Hier ist keiner down

Leonard Luding gewinnt mit großem Vorsprung einen Laufwettbewerb. Foto: Peter Gercke

Wenn man die Augen für einen Augenblick schließt, meint man an diesem Sonnabend so etwas wie einen Hauch von Olympia über der Gieseler-Halle zu verspüren. Die in Ehren ergraute Arena, herausgeputzt wie selten, ein feierlicher Einmarsch der Teilnehmer, Begrüßungsreden, sogar die Nationalhymne erklingt, von einem Chor live gesungen. Und doch ist es an diesem Tag alles andere als ein alltäglicher Sportwettkampf: 200 Menschen mit Down-Syndrom, Kinder wie Erwachsene, aus vielen Teilen Deutschlands haben sich in die Startlisten eingeschrieben.
Leonard Luding ist einer von ihnen. Der 18-jährige Magdeburger kann den ersten Startschuss kaum noch erwarten, demonstriert dem Reporter schon einmal auf den Tribünengängen, was er bewegungsmäßig so alles drauf hat. Sogar an den komplizierten brasilianischen Kampftanz Capoeira wagt er sich inzwischen heran. Leos große Stunde schlägt einige Minuten später bei den Laufwettbewerben auf dem gut 100 Meter langen Rundkurs. Mit gewaltigem Vorsprung gewinnt er seinen Durchgang und hechtet mit einer spektakulären Rolle vorwärts ins Ziel. Nicht ohne vorher, während des Laufes, dem Publikum strahlend das Victory-Zeichen gezeigt und die Kampfrichter abgeklatscht zu haben.
„An Leonard sieht man, mit welcher Begeisterung und Freude hier alle am Start sind“, sagt Jörg Möbius vom Verein für Sporttherapie und Behindertensport 1980 Magdeburg, der zusammen mit vielen Sponsoren – u. a. Stadtsparkasse, SWM und Apotheker-Verband – das Sportfest unterstützt. „Auch wenn wir natürlich im Sport eine Inklusion anstreben, dieses Event ist ausschließlich für Menschen mit Down-Syndrom, hier stehen einmal nur sie im Mittelpunkt, sind sozusagen die Stars. Das spüren sie.“ Leonard, der sich als Azubi beim Lebenshilfe-Werk auf einen Beruf vorbereitet, ist in diesem Moment schon wieder verschwunden, um mit seinem Freund Lion andere lautstark anzufeuern.
„Seit über einem Dutzend Jahren findet das Event in Magdeburg statt, zum sechsten Mal ist der Stadtsportbund Organisator“, erklärt dessen Präsident Rainer Voigt. „Wir sind neben Frankfurt/Main eines von zwei zentralen Sportfesten in Deutschland, die sich ausschließlich an Menschen mit Down-Syndrom wenden.“ Neben den 200 Aktiven sind noch etwa 500 Begleitpersonen gekommen, Eltern, Geschwister, Verwandte, Freunde.
Auf dem Programm stehen neben den Rundkurs-Läufen Wettbewerbe im Weitsprung, Medizinballwerfen, Hindernislauf und Minigolf. Auch im Judo, Tischtennis und Straßenfußball (Calcetto) können sich die Teilnehmer ausprobieren. Hinzu kommen Workshops im Tanzen und für „Drums alive“; einer Trommelshow auf riesigen Plastebällen (u. a. zu Helene Fischers „Atemlos“), die zu den Höhepunkten des Festes zählt. Eines Festes, für das sich über 100 ehrenamtliche Helfer engagieren. Eines Festes, bei dem jeder Teilnehmer neben einer Urkunde und einem Blumengruß eine Medaille erhält. Geradezu unbändig ist der Stolz auf diese eigene Plakette. Gewiss, ein Stück Metall nur, aber es zeigt: Seht her, ich habe dem Down-Syndrom ein Schnippchen geschlagen!
Was beim Beobachter noch hängenbleibt: Die olympische Idee vom Mitmachen, die ausgelassene Freude am Sport – sie ist hier wirklich alles. Glück kennt keine Behinderung. Enttäuschungen über schlechte Platzierungen oder Niederlagen? Fehlanzeige. Wie jene junge Frau beweist, die beim Lauf nach einer Runde erschöpft regelrecht in sich zusammensinkt, nach 15 bis 20 Sekunden sich mit Hilfe von herbeigeeilten Betreuern wieder aufrafft und es mit großem Rückstand als Letzte doch noch ins Ziel schafft. Getragen von einer lautstarken Begeisterungswelle der Zuschauer. Wie bei Olympia eben. Rudi Bartlitz

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