Sommer, Theater und Träume

Mit 18 ausverkauften Vorstellungen der „West Side Story“ (22.932 Besucher) geht die Spielzeit des Theaters Magdeburg zu Ende. Die Stadt sei damit „Musicalhochburg des Ostens“ sagt Karen Stone, seit 2009 Intendantin des Hauses. Für Magdeburg Kompakt sprach Birgit Ahlert mit ihr über Musicals, die Aktualität von kommunalen Theatern und die Bewerbung Magdeburgs als Kulturhauptstadt.
Magdeburg Kompakt: Das Theater verkündet zum Ende der Spielzeit einen Besucherrekord für das Sommermusical „West Side Story”. Hatten Sie mit so einem Erfolg gerechnet?
Karen Stone: Dass es sich gut verkauft, ja. Aber dass es wirklich alle Rekorde bricht, das habe ich nicht vermutet. Im Nachhinein denke ich, es ist uns gelungen, zwei verschiedene Publika zu erreichen – neben einem Musicalpublikum haben wir auch ein klassisches Klientel erreichen können. Die „West Side Story“ gilt als Oper unter den Musicals.

Vorab hatte es Kritiken gegeben, weil es mit seinen 60 Jahren das älteste Musical überhaupt ist, noch dazu bereits mehrfach in Magdeburg aufgeführt.
Ich glaube, in der Sommerinszenierung möchten die Leute etwas, mit dem sie sich vertraut fühlen. Der Domplatz hat zudem eine sehr schöne Kulisse. Wenn dann der Mond aufgeht, die Sterne strahlen – das ist malerisch, sehr poetisch.

Es ist eine Herausforderung, das Musical in Vorgaben von Bernstein auf eine so große Bühne zu bringen, ohne dass es sich verliert.
Ja, ist es. Aber genau darüber freue ich mich, denn wir können dabei unsere Stärken präsentieren. Wir haben einen großartigen Dirigenten und ein fantastisches Orchester. Das ist ein Niveau, das nur ein Stadttheater bieten kann. Für private Theater ist das logistisch einfach zu umfangreich.

Sie sagen, das Publikum mag das Leichte, was es kennt. Haben Sie sich deshalb für „Jesus Christ Superstar“ im nächsten Sommer entschieden?   
Ja. Am Ende des Tages zählt, dass das Publikum nach Magdeburg kommt. Wir wollen viele Menschen in die Stadt ziehen. Bei der Auswahl betrachten wir daher auch die Statistiken des Deutschen Bühnenvereins. „Jesus Christ Superstar“ ist immer in den Top 10. Besonders gut kann ich mir das Finale vorstellen, mit der sensationellen Kulisse des Domes – wunderbar!

Steht bereits fest, wer den Hauptpart übernehmen wird?
Nein. Dieses Geheimnis lüften wir erst später.

Die Stadt hat Ihnen ein großes Kompliment gemacht und Ihren Vertrag bis 2022 verlängert. Fühlen auch Sie sich mit der Stadt verbunden?  
 Oh, ich habe hier viel Spaß! Zuvor habe ich in Amerika am Theater gearbeitet. Der weltweit einmalige Ensemble-Betrieb in Deutschland fehlte mir aber enorm. Hier in Magdeburg, in der Landeshauptstadt, haben wir ein Orchester mit 82 Musikern und können so alles spielen. Wir haben wunderbare Werkstätten, mit 44 Mitarbeitern. Dazu kommt, dass der Stadtrat, und zwar alle Parteien, die Kultur unterstützen. Insbesondere mit Blick auf die Bewerbung als Kulturhauptstadt 2025 ist das ein Bekenntnis. Zu einer erfolgreichen Stadt gehört neben Schulen, Sport und Infrastruktur eine lebendige Kultur- und Theaterszene. Da sehen wir uns in der Verpflichtung, auch mit dem Domplatz-Open-Air. Es zieht jedes Jahr viele Besucher von außerhalb an, weil die Aufführungen so beliebt sind. Wir werden in internationalen Musicalzeitschriften besprochen und mittlerweile als Musicalhochburg des Ostens gehandelt. Es kommen viele Gäste in die Stadt, das ergibt viele Übernachtungen, besuchte Restaurants – es ist eine Patenschaft zwischen Stadt und Kultur. Das nehmen wir sehr ernst.  

Das sah vor wenigen Jahren noch anders aus. 2013 gab es Demonstrationen gegen Kürzungen im Kulturbereich. Mittlerweile hat sich die Finanzierung reguliert ...?
Wir haben einen mehrjährigen Theatervertrag mit dem Land, bis Ende 2018. Ein Teil des Geldes wird für den Ausgleich der Tarifzahlungen aufgewendet. Den Hauptbeitrag übernimmt die Stadt und auch wir sind finanziell in der Verantwortung. In Magdeburg haben wir einen guten Stand erreicht. Darauf sind wir stolz. Denn es geht nur in Zusammenarbeit. Wir sind ja auch das einzige Theater in Sachsen-Anhalt, das seine Mitarbeiter nach Tarif bezahlen kann. Und wir konnten den Kostendeckungsgrad von 8 auf 13 Prozent steigern.

