Ein Aderlass und seine Folgen

Nach dem Abstieg aus der zweiten Liga haben den FCM viele Leistungsträger verlassen. Gelingt es, eine schlagkräftige Formation zu finden, die oben mitmischen kann?

Man glaubt, den Seufzer der Erleichterung, der durch Magdeburgs Fußball-Fans geht, regelrecht zu hören. Es bleibt kaum noch Zeit, bis der Ball wieder rollt. Bevor der 1. FCM nach dem bitteren Abschied aus der zweiten Liga versuchen wird, in der Umgebung von Liga drei möglichst schnell wieder Fuß zu fassen. Auffällig: Vom sofortigen Wiederaufstieg, wie es anderenorts nach einem Abstieg meist die Regel ist, war nichts zu vernehmen. Die Stimmen, die in der Sommerpause vom Heinz-Krügel-Platz herüberdrangen, klangen vielmehr wie eine eigenwillige Mischung aus Ungewissheit, Vorsicht und demonstrativ ausgestellter Zuversicht.

Manche Anhänger zeigten sich irritiert, als Geschäftsführer Mario Kallnik von einem Drei-Jahres-Plan redete oder davon sprach, dass man spätestens 2022 wieder in der zweiten Liga angreifen wolle. So lange wollen die „Größten der Welt“ auf den Traversen nicht warten. Von einem Absteiger, meinte Alt-Star Achim Streich in seiner Tageszeitungskolumne, hätte er den Mut erwartet, den Wiederaufstieg zumindest anzupeilen.

Um zu verstehen, dass ein – nennen wir es –  mangels konkreter Absichten einmal Spitzenplatz freilich kein leichtes Unterfangen wird, dazu genügt es, einen Blick auf die Veränderungen im Kader zu werfen. Der Aderlass im Sommer war gewaltig. Sage und schreibe 17 Akteure verließen den Verein. Unter ihnen befanden sich zahlreiche Stammspieler: Torhüter Giorgi Loria, Abwehr-Chef Dennis Erdmann, die Mittelfeld-Asse Philip Türpitz und Jan Kirchhoff, die Angreifer Felix Lohkemper, Marius Bülter und Michel Niemeyer. Hinzu kommen gestandene Leute wie Aleksandar Ignjovski, Steffen Schäfer und Richard Weil.

Was im Sommer auch auffiel: Die vollmundigen Erwartungen, mit der Stars dem FCM den Rücken kehrten, um anderswo das große Glück zu suchen, erfüllten sich nur bedingt. Dass ein vermeintlich hochbegehrter Mann wie Türpitz bei der „grauen Maus“ Sandhausen landete, Ex-Bayern-Spieler Kirchhoff und Erdmann („Die zweite englische Liga ist mein Traum“) letztlich sogar bei deutschen Drittligisten anheuerten, überrascht schon. Haben die sich, fragen manche, vielleicht überschätzt? Nur zwei der Abgänger schafften es zu Erstligisten: Schäfer unterschrieb beim niederländischen Tabellenzwölften VV Venlo. Er sei, so Trainer Stan Valckx, „eine ausgezeichnete Ergänzung“. Loria verschlug es in die unbedeutende erste zyprische Division, zu Anorthosis Famagusta. In der zweiten Liga landeten Lohkemper (1. FC Nürnberg) und Niemeyer (Wehen Wiesbaden). Ob sie dort über den Ergänzungsstatus hinauskommen, ist offen.

Neu-Trainer Stefan Krämer, der Michael Oenning ablöste, steht vor der kniffligen Aufgabe, aus zehn Neuzugängen, vier Nachwuchsleuten aus eigenen Reihen und elf „Alten“ binnen kürzester Zeit ein schlagkräftiges Team zu formen. Mutig stimmen sollte dabei die Aussage des Coachs, auf jeden Fall „mutigen und offensiven“ Fußball spielen lassen zu wollen. Auf „Beamtenfußball“ habe er „wenig Bock“. Daran wird sich Krämer, der die dritte Liga als auch den Ostfußball sehr gut kennt, messen lassen müssen.

