Der Mann mit dem Doppel-Job

Mag die Adventszeit anderen Menschen durchaus so etwas wie besinnliche und nachdenkliche Momente bescheren, in der Welt des Eik Ruddat ist dafür eigentlich wenig Platz vorgesehen. Zu sehr füllt den 39-Jährigen gerade in den von Emotionen und Stimmungen getragenen vorweihnachtlichen Monaten sein Job aus. Korrekterweise müsste man sogar sagen: sein Doppel-Job. Denn Ruddat ist Lehrer und Trainer in einer Person. Lehrer am Magdeburger Sportgymnasium und Trainer beim SCM für den Sprint-Nachwuchs. Dabei nicht irgendein Coach, sondern im Status eines Bundestrainers. Und für einen Leichtathletik-Bundestrainer gilt eben erst recht, was für diese Sommersportart generell zutrifft – jener jahrzehntealte Lehrsatz nämlich, wonach erfolgreiche Athleten im Winter gemacht werden. Also auch in der Adventszeit.

Normalerweise würde schon jede Tätigkeit, Lehrer und Trainer, für sich genommen genügen, einen Menschen vollauf zu fordern. Doch Ruddat verfolgt da einen etwas anderen Ansatz: „Ich bin mit Herz und Seele Lehrer, und ich bin mit Herz und Seele Trainer. Beides hat mit jungen Menschen zu tun. Beides möchte ich nicht missen.“ Schule und Leistungssport stehen nicht grundsätzlich konträr zueinander: „Hier gilt ein Grundsatz für mich, der heißt: Suche nicht die Grenzen, sondern erkenne die Möglichkeiten und Chancen!“ Also versuchte er immer wieder, beides miteinander zu verbinden. Dass dies nur mit einem äußerst strengen Zeitregime und dem vollen Verständnis der Familie funktioniert, versteht sich fast von selbst …

Mit Magdeburger Stallgeruch

Doch bevor Ruddat diesen Doppel-Job, den es in Deutschland in dieser Konstellation nicht allzu oft gibt, ausfüllen konnte, galt es, einige Voraussetzungen zu erfüllen. Sachsen-Anhalts Kultusministerium und der Deutsche Leichtathletikverband (DLV) einigten sich letztlich auf jeweils eine halbe Planstelle. „So unterrichte ich jetzt an drei zusammenhängenden Tagen in der Woche am Sportgymnasium, die restlichen Tage stehen für die Trainertätigkeit und alles was damit verbunden ist, wie Wettkampfreisen und Vorbereitungslager, zur Verfügung. Insbesondere bin ich meiner Schule dankbar, dass sie meine Unterrichtsstunden so legt, dass für den Trainerjob ausreichend Zeit bleibt.“

Eik Ruddat ist jemand, dem der Stallgeruch des Magdeburger Sports von Anfang an anhaftet. Insbesondere der des SCM. Hier hat er von der Pike auf alles kennengelernt. Mit 13 Jahren kam er vom Radsport bei Dynamo über seinen Vater und SCM-Urgestein Erhard („Atze“) Ruddat zur Leichtathletik, wurde Läufer und Mehrkämpfer. Und natürlich Schüler am Sportgymnasium. „Aber ich wusste bald, zur ganz großen Karriere würde es nicht reichen“, schmunzelt er im Rückblick. Aber für ihn stand ebenso fest: Dem Sport und der Leichtathletik wollte er auf jeden Fall treu bleiben. Auf die Frage, was Leichtathletik für ihn bedeute, hat er einmal geantwortet: „Das ist nicht allein die Sammelbezeichnung für verschiedene Lauf-, Sprung- und Wurfdisziplinen, sondern die schönste, da natürlichste Form der sportlichen Betätigung und ein wenig wie die Zahl PI – eben natürlich, irrational und sehr, sehr wichtig.“

Nicht nur auf Rosen gebettet

Also studierte er nach dem Abitur Sport und Geschichte auf Lehramt, verzichtete bewusst auf ein reines Sportwissenschafts-Studium. „Das war zum einen eine Frage der sozialen Absicherung und zum anderen meinem Hang geschuldet, mit jungen Menschen arbeiten zu wollen.“ Zur Ehrlichkeit gehört es in diesem Zusammenhang ebenso festzustellen, dass ein „normaler“ Trainerjob in Deutschland vielen, stellt man Aufwand und (finanziellen) Nutzen ins Verhältnis, nicht eben besonders lukrativ erscheint.

Doch wie fast jeder Weg war auch der von Ruddat gewählte nicht nur mit Rosen gebettet. Hieß: Der Neulehrer musste nach dem Studium seiner Heimatstadt ade sagen und begann 2005 in Helmstedt ein Referendariat. „Das war ein schmerzlicher Prozess für mich, weil ich meine grün-rote Wohlfühloase verlassen musste“, erinnert er sich. Da aber die alte Liebe zum Trainerjob nicht gestorben war, half er, beim Niedersächsischen Verband den Stützpunkt Helmstedt aufzubauen. Was im Resultat bedeutete, zuweilen sieben Tage pro Woche zwischen seinem Lebensmittelpunkt Magdeburg, Helmstedt oder Wettkampforten in ganz Deutschland zu pendeln. Sechs Jahre ging das so, bis er 2011 als Lehrer ans Sportgymnasium der Landeshauptstadt wechselte.