Was wäre Ihr Traum, den Sie gern umsetzen würden?
Mein absoluter Traum betrifft nicht nur Magdeburg, sondern Sachsen-Anhalt: Ich würde gern Mahlers große „Sinfonie der Tausend“ inszenieren. Auf dem Domplatz, zusammen mit Orchestern und Chören vom Theater Magdeburg, Dessau und Halle. Das wäre mein Traum!

Gibt es dazu bereits Gespräche?
Ich warte noch ein bisschen. Vielleicht in meinem letzten Jahr als Intendantin.
Eine Zusammenarbeit mit Halle und Dessau hatten wir jedoch bereits mit „Holländer hoch3“. Die Inszenierungen in allen drei Städten konnten mit einem Kombi-Ticket besucht werden, welches viele Menschen genutzt und so alle drei Vorstellungen besucht haben. Das finde ich großartig. Wir sind immer stärker, wenn wir zusammenarbeiten.

Deutschland hat so viele Theater wie sonst kein Land in Europa ...
Wir haben mehr städtische Theater und feste Ensembles. Die Kulturlandschaft in Deutschland ist einmalig mit ihrem Ensemble- und Repertoiretheater an städtischen Bühnen. Die Theaterlandschaft entwickelte sich aus der deutschen Kleinstaaterei und geht in ihrer jetzigen Struktur zurück bis ins 18. Jahrhundert. Es gab und gibt auch noch viele Regionen mit einer eigenen kulturellen Identität, was auch unmittelbar mit den regionalen Theatern zusammenhing, deren Mäzenen oftmals die jeweiligen Regenten waren. Sie waren stolz auf ihr Theater. Das hat sich bis in die Gegenwart fortgesetzt. Andere Länder haben sich anders entwickelt. In London wird an einem Abend an 80 Theatern gespielt! Allerdings sind es immer Kompanien für ein Stück, eins nach dem anderen, in einem En-Suite oder Stagione-Betrieb, was nicht zu vergleichen ist mit dem deutschen Ensembletheater.

Theater sind auch wirtschaftliche Unternehmen. In Deutschland von Stadt und Land finanziert. Kritiker finden das nicht mehr zeitgemäß. Warum muss sich hier eine Stadt ein Theater leisten können?
Ich denke, wenn man den Anspruch hat, eine kultivierte Bevölkerung zu haben, dann muss diese die Chance haben, ins Theater zu gehen. Ich bin sehr traurig, dass es nicht überall so ist. In England kann kaum ein Kind ins Theater gehen. Wir bieten nicht nur Unterhaltung, sondern wir haben auch ein pädagogisches Angebot. Wir arbeiten enorm viel mit Kindern, in Projekten, Schauspielgruppen oder in der Kinderoper zum Mitmachen, bei denen Kinder sich einbringen, in Chören mitsingen, Requisiten basteln. Wir haben offene Generalproben, Sinfoniekonzerte und vor allem Theaterpädagogen, die irrsinnig viel leisten.
Für mich als Künstlerin ist es zudem wichtig zu sagen: Wollen wir gute Künstler, Schauspieler, Sänger haben, brauchen sie auch die Möglichkeit, ihren Beruf zu lernen und auszuüben. In mehreren Ensembles zu arbeiten, ist eine wunderbare Möglichkeit, seine Kunst zu lernen und zu verbessern. Weltweit kenne ich viele Dirigenten und Sänger, die in Deutschland für einige Jahre in einem Ensemble waren. Es ist fantastisch, ihnen zu begegnen und zu hören: Ich war in Deutschland und das war wunderbar. Das ist eine Sache, auf die Deutschland sehr, sehr stolz sein sollte.

Das Freizeitangebot ist enorm vielfältig geworden, allein in der Unterhaltung – Kino, Fernsehen, Video, Streaming … Was kann Theater dagegen setzen, was macht Theater aus?
Es ist die besondere Atmosphäre im Theater, aber auch beim Sport oder bei Konzerten. Das Erlebnis ist ein anderes, wenn ich live dabei bin, wenn ich es höre, sehe, rieche … Für mich ist Theater noch immer ein zauberhafter Ort, an dem man mit Spannung darauf wartet, was passiert. Der Vorhang geht auf, du erlebst Menschen, die alles geben auf der Bühne. Höre ich Musik zuhause, klingt sie immer perfekt. Doch es ist nichts im Vergleich zu einer Live-Aufführung.  

