Vom Straßentheater zu den Räubern 2.0

Bernd Kurt Götz (Autor, Regisseur & Darsteller in Personalunion) „umkämpft“ von Rick Middelkoop (l.) & Falk Ph. Pognan (r.) vor der Premiere der Inszenierung „Die Räuber 2.0“. Fotos: P. Gercke

Das Theater Compagnie Magdeburg 09 ist seit 10 Jahren als Verein aktiv und gestaltet die Theaterlandschaft der Landeshauptstadt unter diesem Namen. Doch Idee und Geschichte sind wesentlich älter – reichen bis in die 1980er Jahre. Anlässlich des Jubiläums Blicke zurück und nach vorn.

Wir treffen uns in der Sudenburger Feuerwache. Hierhin verziehen sich die Mitwirkenden der Compagnie 09 seit einigen Jahren, um ihre neuen Stücke vorzubereiten. In diesem Jahr werden Schillers „Räuber“ ins Heute adaptiert. Auf dem Hof des Kulturzentrums schlagen sich zwei Männer. Nicht mit den Fäusten – mit Degen beweisen sie Stärke, bis sich die Schneide verabschiedet. Ein harter Kampf? Mitnichten. Hart sind die Proben, denn alles muss perfekt sein bis zur Premiere. Die findet pünktlich zum Drucktermin von MAGDEBURG KOMPAKT statt. Bis dahin muss jeder Hieb, jeder Schritt, jede Bewegung passen.  

Die beiden, die genau das überwachen, sind Gisela Begrich und Bernd Kurt Götz. Sie langjährige Regisseurin, Marketing- und Produktionsleiterin, er Autor, Regisseur und Darsteller in Personalunion. Mit ihnen treffen wir uns zum Gespräch. Der Dritte im Bunde, probend allerdings an einem anderen Tag, ist Christoph Deckbar, Komponist, Musiker, Gesangstrainer für das Ensemble.   

Wie entstand die Idee für das Sommertheater?
Es gab die Projektidee „Freihänder“ von der Vereinigung der Gewerkschaft Arbeit und Leben zur Förderung von Künstlern nach der Wende. Durch Dagmar Schubert von der Galerie Süd ergab sich die Möglichkeit, Theater auf dem Hof zu spielen. Dort wurde 1993 „Trink’n wir noch ein Tröpfen“ als Hoftheater mit Bernd K. Götz, Piet Letz und Jan Kubon aufgeführt. Es folgte im Jahr darauf „Und bist du nicht willig“ ... und letztlich der legendäre „Bördefaust“, ein grandioser Erfolg.  
 
Das sind über 25 Jahre „Hoftheater“. Kulturelle Silberhochzeit. Ein wichtiges Jubiläum?
Überhaupt nicht, wehrt Bernd Götz ab. Einzig zeige es: „Wir sind in Magdeburg das älteste freie Theater, das kontinuierlich Inszenierungen aufführt.“ Doch die Geschichte geht eigentlich weiter zurück: 1986 begann Götz mit Straßentheater, das 1988 riesigen Erfolg verzeichnete, weil es den Nerv der Zeit traf. Dabei war das mehr oder weniger ein Zufall, winkt der Künstler lächelnd ab, der im Stück seinen „Faust“ nach Wien reisen ließ. „Ich hatte erst Moskau im Entwurf, aber das reimte sich nicht, also habe ich Wien draus gemacht.“ Ein Knaller in der Endzeit der DDR. Plötzlich standen tausend Menschen nach den Aufführungen an der Bühne und wollten über die Wende reden. Der Autor lacht auf. „So schnell ist man in der Politik, weil ein Reim nicht funktioniert.“ Ein Anreiz, den er seitdem immer wieder rauskitzelt. Das gehört zu den Besonderheiten des Autors: Bei allen Inszenierungen holt er den aktuellen, heutigen Bezug selbst in die ältesten Klassiker. Von denen gab es so einige: von „Macbeth“ bis „Hamlet“, von „Elektra“ bis „Bürger Lear“ reicht die umgewandelte Weltliteratur, es gab den „Don Kijote For Sachsen-Anhalt“, den „Mitteldeutschen Jedermann“, aber auch „Die Geschichte Magdeburgs in einer Vorstellung“ und „Editha My Love“, Historienstücke von „Katharina von Bora“ bis „Adelheid und ihr Kaiser“ und viele mehr. Die Texte schrieb immer Bernd Götz, die Ideen kamen oftmals von seiner langjährigen Partnerin Gisela Begrich. Auswahlkriterium: „Es geht generell um Themen, die wir für wichtig erachten.“    
 
Gibt es bei der Vielzahl von Inszenierungen eine, die besonders in Erinnerung ist?
Oh ja, antwortet Gisela Begrich sofort und erzählt vom „Mitteldeutschen Jedermann“. „Das war unser größter Erfolg und ich habe jeden Abend gedacht: Hoffentlich kommen nicht so viele Leute. Das hört sich vielleicht widersinnig an, doch für den Innenhof des Doms waren nur 200 Gäste zugelassen. Jeden Abend mussten wir Interessenten vertrösten, das ist nicht schön.“ So einen Andrang würde sie jedoch heute gern wieder erleben. Vielleicht mit den Räubern? Allerdings ist die Platzvorgabe im Garten der Möllenvogtei, wo die Aufführungen stattfinden, auf 150 beschränkt. „Ausverkauft würde schon reichen“, wirft Götz ein, der während des Gesprächs immer wieder lustige Zwischenrufe startet, die dann von seiner Gisela mit „ach Fuchs“ quittiert werden. Bis sie schließlich lachend erklärt, darum gäbe er im aktuellen Stück auch den „Hans Wurst“.

