Schönsein im Auge des Zweifels

Wenn man die ständig steigenden Umsatzzahlen für Kosmetika sieht, müsste man annehmen, dass Schönheit proportional mitwachse. Was eher zunimmt sind wohl die Zweifel an eigener Schönheit.

Zahlen zeigen harte Fakten: In Sachen Schönheitsprodukte ist Deutschland Europameister. 13,6 Milliarden Euro Umsatz erzielte die Branche mit Cremés, Shampoo, Lippenstift und Haarfärbemitteln. Pro Kopf sind das 164 Euro pro Jahr. Statis-tisch blättert die deutsche Frau jährlich sogar rund 550 Euro für Schönheits- und Pflegemittelchen hin. Und in der Kosmetikbranche freut man sich über rosige Wachstumsprognosen. Einerseits holt die Männerwelt im Konsum auf und andererseits ist beim zunehmenden Griff nach Anti-Aging-Produkten – insbesondere wegen der demografischen Entwicklung – noch lange kein Wachstums-ende in Sicht.

Kosmetik ist bekanntlich ein eigener menschlicher Kosmos. Doch warum kennt der Glaube an eigene Verschönerungspotenziale keine Grenzen? Sicherlich besitzt die Suggestion, dass neue Produkte dem Alterungsprozess unterlaufen könnten, viel Kraft und Hersteller befeuern die Illusion mit vielen Werbemillionen. Aber es gibt auch den Verstärkungsprozess unter Menschen, die sich gegenseitig über Selbsterfahrungen vermitteln, wie gut dieses oder jenes Mittel in seiner Wirkung sei.

Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Jeder kennt diesen Satz und in ihm schlummert genau der Kern des Zweifels, ob man einem möglichen Betrachter gegenüber attraktiv und sympathisch erscheint. Es gehört zu unserer menschlichen Natur, von anderen positive Signale für die eigene Ausstrahlung zu erhalten. Im Grunde möchte man die Schönheit im Blick des anderen ernten. Frauen verwenden im Schnitt zwischen 15 und 30 Minuten für das Cremen und Schminken. Unter 30-Jährige verbringen sogar oft mehr als 60 Minuten vor dem Spiegel. Laut der Psychologin Ines Imdahl vom Rheingold Marktforschungsinstitut würde hinter dem Hang nach intensiver Aufhübschung ein übergeordneter gesellschaftlicher Aspekt stecken. „Wir können uns mit Körperpflege Kontrolle verschaffen, während wir in anderen Bereichen die Kontrolle verlieren“, deutet die Rheingold-Geschäftsführerin den Kosmetikboom in Deutschland. Mit Kosmetik ein Gefühl für gesellschaftliche Verunsicherung übertünchen? Vermutlich ist der Einfluss eines anderen Trends viel größer: In allen Lebenssphären wachsen die Verlautbarungen, dass der Mensch in allem etwas tun könne. Und das wird uns täglich vorgeführt. Was die Medizin heute zu leisten vermag, davon hätte vor 50 Jahren kaum jemand zu träumen vermocht. Automatisierung, Sprachsteuerung, Lebenserleichterungen, permanente Körperwerteüberwachung, jeder trägt Verantwortung, als erschiene ein ewiges Leben greifbar nah – von solchen Stoffen ist die vergeistigte Sphäre angereichert und dringt wie ein stimulierendes Gas in alle Selbstoptimierungsporen. Insofern verwundert es nicht, dass sich die Vorstellung von Schönheit, als sei dies ein stets verbesserungswürdiger Stoff, über alles legt und sich Frauen oder Männer davon angetrieben fühlen.

Dabei könnte manche Lebenserfahrung viel mehr Gelassenheit schenken. Schaut man mit zunehmendem Alter Gleichaltrige an, ist in deren Gesichert genauso viel Schönheit zu sehen wie man als junger Mensch und jugendlichen Gesichtern gesehen hat. Graue Haare werden insbesondere von Frauen als Makel und Symbol eines „Verblühens“ angesehen. Betrachten und Erkennen sind eben auch Erfahrungsprozesse, die sich mit der Reife eines Menschen entwickeln. Und niemand müsste sich mit einer jung-erwachsenen Generation im Aussehen messen, der über das 50. Lebensjahr hinausgewachsen ist.

Vielmehr sollte man doch fragen, welche Schönheit in den Lebensleistungen eines Menschen steckt? Was ist durch sein Tun entstanden, gehegt und gepflegt worden? Die Schönheit eines Engagements, die von Vertrauen oder Geborgenheit, kann weder Kosmetik noch Schmuck oder Modedesign hervorbringen. Ein Mehr an künstlicher Fassade verdeckt kein Versäumnis und keine unterlassene Hilfe. Sympathie und Ausstrahlung, Attraktivität und Schönheit stellen niemanden über einen anderen. Im Prinzip ist das allen klar und die übergroße Mehrheit lebt innerhalb solcher Einstellungen. Und dennoch ist es, als würde man insgeheim von einem kleinen Dämon im Innern angetrieben, der unterstellt, irgendjemand könnte mich nicht schön genug annehmen. Mit diesem kleinen, immer letzten Zweifel muss zu leben lernen, damit das Streben nach Schönheit nicht zu einem Schönheitswahn mutiert. (tw)

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