Geht es allein nach Namen, kann Krämer nicht aus den Vollen schöpfen. Ob das Club-Konzept aufgeht, es erneut mit jungen, weitgehend unerfahrenen Spielern (aus der dritten und teils vierten Liga) zu versuchen, muss die Zukunft zeigen. Laut Branchendienst Transfermarkt kamen erneut nahezu alle ablösefrei, nur bei Léon Bell Bell (von Mainz 05 II) und Torwart Morten Behrens (HSV II) setzt das Portal Fragezeichen. Beim Marktwert sind die Magdeburger durch die Abgänge auf einen Wert von 6,25 Millionen Euro abgerutscht; in der vergangenen Saison waren es noch fast vier Millionen Euro mehr. Damit rangiert der FCM hinter Uerdingen (9,23 Millionen), Ingolstadt (8,25) und Kaiserslautern (6,78) auf Rang vier. Wertvollster Magdeburger ist jetzt Mittelfeldakteur Rico Preißinger (500.000 Euro).

Ob der Slogan stimmt, nicht nur Geld schieße Tore, sondern auch der Marktwert, muss sich in der dritten Liga noch beweisen. Zumindest rangieren jene Teams, die beim Marktwert weit vorn stehen, auch unter den Favoriten für den Aufstieg. Laut einer vom Portal „3. Liga online“ durchgeführten Umfrage unter den 20 Drittliga-Trainer wurden Ingolstadt und Braunschweig am häufigsten genannt (je 10 Stimmen). Dahinter folgen Magdeburg und Rostock (je 7). Das Votum für Braunschweig mag überraschen. Die Eintracht hat im Sommer enorm aufgerüstet. Vor allem mit den Verpflichtungen von Nick Proschwitz (Meppen), Martin Kobylanski (Münster) und Orhan Ademi (Würzburg) sendete sie damit deutliche Signale. Zum anderen war für viele Trainer die starke Rückrunde der Eintracht (32 Punkte aus 19 Spielen) ein Grund, den Deutschen Meister von 1967 zu nominieren. „An diese Leistung wollen sie anknüpfen“, so FCM-Coach Krämer.

Für Gesprächsstoff in der neuen Liga sorgten die Magdeburger mit einem Wechsel. Stürmer Marius Bülter, den es zu Union Berlin drängte, erhielt nach langem Gezerre die Freigabe für den Erstliga-Aufsteiger. Mit einem Modell, das zumindest ungewöhnlich bezeichnet werden darf. Ob es einmal als „Magdeburger Modell“ – wie es das in der Politik in Sachsen-Anhalt von 1994 bis 2002 mit einer SPD-geführten Minderheitsregierung schon gab – in die Fußball-Annalen eingeht, bleibt dahingestellt. In der Regel ist es bisher so, dass ein höherklassiger Klub einen Spieler, der bei ihm wenig oder keine Einsatzzeiten zu erwarten hat, an einen unterklassigen Verein ausleiht. Der FCM geht den umgekehrten Weg. Er verlängerte mit Bülter bis 2022, leiht den bulligen Angreifer allerdings mit sofortiger Wirkung für ein Jahr an die Hauptstädter aus, die 2020 ein Vorkaufsrecht besitzen.

Es darf darüber spekuliert werden, wie viel Charme dieser Lösung innewohnt. Die Frage, die sich stellt: Was bringt das den Blau-Weißen  in der neuen Saison? Fakt bleibt, Bülter fehlt auf dem Rasen an allen Ecken und Enden. Hinzu kommt: Da eine Ablöse für ihn, legt man die Vereinsmitteilung zugrunde, frühestens im nächsten Jahr fließen könnte (vorerst zahlt Union nur eine Leihgebühr), fehlte ein Großteil des Geldes (eine Million Euro) zumindest für eine sofortige, qualitativ gleichwertige Neuverpflichtung. Am Sonntag gab der FCM die Verpflichtung des Angreifers Sören Bertram bekannt. Sein Vorteil: Er verfügt zumindest über Zweitliga-Erfahrung (Aue, Darmstadt) und ist bezahlbar. Ob er ein echter Bülter-Ersatz ist, bleibt offen. Rudi Bartlitz

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