Da fällt ihr spontan eine Anekdote zum neuen Stück ein: Es gab zahlreiche Bewerbungen über ein Internetportal. Fast 80 Interessenten, die man nicht alle einladen konnte. Also wird eine Vorauswahl getroffen, u.a. anhand der Begründungen. Und so schrieb einer, er liebe die „Räuber“ und er habe schon immer gern für Kinder gespielt. Da würde sich Schiller aber wundern, wenn der Räuber Hotzenplotz auftaucht …

Gisela Begrich

Zum Ensemble gehören Stammspieler wie Ekkehard Schwarz und Bernd Götz, doch ebenso in jedem Jahr neue Schauspieler, auch von weit her. Wie wichtig ist so ein Wechsel?
Es ist nicht ganz einfach, in den offiziellen Spielzeitpausen Schauspieler zu finden, die im Sommer zusätzlich Open-Air-Theater spielen wollen und können, verrät Gisela Begrich. Manche kommen jedoch immer wieder, weil es ihnen gefällt. Wie Mareike Greb, die in diesem Jahr ein anderes Engagement hat, aber im nächsten wieder dabei sein möchte. Einem Ensemble, so ergänzt Bernd Götz, tut ein Wechsel gut. Er erfrischt. Die Auswahlkriterien variieren. So filtere Gisela Begrich, wer optisch in die Rolle passt. Christoph Deckbar entscheidet nach Musikalität. Die Dreierspitze, so sagen die Macher, ist eine ideale Lösung: „Es gibt bei Abstimmungen immer eine Mehrheit.“ Allerdings habe es noch nie eine Entscheidung gegen den Willen eines anderen gegeben, betonen sie dann.  

Was ist die größte/auffälligste Veränderung seit Beginn bis heute?
Die Konkurrenz ist größer geworden, sagt Gisela Begrich. „Als wir begannen, spielten die Freien Kammerspiele und das Puppentheater. Inzwischen sind es in der Region 12 Open-Air-Theater.“ Auch haben sich die zeitlichen Möglichkeiten verändert: Es bleibt der Compagnie 09 im Möllenvogteigarten die Zeit im Juli zwischen dem Domplatz-Theater und der angestammten Spielzeit des Poetenpacks im August.   

Worum geht es in der neuen Inszenierung?
Schillers „Räuber“ ist ein Stück über Daseinsverfehlungen vor 237 Jahren. Der Autor überschreibt es ins 21. Jahrhundert. Thema: Rettung der Welt. Er entwirft Varianten, dem Dilemma zu entkommen und endet darin, dass uns nichts bleibt, als immer besser zu scheitern. Und das geschieht heiter, versöhnlich, mit Komik und Gesang. Bernd Götz ergänzt: „Wir führen das Stück mit dem schönsten Karl auf, seit es Schiller gibt. Und wir denken, noch nie konnte ein Moritz Spigelberg so gut singen.“ Das Stück wird mit dem bisher größten Ensemble auf die Bühne gebracht. Zu den 7 Profis kommen 6 Magdeburger Statisten, die eine hochkarätige Aufgabe zu bewältigen haben, betont Gisela Begrich.  Der Jüngste ist 18, der Älteste 62 Jahre alt.

Wenn sie sich was wünschen könnten …
… würde Gisela Begrich den „Sommernachtstraum“ aufführen. Doch Autor Götz hat dazu keinen Bezug, erklärt er. Er hingegen erfülle sich seinen Wunsch gerade mit den „Räubern“. Einen großen Geldgewinn würden beide nicht ablehnen und dann „weitermachen wie bisher, nur ohne sich über die Finanzen Gedanken machen zu müssen.“ Ja, das wäre schön, bleibt wohl aber ein Traum … Der größte Gewinn ist, wenn das Publikum zahlreich erscheint.

Was ist das Schönste am Open-Air-Theater?
Wenn schönes Wetter ist, die Leute kommen und das Stück funktioniert, dann ist es wunderbar. Sehr, sehr schön. (Birgit Ahlert)

„Räuber 2.0 oder Auch Scheitern will gekonnt sein“, frei nach Friedrich Schiller, von Bernd Kurt Goetz (Text) und Christoph Deckbar (Musik). Aufführungen bis 27. Juli, täglich außer sonntags, jeweils ab 20.30 Uhr Möllenvogteigarten am Dom. Tickets im Vorverkauf und an der Abendkasse.

Zurück