OKF – die Lösung der Langenweile

Eine Kleinstadt an der Elbe. Eine wunderschöne verwinkelte Altstadt und eine Jugend, die nicht so recht weiß, wohin mit sich. Hat man die jetzigen Führerscheinbesitzer vor ein paar Jahren nach ihren Hobbys gefragt, haben sie Dinge zu hören bekommen wie Reiten, Lesen, Schach, Gitarre, Fußball und mehr.

Fragt man heute, sind Netflix oder OKF häufige Antworten. OKF? Das erklärt sich später. Auf der Suche nach Möglichkeiten zu Beschäftigungen jeglicher Art ist die stille Perspektivlosigkeit ein ständiger Begleiter. Was die Stadt an Veranstaltungen zu bieten hat, lockt zwar mehr Einwohner als im ganzen restlichen Jahr auf die Straßen, dennoch deckt das nicht den Hang der jungen Leute nach Action, Partynächten und Erlebnissucht. An insgesamt acht Wochenenden – was großzügig bemessen ist, weil meist nur einer von drei Wochenendtagen mit einer Veranstaltung belegt ist – kann jeder Bewohner des Städtchens und der umliegenden Dörfer (und derer, die das Stadtmarketing erreicht hat) sich von der Planungssicherheit der Eventabteilung überzeugen. Trifft man Jugendliche dort an, können Sie fast sicher sein, dass sie bereits „vorgeglüht“ haben, um sich unter dem Rest an „Greisen“ nicht fehl am Platz zu fühlen. Mit der Wegmische, einem Bier oder einer Flasche Pfeffi in der Hand schlendern sie in Gruppen zu drei oder mehr über das Gelände und begutachten das Treiben. Die jungen Gesichter mischen sich unter die Menge und werden jedes Mal durch ein Lächeln erhellt, wenn ein Gleichaltriger den Weg kreuzt. Dann gibt’s einen Kurzen und ein knappes Gespräch über die Freizeitgestaltung der nächsten Tage. „Was machst du morgen?“, könnte die Frage lauten. „Weiß noch nicht. Ist ja nichts los“, wird die Antwort sein. „Echt so. Wie immer. Wir können ja ne Runde drehen.“ Das ist dann die Lösung.

An Tagen, die nicht für Veranstaltungen auserwählt wurden, passiert auf den Straßen der Kleinstadt, was Unbeteiligte kaum verstehen. Die „Ortskontrollfahrt“, kurz OKF genannt, bezeichnet ein ziellos wirkendes und sinnlos erscheinendes Umherfahren innerhalb der Stadtmauern. Die Fahrer, meist junge Leute unter 30, fühlen sich hinter dem Steuer so wohl und selbstsicher wie bei keiner anderen Tätigkeit. Warum tun sie das? Die Motive können verschieden sein. Manche schlagen nur Zeit tot. Einige beschauen sich das heimische Städtchen, obwohl sie jeden Grashalm kennen.

Am schönsten ist die OKF, wenn andere auch unterwegs sind. Man trifft sich, kumpelt sich beim Vorbeifahren freundlich ab, trinkt gemeinsam einen Kaffee auf dem Parkplatz oder fährt als Kolonne umher.

Doch es geht nicht nur ums stupide Herumfahren. Bei einer „Ortskontrollfahrt“ kann viel passieren. Die Fahrer werden manchmal von neuen Autos mit bekannten Kennzeichen überrascht. Neues Auto? Der stolze Besitzer will das die anderen OKFler wissen lassen. Also gibt’s Präsentationsrunden auf dem Parkplatz oder auf einem Kreisverkehr. Und das ohne zu blinken, stets in zügiger Fahrweise, die manche als halsbrecherisch bezeichnen würden.

Es geht um das berühmte Sehen und Gesehen werden. Man könnte es auch als eine Möglichkeit bezeichnen, Zeit und Geld in Form von Kraftstoff loszuwerden. Doch vor allem beschreibt das Phänomen der OKF die Ziellosigkeit einer Generation, die sich vor Möglichkeiten eigentlich kaum retten kann. Zumindest lautet so die Theorie. Aber in einer Zeit, in der man sich freiwillig täglich einer Reizüberflutung auf Bildschirmen aussetzt und mit vermeintlichen Erfolgen anderer konfrontiert wird, erscheint ihnen das beste offenbar die Flucht davor zu sein. Das Auto als Zufluchtsort, die Straße als Suche ohne Ziel. Und das Gefühl teilt man mit jemandem auf dem Beifahrersitz. Dazu laute Lieblingsmusik. Herumstreunen – so hieß das bei Vorgenerationen, Abhängen schon vor 30 Jahren. So viel anders tragen junge Leute von heute Langeweile auch nicht aus. Swantje Langwisch

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