„Jeder sollte seinen Platz finden“

Mit Vehemenz warf sich Ruddat in die Aufgaben, die sein neues Tätigkeitsfeld bereithielt. Schnell musste er allerdings erkennen: Geändert hatte sich im Prinzip wenig. Wieder hieß es: Wie schaffe ich es, Lehrer und Trainer miteinander zu verbinden? Wo nehme ich die Zeit dafür her? Zumal sportlich Ruddats Schützlinge plötzlich über Sachsen-Anhalts Landesgrenzen hinaus von sich reden machten. Fast logische Konsequenz: Im Januar 2016 wurde der Magdeburger zum Bundestrainer für den deutschen Sprintbereich U 18 berufen. Allen voran ein junger Altmärker war es gewesen, der 2013 zur Trainingsgruppe gestoßen war und später für Furore sorgte: Thomas Barthel. Mittlerweile ist der Mann, den Ruddat von Anfang an unter seinen Fittichen hatte, U-20-Europameister in der 4x100-Meter-Staffel und eine der größten deutschen Sprint-Hoffnungen.

„Thomas ist einer von zehn bis 14 Jungs und Mädchen, die ich gegenwärtig betreue“, erzählt Ruddat bei einem Termin mit Magdeburg Kompakt in der Leichtathletik-Halle der Landeshauptstadt. Und, als welchen Typ Trainer würde er sich selbst sehen, als Schleifer oder Kommunikator? „Schleifer definitiv nicht. Ich lege großen Wert darauf, dass sich jeder, ob er nun 16 oder 24 Jahre alt ist, in die Gruppe integriert, seine Verantwortung wahrnimmt. Gewiss gebe ich den Rahmen vor, aber wie er umgesetzt wird, dazu muss jeder seinen eigenen Beitrag leisten.“ Und dann kommt wieder der Pädagoge durch: „Für mich lässt sich das, was wir gemeinsam tun, nicht auf den reinen Sport reduzieren. Bei uns sollte jeder seinen Platz finden. Dazu gehört auch das Leben neben dem Sport, wie gemeinsame Gartenpartys oder gemeinsames Bowlen.“

Der Star der Truppe, Thomas Barthel, hat inzwischen schon ein Auge auf die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2020 in Tokio geworfen. Es würde ja auch höchste Zeit, dass die einst berühmte Magdeburger Sprintschule, für die Namen wie Annelie Ehrhardt, Carla Bodendorf, Frank Emmelmann und Olaf Prenzler stehen, nach (zu) langen Jahren der Ruhe wieder ein wenig von sich reden macht. „So weit sind wir lange noch nicht“, bremst der Pädagoge Ruddat. „Bisher ist Thomas nur schnell gelaufen, jetzt muss er zum Sprinter werden“, frotzelt er ein wenig. „Natürlich, Talent ist da. Jetzt kommt es darauf an, was er daraus macht.“ 2018 wird für Barthel ein wichtiges Jahr: Das Abitur steht an, auf der Tartanbahn bestreitet er sein erstes Jahr bei den „Erwachsenen“. Ruddat: „International sehe ich für Thomas, der bereits zum erweiterten deutschen Sprint-Kader gehört, langfristig die besten Chancen in der Staffel. Das können wir. Magdeburger waren immer gute Staffelläufer.“

„Ich bin erfolgshungrig“

Nun ist für einen Coach die Motivation der Sportler das eine, wie aber motiviert sich ein Trainer selbst, woher nimmt er seinen inneren Antrieb? Ruddat überlegt auf diese Frage lange: „Darüber habe ich, ehrlich gesagt, noch nie intensiver nachgedacht. Vielleicht könnte ich kurz so antworten: Ich bin von Natur aus ein erfolgshungriger Mensch. Ich möchte gern Grenzen durchbrechen. Von dieser Einstellung möchte ich im Sport möglichst viel auf meine Schützlinge übertragen. Gemeinsam mit ihnen den Weg zu Erfolgen zu gehen, das ist es, glaube ich, was mich immer wieder neu antreibt.“

Die Geschichte über Eik Ruddat wäre noch nicht zu Ende – und vielleicht ein wenig unglaubwürdig obendrein –, käme da nicht noch ein zusätzlicher dritter Job ins Spiel. Zusätzlich zu Lehrer und Trainer. Tatsächlich, seit Jahresbeginn begleitet er (ehrenamtlich, versteht sich) die Funktion des Vizepräsidenten Leistungssport beim SC Magdeburg. „Das hat etwas mit Verantwortung und Dankbarkeit zu tun“, begründet er diesen Schritt. „Ich habe eigentlich immer auf der Sonnenseite gestanden, viel empfangen. Jetzt ist es an der Zeit, etwas zurückzugeben.“ Ziel sei es, den Magdeburger Spitzensport weiter voranzubringen: „Ich hoffe, dass mir meine guten Kontakte zu den Schwimmern, Ruderern und Kanuten dabei helfen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, welch guten Bedingungen wir hier haben. Magdeburg muss sich, was die materiellen Bedingungen angeht, hinter keinem Standort in Deutschland verstecken. Es ist nun unsere Aufgabe, aus diesen Bedingungen das Maximale herauszuholen. Ich habe jedenfalls ein gutes Gefühl dabei.“

Einmal im Jahr ist Pause

Gibt es denn wirklich nichts, was Ruddat einmal die Gedanken an den Sport vergessen lässt? „Das ist wirklich schwer“, räumt der bekennende Fan des FC Liverpool ein. In der englischen Metropole hat er ein Jahr studiert. „Zumal mich am Sport eigentlich alles interessiert, bis hin zu Handball und Fußball eben.“ Nur einmal im Jahr, da legt er strikt eine Woche Pause ein, müssen seine Athleten einmal auf ihn verzichten. Dann dreht sich tatsächlich alles um Gattin Antje, Sohn Elias und Tochter Alena. Wo? Auf der Piste in Österreich beim gemeinsamen Skifahren. Er kann es eben einfach nicht lassen …

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