage, werde er Recht bekommen, prophezeien sie. Da ist sie, die Keule der Justiz. Es werden Sportrechtler wie Thomas Dehesselles bemüht, die sagen, der Beschluss der Liga-Mitgliederversammlung vom März sei „undurchführbar“, weil ihm die juristische Legitimation fehle.

Für den unvoreingenommenen Betrachter erinnert das an die Geschichte mit Buridans Esel, der nicht weiß, für welchen Heuhaufen er sich entscheiden soll. Und, nur ganz nebenbei, am Ende elendig verhungert. Denn: Hört man die Argumentation der einen Seite, mag man ihr fast uneingeschränkt zustimmen. Hört man die kontroverse Meinung, sagt man sich, so Unrecht haben die eigentlich nicht, da ist einiges Wahres dran.

Ein Kompromiss – und nur darum kann es gehen – könnte nach heutigem Stand vielleicht so aussehen, wie ihn Werder Bremens Geschäftsführer Klaus Filbry skizziert: „Wir brauchen faire Wettbewerbsgleichheit, mit gleichem Recht für alle.“ Dabei müssten „Dinge, die den Fußball stark machen in Deutschland“, gesichert werden. „Es beginnt mit der Fankultur, den Stehplätzen, die erhalten werden müssen, und reicht über moderate Eintrittspreise bis hin zum festgeschriebenen Standort und den Erhalt von Wappen und Vereinsfarben“. Filbry weiter: „Jeder muss auch genau schauen, wen er in sein Haus lässt.“ Er spreche „nicht von Finanzinvestoren, die vor allem die Entwicklung ihres eigenen Geldes sehen, sondern stets von strategischen Partnern“ des Vereins. „Wir wollen Kapital in die Liga holen. Aber das Kapital muss das Interesse teilen, die Liga und den jeweiligen Verein zu stärken."

Wer jetzt die 50+1-Diskussion, mit all ihren Reizthemen, allerdings als eine unter den Branchenriesen des deutschen Fußballs abtut, verkennt eines: Sie wird für den gesamten Bereich der Deutschen Fußball-Liga (DFL) geführt. Dazu zählen eben auch die 18 Zweitligisten. Wenn es nach dem Willen (und Wünschen) der überwiegenden Mehrheit der FCM-Anhänger einer ganzen Region geht, gehören die Blau-Weißen in nur wenigen Wochen zu ebendiesem elitären Kreis. Dann treffen alle mit 50+1 verbundenen Fragen ebenso auf die Magdeburger zu.

Nun hat der Klub aus der Elbestadt vor Jahresfrist bei der Ausgliederung seiner Profimannschaft in eine eigene Kapitalgesellschaft bereits deutlich Flagge gezeigt. Mögliche Investoren, so wurde beschlossen, sehen sich  künftig  einer 75-Prozent-Sperrminorität in der Mitgliederversammlung gegenüber. Dies auszuhebeln dürfte – wenn überhaupt – nur mit einem juristischen Brachialurteil möglich sein.

Findet sich in nächster Zeit also kein Kompromiss, so ist zu fürchten, wird dem Fußball das ganze Thema von der Justiz wohl aus der Hand genommen werden. Ähnlich wie an jenem schicksalhaften 15. Dezember 1995, als das sogenannte Bosman-Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) ein wahres Beben im kontinentalen Fußball auslöste. Ein bis dahin gut funktionierendes Transfersystem wurde regelrecht pulverisiert und die Tür für heute Schwindel erregende Ablösesummen bis in dreistellige Millionenhöhe geöffnet. Ähnliches könnte nun drohen, wenn Gerichte und Kartellbehörden über die Rechtsmäßigkeit der 50+1-Bestimmung entscheiden. Wie gesagt, es muss nur einer richtig klagen ... Das Thema ist mit dem Mitgliederentscheid der Liga vom März also längst nicht erledigt. Im Gegenteil: Das Karussell wird jetzt erst richtig Fahrt aufnehmen. Rudi Bartlitz

Kompakt

Die 50+1-Regel ist eine Vorschrift in den Statuten der Deutschen Fußball-Liga. Danach ist es Kapitalanlegern nicht möglich, die Stimmenmehrheit bei Kapitalgesellschaften zu übernehmen, in die Fußballvereine ihre Profimannschaften ausgegliedert haben. Erlaubt ist hingegen, dass sich die Mehrheit des Kapitals im Besitz privater Investoren befindet. Auf einer Mitgliederversammlung der Deutschen Fußball-Liga wurde im März die bisherige Verfahrensweise, die keine Stimmenmehrheit ausländischer Investoren zulässt, zementiert. Die 50+1-Regel in dieser Form existiert nur in Deutschland. In England, Frankreich und Italien beispielsweise besitzen ausländische Großgeldgeber fast uneingeschränkten Zugang zu Fußballvereinen und bestimmen dort die Geschäftspolitik entscheidend mit.

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