Wie sehen Sie die Chancen, Kulturhauptstadt zu werden? Was muss Magdeburg haben oder was fehlt vielleicht noch?  
Ich erinnere an die Anfänge, als die berühmte Schauspielerin und griechische Kulturministerin Melina Mercouri die Initiative Kulturhauptstadt ins Leben gerufen hat. Anfangs waren es nur bekannte Kulturstädte wie Athen, Paris und Florenz. Dann erlebte ich in Großbritannien die Bewerbung von Glasgow. Es gab viele Skeptiker, die fragten, was das soll. Das war 1990. Jetzt, 25 Jahre später, liest man die Berichte und erfährt: Glasgow ist auf Platz 2 der am meisten besuchten Städte in Großbritannien. Es hat die Stadt interessanter gemacht, Leute sind hingezogen und haben Firmen gegründet.
Über die Jahre hat sich der Fokus der EU-Ausschreibung geändert: Es geht nicht darum, was die Stadt vor 2.000 Jahren hatte, sondern um europäische Werte, Kultur, die uns gemeinsam ist, und um regionale Unterschiede. Wo kann Kultur uns helfen, eine  städtische Identität zu kreieren, eine Stadt lebenswert zu machen und eine Nachhaltigkeit durch die Kultur zu fördern? Da sehe ich Magdeburg genau in der Mitte. Wir haben eine lange Geschichte, wir haben den Dom und Otto den Großen. Andererseits wurde die Stadt zwei Mal zerstört und musste neu aufgebaut werden. Heute ist sie zunehmend vitaler. Der Bevölkerungsschwund wurde zwar gestoppt, aber es geht dennoch um die Frage: Wie können wir wieder mehr Menschen nach Magdeburg locken? Da ist Kultur wichtig. Voller Freude sehe ich das neue Dommuseum, die Sanierung der Stadthalle – all dies macht die Stadt interessanter, schöner und in Zukunft lebenswerter. Eine Stadt gewinnt durch Investitionen in die Kultur, wie man am Beispiel Glasgow sieht. Deswegen denke ich: Eine Stadt wie Magdeburg ist genau richtig und erfüllt die Kriterien der Europäischen Union. Wir haben eine gute Chance. Und für mich ist es eine Ehre und Freude, einen Beitrag dazu leisten zu können.     

Sie sind persönlich involviert, helfen bei der Bewerbung. Wie sehen Sie andererseits die Rolle des Theaters als Beitrag?
Was wir jetzt tun können, ist die Beteiligung an den Konversationen zur Konzepterarbeitung für die Bewerbung. Und die Internationalität ist eine starke Komponente, mit der wir uns einbringen können. Wir als Theater bauen auf eine Infrastruktur mit anderen Theatern aus aller Welt. Wir hatten beispielsweise ein fantastisches Ukraine-Festival und wir arbeiten im Zuge dessen mit der Theaterszene in Kiew zusammen, einer Stadt, die im Mittelalter zum Magdeburger Recht gehörte und damit in einer besonderen Beziehung zu Magdeburg steht. Wir arbeiten mit Krakau und Gdańsk, mit Theatern in Frankreich, Italien, Großbritannien und vielen mehr … Das sind Elemente, die eine Bewerbung unterstützen.

Wie hat sich Theater verändert in den letzten Jahren und wie muss sich Theater ändern, um interessant zu bleiben?
Magdeburg ist eine Stadt mit 220.000 Einwohnern. Deshalb ist es für uns wichtig, dass unser Angebot ein breites Spektrum abdeckt. Die Bevölkerung unterstützt dieses Theater durch ihre Steuern und ich hoffe, es gibt für jeden eine Aufführung, bei der er oder sie sagen kann: „Ich möchte in mein Theater gehen“. Ob zum Domplatz-Open-Air, zum Gedenkkonzert oder Silvesterball.
Geändert hat sich, dass wir unser theaterpädagogisches Angebot deutlich ausgebaut haben. Die andere Seite ist: Das Abonnement ist nicht mehr zeitgemäß. Das bedeutet, wir müssen viel mehr die einzelnen Stücke in die Öffentlichkeit tragen. Das tun wir z.B. über unsere Homepage und soziale Medien. Mittlerweile macht sich das bemerkbar. Am Ende des Tages zählt, ob wir die Besucher mit unserer Arbeit erreichen, eine hohe Qualität und ein begeistertes Publikum.

Es geht in die Sommerpause. Was tun Sie, nachdem der letzte Vorhang für die Spielzeit fällt?
Erstmal meinen Schreibtisch aufräumen. Dann eine Woche segeln. Da kann der Wind den Stress rauspusten. Es geht über den Ärmelkanal von England nach Frankreich. Ich übe für meinen Hochseesegelschein. Beim Segeln muss man viel arbeiten, viel studieren, mit dem Sextanten, mit Wind und Strömung rechnen, nach den Sternen kalkulieren – das mag ich. Es ist sehr entspannend. Danach ist man voller neuer Ideen, die kommen, ohne dass man daran denkt. So geht es frisch in die neue Saison. 

Zurück