Hier wird kräftig geschoben

So etwas nennt man wohl Trockentraining. Unter den Blicken von Trainer Birk Lösche bringen Henrik Bosse, Martin Hahn und Felix Dahms (v.l.) in der Magdeburger Leichtathletikhalle ihr Anschiebgerät in Fahrt. Foto: Peter Gercke

Der Mitteldeutsche Sportclub Magdeburg bildet seit Jahren Anschieber für den Bobsport aus – mit beträchtlichem Erfolg.

Wenn nach Klubs in Sachsen-Anhalt gefragt wird, die bei Olympia und Weltmeisterschaften Medaillen holten, hat selbst der nicht so gewiefte Sportfreund schnell Namen zur Hand. Wie den SC Magdeburg etwa oder den SV Halle. Der des Mitteldeutschen SC fällt in einer solchen Aufzählung kaum. Ja, viele wissen mit dem Verein rein gar nichts anzufangen. Nicht einmal, in welcher Sportart dessen Athleten unterwegs sind. Erstaunlich, holte der MSC, wie er sich kurz nennt, in den vergangenen Jahren durchaus schon die eine oder andere begehrte internationale Medaille für unser Bundesland – und das auch noch ausgerechnet im Wintersport. Also höchste Zeit, zumindest einige Wissenslücken zu schließen. Zumal Weitspringerin Lea-Jasmin Riecke im Sommer mit ihrem Junioren-Weltmeistertitel und ihrer Ehrung zu Deutschlands „Juniorsportlerin des Jahres“ den MSC zusätzlich in die Schlagzeilen beförderte.

Aber schon bei den Begriffen Wintersport, konkret: dem Bobfahren, und Weitsprung beginnt die Rätselei. Wie passt denn das zusammen, fragen sich viele. „Sehr gut“, antwortet MSC-Vorsitzender Frank Schneider im Gespräch mit Magdeburg Kompakt. „Wir versuchen“, sagt der 54-jährige Beamte der Landespolizei, „einen neuen Weg zu gehen, um an die Spitze zu gelangen. Wir bündeln die Erfahrungen aus Bobsport und leichtathletischem Mehrkampf, um neue Trainingsmethoden anzuwenden. Wie man sieht, profitieren letztlich beide Sportarten davon.“

Schneiders Argumentation hört sich dabei etwa so an: „Als Bobsportler kannst du bis zum 26. Lebensjahr in der Juniorenklasse starten. Die Mehrkämpfer erreichen ihren sportlichen Leistungshöhepunkt – laut einer Statistik der Sporthochschule Köln – hingegen zwischen dem 23. und 27. Lebensjahr. Damit ist ein nahtloser Übergang von der einen sportlichen Laufbahn zur nächsten möglich. Das bedeutet, dass wir in einen Athleten investieren und zwei sportliche Laufbahnen entwickeln. Wir wollen nichts verschenken.“ Klingt irgendwie (fast) genial …

Ein Blick in die Statistik gibt den MSC-Verantwortlichen auf jeden Fall Recht. Obwohl der Verein erst 2011 gegründet wurde, sind bereits zwei Bob-Weltmeistertitel (durch Marko Hübenbecker und Kevin Korona) sowie WM-Bronze (Andreas Bredau) so etwas wie die Aushängeschilder des MSC. Hinzu kommen in den zurückliegenden Jahren zahlreiche Top-Platzierungen in den Weltcups. 2018 im südkoreanischen Pyeongchang gehörten Paul Krenz und Kevin Korona zum deutschen Olympiateam.

Was auffällt: Sie alle kamen und kommen in den superschnellen Hightech-Bobs als sogenannte Beifahrer zu ihren Meriten. Ist der MSC also ein reiner „Anschieber“-Klub? Schneider widerspricht nicht: „Das ist kein Zufall, sondern Strategie. Wir bilden Anschieber aus, die dann in Startgemeinschaften – u.a. mit Oberhof, Altenberg oder Königssee – auf möglichst viele deutsche Spitzenbobs verteilt werden. So steigen unsere Chancen auf Medaillen. Denn wenn man auf nur einen Bob setzt und der sich nicht für die Saisonhöhepunkte qualifizieren kann, stehst du am Ende mit nichts da.“

Aber reizt es denn nicht jeden, der in einem Bob sitzt, selbst einmal die Steuerseile in der Hand zu halten – zumal es die Piloten sind, die in den Medien einer Besatzung erst ein Gesicht geben, die die Öffentlichkeit kennt? Ein eigener Magdeburger Schlitten in der Eisrinne, das wäre doch mal etwas; die Erinnerungen an den berühmten Jamaika-Bob lassen grüßen. Schäfer lächelt und widerspricht: „Von unseren Sportlern hegt keiner derlei Ambitionen. Und beim MSC streben wir nicht an, mit einem eigenen Gefährt ins Rennen zu gehen. Zumal noch etwas anderes hinzukommt: Der heutige Spitzensport fordert eine Spezialisierung, sonst sind Höchstleistungen nicht möglich.“ Immerhin wird der Anteil der Anschieber, bei denen es vor allem auf Schnelligkeit und Explosivkraft ankommt, an der Leistung eines Bobs heute mit etwa einem Drittel angegeben. Die anderen beiden Drittel ergeben sich dann aus Material und dem Talent des Fahrers. Noch einmal der Präsident: „Ein eigener Bob wäre außerdem ein extrem hoher Kostenfaktor.“

Apropos Kosten. Wie kann ein relativ kleiner Klub – derzeit trainieren elf Bob-Hoffnungen unter dem Kürzel MSC – das alles stemmen? Schäfer: „Durch unsere Erfolge fließt uns ein Teil der Mittel aus der Sportförderung zu. Außerdem unterstützen uns etwa ein Dutzend Sponsoren. Hilfe bekommen wir ebenso vom Olympiastützpunkt Sachsen-Anhalt und der Stadt Magdeburg. Natürlich machen wir keine Gewinne, alle finanziellen Mittel kommen letztlich wieder den Sportlern zugute.“ Selbst wenn es kein eigener Bob sein soll, eine eigene Anschiebestrecke hätten sie in Magdeburg schon gern. „Am Olympiastützpunkt existiert bereits eine schiefe Ebene“, so Schäfer, „die sich gut dazu umbauen ließe.“ Oberbürgermeister Lutz Trümper kennt die MSC-Wünsche schon …

Wenn also an den bevorstehenden langen TV-Winter-Wochenenden wieder die rasanten Bobs bei Weltmeisterschaften oder Weltcups ins Tal rasen, lohnt sich jedenfalls ein intensiverer Blick gerade auf die Anschieber. Zumal sich mit Paul Krenz, Marko Hübenbecker und Christian Jagusch bei den Herbst-Tests drei Magdeburger im wahrsten Sinn des Wortes unter die sechs besten deutschen Beschleuniger geschoben haben. Krenz, sagt Schäfer, „ist für mich der derzeit beste deutsche Anschieber überhaupt.“ Und mit Lisa Gerecke (Vierte bei den Tests) schiebt sich auch eine Magdeburger Frau immer mehr ins Rampenlicht. Rudi Bartlitz

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