Die Seele der Welt im Quadrat

Bilder und Skulpturen in der Ausstellung „Axis Mundi“

Wer dieser Tage die Kunstgalerie in der Grünen Zitadelle betritt, wird von einem ungewöhnlichen Zauber empfangen. Auf den ersten Blick fallen die Formen und Farben auf. Ab dem zweiten Blick öffnet sich eine Reise durchs Universum. „Axis Mundi“ heißt die Ausstellung, Himmelsachse. In den Werken von Olga Gasparyan vereinigen sich und bestehen nebeneinander unendlich große und unendlich kleine Welten: das Universum, Gestalten des kulturellen Gedächtnisses der Menschheit sowie die Welt der Erinnerungen und Erlebnisse. Dabei macht sie alte Kulturen erinnerbar und zieht gleichsam Parallelen ins Heute. Es verbinden sich die Darstellung von ägyptischen Pyramiden und dem Babelturm. Der Dionysos Nachen, der mit Delfinen umkreist ist, verwandelt sich in den Nachen des ägyptischen Gottes Ra und danach in einen goldenen Halbmond. In dieser Welt singen und tanzen griechische Nymphen und Satyre, die slawischen Vögel Sirina erzählen Geschichten, jüdische Menoras leuchten. Und fast überall ist das Symbol des Lebensbaums. Sehr oft ist auch ein Einhorn zu sehen – ein Wesen, das in Mythen und Legenden von vielen Kulturen lebt, überall verschieden dargestellt ist, aber immer mit wundertätigen Eigenschaften verseht ist, rein, opferbereit, gleichzeitig martialisch und unbesiegbar.

Olga Gasparyan wurde 1970 in Jekaterinburg geboren. 1988 bis 1993 studierte sie Kunst an der Russischen Staatlichen Pädagogischen Herzen-Universität. Ihre Arbeiten sind in vielen privaten Kollektionen in Deutschland, Holland, Belgien, USA und Russland zu finden.

 

Ihr Liebslingsformat ist das Quadrat. Das Quadrat ist die Zahl „Vier“, die mit den Begriffen Gleichheit, Ordnung, Richtigkeit, Wahrheit, Gerechtigkeit, Weisheit, Ehre verbunden ist. Das Quadrat ist ein Prinzip der Standfestigkeit und Ganzheit, die die Grundbegriffe des Kosmos in sich synthetisieren – von den vier Jahreszeiten bis zur räumlichen Koordinaten, vier Himmelsrichtungen, vier Elemente. Das Quadrat ist ebenso Modell vieler Tempelbauten, Grundlage mittelalterlicher Klosterhöfe, die für die Gebete, fürs Denken bestimmt waren und die den Paradiesgarten auf der Erde symbolisieren sollten. All diese Gedanken, all dieses Streben eint sich in Olga Gasparyans Kunst. Die symbolische Sprache des Mittelalters ebenso wie Ikonenmalerei des Byzantinischen Reiches, europäische Bilderminiatur, Altarmalerei, angewandte Kunst. Darin basierend hat sie ihren eigenen Kunststil entwickelt und rettet gleichsam, was wohl für die mittelalterlichen Maler und Ikonenmaler charakteristisch war – Demut, Aufrichtigkeit und Arglosigkeit multipliziert mit dem hohen professionellen Niveau, mit der Fantasie, dem eingeborenen Gefühl der Farbe und mit der feinen Empfindung der Oberflächenbeschaffenheit.

Wer sich die Zeit nimmt, jedes einzelne Bild länger zu betrachten, wird immer wieder Neues entdecken. Details, dezent, fast unscheinbar, erschließen sich nach und nach.

Neben den quadratischen Bildformen bestimmt ein Triptychon den Ausstellungsraum. Auf der anderen Seite überraschen Grafiken mit unterschiedlichen Stilen. Ergänzt wird die Ausstellung mit Skuplturen, in denen sich die geistlichen Formen und Geschichten widerspiegeln. In einigen Arbeiten finden sich Blumen und Blätter, die auf Reisen in verschiedenen Ländern gesammelt wurden. Stammen sie aus Armenien, Holland, Deutschland oder vom Ufer des Finnischen Meerbusens? Die Malerin erinnert sich aber an jede einzelne Geschichte. Es ist ein Teil ihrer Biografie. Vereint in den Werken von Olga Gasparyan, mit dem Universum. Kunst à la Axis Mundi/Himmelsachse. Darum dreht sich ihre Welt, drehen sich ihre Gedanken, das Universum, in das wir als Betrachter eintauchen können in ihren Arbeiten. (ab/im)


Olga Gasparyan: „Axis Mundi”. Bis zum 25. Februar in der Kunstgalerie Fabra Ars in der Grünen Zitadelle, Breiter Weg 8a. Geöffnet Dienstag bis Sonntag, 11 bis 18 Uhr.

Zurück