Sommer ohne lästigen Mücken-Beigeschmack

Wenn ich eines nicht ausstehen kann, dann ist es die Katzbuckelei vor der Obrigkeit. Auch vor der von ganz, ganz oben nicht. Einzig Petrus, den verehre ich, zumindest fühle ich mich ihm nahe. Manchmal – wenn garantiert niemand zuhört – bin ich mit ihm im Zwiegespräch. Heute Morgen zum Beispiel. Zwar ist Sommer, aber mit dem Wetter haperte es. Ich schielte nach oben und sagte ganz leise: „Du tust mir leid, wirklich und aufrichtig. Deinen Job, mein lieber Petrus, den möchte ich nicht haben. Ständig diese Meckerei – nee, igitt! Alleine, wenn ich an die Gestaltung des Sommers denke. Egal, wie du’s anstellst, den einen ist dein Sommer zu warm, den anderen nicht warm genug. Dann wieder zu kalt, zu feucht oder zu trocken. Und wenn zu trocken und du endlich die Schleusen öffnest, ist es den einen zu viel, den anderen noch immer zu wenig. Und nicht anhaltend genug oder, im Gegenteil, viel zu lange. Die Erneuerbare-Energien-Gemeinde will viel Wind und möglichst andauernd, für ihre Miefquirle brauchen sie ihn. Auch die mit ihren Segeljollen, die dümpeln ansonsten auf dem Fleck. Also machst du Wind. Den anderen wieder, den bläst der Wind ins Gesicht, und das mögen sie überhaupt nicht. Und wennschon Wind, dann – so unser politisches Establishment – ausschließlich Mitwind, bitte keinen Gegenwind!
Nun der Hammer (es ist doch wohl dein Werk?): Des ständigen Gemeckers überdrüssig, hast du die Mücken und die Fliegen abgeschafft, jedenfalls so gut wie, und die Schmetterlinge und Käfer gleich mit. Die Windschutzscheiben bleiben sauber. Nun soll auch das wieder nicht richtig sein? Nein, Petrus, du tust mir leid!“
Die Wolken haben eine ganze Weile gebraucht, um sich zusammenzutun. Ein Donnerschlag jetzt.
„Jawohl“, murmele ich in Richtung oben. „Du warst das nicht.“ Und sogleich verzieht sich das Gewitter. – Ich habe verstanden. Wollte Petrus ja nur mal testen.
Viele Jahre lang geht das schon so, immer weniger Insekten. Früher, da bogen sich die großen Doldenblüten des Bärenklaus, so viele Fliegen, Käfer, Hautflügler und Blattläuse kletterten darauf herum. Heute ist da mal eines dieser Tierchen zu sehen, dort ein anderes und auf der nächsten Dolde keines. Bunte Wiesen und überall Schmetterlinge, das war mal. Zur selben Zeit sind allerdings eben auch die Mücken verschwunden, jedenfalls so gut wie, so dass sich das Bedauern in Grenzen hält. Im Gegenteil, die Leute können ihr Wassergrundstück erst jetzt so richtig genießen. Und beim Wandern lässt man das Mückenspray zu Hause. Und wenn dann doch mal eine Mücke sticht, eine einzige, dann wird die verflucht, anstelle dass man sich über das bisschen Restnatur freut!
Nicht nur die Menge der Insekten geht zurück, auch die Anzahl der Arten. Immerhin hat man in Deutschland mit etwa 30.000 zu rechnen! Darunter 9.000 Fliegen und Mücken, 8.000 Käfer und 4.000 Schmetterlinge. Den Rekord hält mit 11.000 Arten die Ordnung der Hautflügler. Sicher ist es sehr aufregend, wenn bei uns eine Vogelart am Aussterben ist, die Großtrappe zum Beispiel, oder der Hamster oder die Europäische Sumpfschildkröte. Aber eine Käfer-Art? Oder die einer Fliege? Viele können diesen Krabbelviechern sowieso nichts abgewinnen. Vor allem, wenn sie von der Natur keine Ahnung haben und sich schon deshalb von ihren Kindern (oder die Lehrer von ihren Schülern) nicht gern fragen lassen, was denn das da für ein Schmetterling sei und wie komisch dieses kleine Biest aussähe, das auf der gelben Blume herumkröche und wie es denn heiße.
