Premiere mit Donnerwetter

Szene mit Susanne Bard und Michael Ruchter (vorn) sowie Michael Magel, Kevin Schulz und Luise Haberlah (v.l.) bei „Olvenstedt probiert’s“ mit der „Möwe“ im Forum Gestaltung. Foto: Anne König

Der Kult geht weiter. Im mittlerweile 29. Versuch von „Olvenstedt probiert’s“ zieht sich das berühmt-berüchtigte Laientheater der Kammerspiele Magdeburg an die Ehle zurück, um sich der „Möwe“ zu widmen.

Ты говоришь по-русски? Nein, Russisch zu können, ist keine Voraussetzung, um dieses Stück zu verstehen. Aber an manchen Stellen wird doch deutlich, wer im Publikum der Sprache mächtig ist. Spätestens beim Lied über die Sonne, das zumindest bei der Premiere vielstimmig mitgesungen wurde. Das allerdings kommt im Original von Tschechow gar nicht vor, ist weitaus jüngeren Datums, aber belebendes Beispiel für die Verquickung von historischem Material und heutiger Aufführung. Ein Grund, warum die Produktionen von „Olvenstedt probiert’s“ so beliebt sind, egal, welches Alter die Stücke haben, deren Inszenierung die Laienspielgruppe um Achim und Beate umsetzen will. Diesmal also Anton Tschechows „Möwe“, Klassiker von 1895.

Nicht aktuell genug? In der Fassung von Dirk Heidicke schon. Vom 1. FCM (natürlich!) mit Hissen der Fahne und Fangesang über das Vorhaben „Kulturhauptstadt“ bis zu regionalen Medien reicht die thematische Spannbreite, die der Autor untergebracht hat. Tschechows russisches Landgut ist an die Ehle verlegt, ein aufblasbarer Pool wird zum See, an der sie zuhause ist – die Möwe.

An beiden Orten (auf dem zaristischen Land ebenso wie an der Ehle), herrscht gähnende Langeweile. Hier wie da gehen die Protagonisten mit Sticheleien gegeneinander vor. Es gibt Verquickungen von Liebe und Leid in Tschechows Stück ebenso wie in der Olvenstedter Theatergruppe, da hat Dirk Heidicke gut auf die Personen geschrieben. Wunderbar ist ebenfalls die Ausstattung (von Meyke Schirmer), punktgenau bis ins Detail, von der Sudenburger Bierflasche bis zur versteckten Möwe, vom traditionellen Pullunder bis zu den herrlichen russischen Trachten. Für die szenische Umsetzung sorgte Regisseur Oliver Breite.

Russisch wird gesprochen, ja, ein wenig, oder zumindest mit so wirkendem Akzent. Besonders Susanne Bard (alias Beate alias Irina Arkadina) macht das verzückend, wie überhaupt sie in ihrer Rolle glänzt. Sowohl elegant als russischer Star als auch wunderbar im Magdeburger Slang. Selbst wenn sich „Beate” diesmal nicht annähernd so oft die „Hoare“ gemacht hat wie in den Jahren zuvor. Überhaupt: Es fehlte an den angestammten Sprüchen und Redewendungen. Was man einerseits etwas bedauern mag, anderserseits tut ihnen eine kleine Pause vielleicht gut. Sie hätten wohl auch selten gepasst. Sollte Irinas Bruder Sorin (alias Achim / Michael Günther) nach Bouletten und Gedeck rufen im fernen Russland? Pausiert haben auch Gerald Fiedler (sonst Regisseur Basti Wiese) und Mathias M. Herrmann (in den Rollen von Torte und Fränki), die an ihre Engagements an Theatern in Augusburg bzw. Hannover gebunden sind. „Sie befinden sich im  Schlafmodus und kommen irgendwann wieder“, erklärte auf Nachfrage augenzwinkernd Michael Günther von den Kammerspielen Magdeburg. „Olvenstedt probiert’s“ ist eben ein Urlaubsprojekt und gewiss nicht einfach, von sechs Wochen Spielzeitpause drei dafür zu investieren – alle zeitgleich, fast unmöglich.

Das Fehlen wird ausgeglichen durch einige raffiniert eingebaute sprachliche Brücken in der Rolle des neuen Regisseurs Mark Busch (dargestellt von Michael Ruchter), der über das Hannover-Theater von Vorgänger „Basti Wiese“ sprach und ihm nacheiferte „Für die Menschen hier!“. Ruchter ist in Magdeburg kein Unbekannter, wenn auch neu bei „Olvenstedt probiert’s“. Er war vor einigen Jahren am Schauspielhaus u.a. als Woyzeck zu erleben. In der „Möwe“ gibt er einen allwissenden und einzig erfolgreichen Kenner der Szene, glaubhaft, arrogant und entsprechend nicht immer sympathisch. Doch gut sieht er aus, findet auch Luise (Friederike Walter) an der Ehle, deren Alias Nina sich ebenso in den von ihm dargestellten Trigorin verliebt. 

Es gibt neue Gesichter und Charaktere. Wie Luise Haberlah, die als FSJlerin sich ans Schauspiel traut. Oder „Vincent“ Kevin Schulz alias „Pinsel“, der stimmlich eine herrlich gleichförmige Note ins Spiel bringt, die durchzuhalten eine Herausforderung sein dürfte. Er übrigens war der Initiator des „Hauptmann von Köpenick“ im Ravelin 2, das im vorigen Jahr erfolgreich uraufgeführt wurde und ab 8. August wieder zu erleben sein wird.  

Doch zunächst gibt es die „Möwe“ bei „Olvenstedt probiert’s“. Deren Premiere am 20. Juni war ein voller Erfolg und wurde vom Publikum stürmisch gefeiert. Eine gelungene Mischung aus leichter Sommerunterhaltung und Nachdenklichkeit. Auch wenn es zwischenzeitlich immer mal wieder regnete, herrschte beste Stimmung. Die Open-air-Profis der Kammerspiele zeigten sich perfekt vorbereitet und verteilten zwischendurch Regenumhänge. Stürmisch wurde es zum Finale jedoch auch von himmelwärts – pünktlich zum Schlussapplaus entwickelte sich ein Gewitter und so endete die erste Aufführung mit einem lautstarken Donnerwetter im strömenden Regen. Ein zusätzliches Bravo an die Darsteller, die sich durch Wind und Regen durchsetzten! Ebenso an das Publikum, das eisern durchhielt. Birgit Ahlert

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