Selbstverführung und die Erschaffung der Frau

Matthias Engel als Erik Larsen (l.) und Michael Günther als Abel Znorko (r.) in der jüngsten Produktion des Theaters an der Angel „Enigma“ von Eric-Emmanuel Schmitt. Foto: Michael Kranz

Der Journalist Erik Larsen (Matthias Engel) will den zurückgezogen lebenden Exzentriker und Literaturnobelpreisträger Abel Znorko (Michael Günther) zu dessen neuem Buch interviewen. An diesem Ausgangspunkt des Stückes von Eric-Emmanuel Schmitt treffen zunächst archetypische Charaktere aufeinander. Znorko, dem Michael Günther mit seiner mächtigen Statur, perfekt den über allem stehenden Macho-Mann gibt, drückt Larsen, der im dagegen schmächtig wirkenden Matthias Engel einen farblosen Lokalschreiberling verkörpert, regelrecht verbal an den Boden.

Aber Larsen drängt seinem Gegenüber immer wieder die Frage auf, was von dessen jüngsten Veröffentlichungen authentisch und was Fiktion ist. Znorko hat darin einen Briefwechsel mit einer Frau veröffentlicht. Und die imaginäre Dame, deren reale Existenz der Autor abstreitet, rückt im weiteren Verlauf der Szenerie weiter in den Mittelpunkt des Geschehens. Letztlich steht sie wie eine Offenbarung zwischen beiden. Jeder hat sie mal geliebt, jeder auf seine Weise.

„Enigma“ lebt von den starken Dialogen des Eric-Emmanuel Schmitt und von den Überraschungen, die am Fortgang des Disputs der Protagonisten dem Verlauf jedes Mal eine ungeahnte Wendung geben. So ist Larsen gar kein Journalist, sondern der Ehemann dieser besagten Frau und Literaturlehrerin, der den heimlichen Briefwechsel zwischen ihr und Znorko entdeckt. So wie die Briefe im Buch des Schriftstellers plötzlich aufhören, endet im Stück jedesmal eine Szene, bei der man als Zuschauer glaubte, zu wissen, wie alles zusammenhängen würde.

Mehr sei hier zum Inhalt nicht verraten. Die Aufführung im kleinen Theater auf dem Werder findet diesmal nicht auf der Bühne der Villa statt, sondern in der kleinen Orangerie im Garten. Das Publikum sitzt im Kreis um die Spielfläche. Das Geschehen zwischen den Akteuren ist derart hautnah, dass einem kein Wort und keine Geste entgeht. Man hat stellenweise sogar den Eindruck, als würde der Konflikt nicht nur in den Dialogen stecken, sondern wie ein unsichtbarer Dritter mitspielen.

Dem Regisseur Marcus Karloff ist es trefflich gelungen, Matthias Engel und Michael Günther auf der kleinen Spielfläche in eine dramatische Dynamik zu versetzen, so dass die pausenlosen 90 Minuten Spieldauer wie im Flug vergehen. Die beiden Schauspieler reißen die Zuschauer aber regelrecht in eine aufmerksame Verfolgung der Aufführung. Die ohnehin wortgewaltigen Dialoge verschmelzen geradezu mit den Darstellern. Und über allem schwebt am die Erkenntnis, dass nicht die Verstrickungen der Liebe ein Mysterium sind, sondern dass dieses vielmehr im verklärenden Austausch von Worten verborgen ist. Alles andere ist die Erschaffung der Frau unter einer männlicher Selbstverführung. „Enigma“ im Theater an der Angel ist eine spannende und überraschende Zwei-Personen-Inszenierung, bei der sich wirklich jede Sekunde lohnt. (tw)


Enigma (Variations énigmatiques)
Theaterstück von Eric-Emmanuel Schmitt
Deutsch von Annette und Paul Bäcker
Darsteller: Michael Günther und Matthias Engel
Regie von Marcus Kaloff.
Theater an der Angel
Zollstraße 19 | 39114 Magdeburg
Tel.: 0391/5556555
Internet: www.theater-an-der-Angel.de

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