Anderen Menschen geht das nicht so, und schon gar nicht den Insektenkundlern. Schon seit vielen Jahren warnen sie vor der ökologischen Katastrophe. Kaum einer hört es. Dazu müsste es im Zeitungsblätterwald viel, viel stärker rascheln. Der Sommer böte eine Chance. Ein Journalist, der im Sommerloch nicht fündig wird, dessen Honorarvertrag steht auf der Kippe. Kürzlich erst, das Sommerloch ist noch im Babyzustand, der G20-Gipfel, der Gipfel aller Gipfel, hat ausgehaucht, da hat es einer von ihnen mit einer Insekten-Story in die Frankfurter Allgemeine geschafft – die FAZ verfügt neben wenigen anderen Blättern noch immer über manch findigen Beitrag. In der Ausgabe vom 15. Juli prangt als Überschrift: „Schleichende Katastrophe. Bis zu 80 Prozent weniger Insekten in Deutschland“ – Das Ausrufezeichen fehlt, aber immerhin. Von Untersuchungen ist die Rede, die vor allem in Nordrhein-Westfalen angestellt wurden. In speziell entwickelten Insektenfallen sammelten sich zwischen Mai und Oktober des Jahres 1989 noch 1,4 Kilogramm Insekten unterschiedlichster Arten an, 2013 hingegen, im selben Zeitraum, nur noch 294 Gramm. Schade, dass es nicht der Klimawandel ist, der daran Schuld trägt. Dann würde die Sache politisch hochwirksam. Nein, die extrem intensive Landwirtschaft ist es. Alles, aber auch wirklich alles, was sich in unseren Landschaften in Produktion umwandeln lässt, wandelt sie tatsächlich auch in solche um. Riesige Flächen werden zu Monokulturen gemacht, hochwirksame Herbizide sorgen dafür, dass nichts anderes wächst. Alles andere sind ja sowieso nur Unkräuter. – Unmenschen gibt es, keine Frage, aber Un-Pflanzen? Gleichviel, weg damit! Genauso diese Krabbel- und Flattertierchen. Die meisten von ihnen sind sowieso Schädlinge. Was immer das sein mag, hochwirksame Insektizide drauf, sie killen, wo sie etwas zu killen finden.
Die Feldwege und die sie säumenden Randstreifen und Hecken sind größtenteils verschwunden. Nirgendwo Brachen, auf den es blühen darf, wie es gerne blühen möchte. Bunte Wiesen werden allerorten zu Fettwiesen umgewandelt und dann zu Kuhfutter gemacht. Dort, wo es noch Wildwuchs geben könnte, setzen schon früh im Jahr die Randstreifenmäher ein und dann noch ein paar Male später, um allem, was da zu blühen versucht, die frechen Köpfe abzuschneiden. Da kann nichts mehr aussamen oder eben nur noch wenig. Nein, selbst hier: produktiver Rasen. Überproduktion, die dann auch noch von der EU gestützt wird, damit landwirtschaftlicherseits keine Tränen fließen. Bezahlt nicht nur mit Euro, sondern eben auch mit der Vielfalt unserer Pflanzen- und Tierwelt, die zumindest einstmals sehr groß war. Apropos Natur, grün und so weiter, wie hieß doch gleich die Partei, die sich so eindrücklich für unsere Umwelt engagierte, damals, als es ihr noch um die Sache ging?
   Dort, wo die Insekten fehlen, dort fehlt es zum Beispiel auch an Vögeln. Nicht nur die insektenfressenden Arten unter ihnen sind betroffen, auch die körnerfressenden. Denn deren Jungen müssen mit Insekten gefüttert werden. Und so kann es passieren, dass Sie, verehrte Leserinnen und Leser, wenn Sie eines schönen Sommertages draußen vor den Toren spazieren gehen, kaum einen Vogel sehen. Wann haben Sie das letzte Mal eine Feldlerche erblickt, eine Feldlerche singen hören? Ich weiß es: Damals noch, als Sie ab und zu auch mal von einer Mücke gestochen wurden.
Nein, Petrus, du kannst nichts dafür. Das sind wir Menschen selbst. Dein Wirken aber ist es, dass von dem gestrigen schönen Sommertag heute nichts mehr zu spüren ist. In diesem Moment, mitten am Tage, lässt du es nun auch noch dunkel werden. Wind kommt auf. Ja, es regnet! So wie in der gesamten vorigen Woche. Die Pflanzen brauchen das Nass. Die, die noch übriggeblieben sind. Ich weiß, ihnen schmeckt ein verregneter Sommer, und letztlich auch den Tieren, die von den Pflanzen leben. Oder von Tieren, die von den Pflanzen leben. Ich meine die paar Pflanzen und Tiere, die den Menschen bisher noch überstanden haben.
Breiter Weg in Magdeburg. Unmittelbar vor mir dahineilende Passanten. Sie blicken sich missmutig um, blicken nach oben, sie haben keinen Schirm dabei und überschütten dich mit Hate-Speech-Tiraden. Ich selber habe auch keinen und blicke ebenfalls nach oben. Alles grau. Kalt ist es, und nun auch noch nass. Wem soll solch ein Sommer schmecken? Mir nicht! Prof. Dr. Gerald Wolf

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