Nathusius – ein Industriepionier

Johann Gottlob Nathusius, Ölgemälde von Friedrich Hesse (1817).

Eine Erinnerung an Johann Gottlob Nathusius (1760 bis 1835) anlässlich seines 182. Todestages am 23. Juli 2017 und dessen Wirken in Magdeburg, Hundisburg und
Althaldensleben.
Johann Gottlob Nathusius wurde am 30. April 1760 in Baruth in der damaligen Provinz Sachsen in der Mark Brandenburg als sechs-ter Sohn einer nicht reichen Beamtenfamilie geboren. Nach Rektor Dieskau erlebte er eine harte Lehrzeit in einem kleinen Berliner Kaufmanns-Detailgeschäft und trat 1784 in Magdeburg in das Großhandelshaus Sengewald am Breiten Weg ein. Dort arbeitete er zunächst als Buchhalter und Vertreter des Prinzipals. Aber schon nach einem Jahr starb Sengewald, welcher vorher seinen Schwager Richter und Nathusius zur gemeinschaftlichen Fortführung der Firma eingesetzt hatte. 1793 wurde Nathusius durch Richters Tod alleiniger Inhaber und nun zeigte er mittels Intelligenz, Willenskraft und geschäftlichem Glück trotz der Kriegswirren in den Befreiungskriegen 1813/14 gegen Napoleon Bonaparte (1769 bis 1821) sein kaufmännisches Können. Zur Vorbereitung von Pfeifen-, Schnupf- und Kautabak-Zigarren – Zigaretten kannte man noch nicht – hatte er 1787 eine Tabakfabrik gegründet, die ihm ersten Wohlstand einbrachte. Gleich in den ersten Jahren des Betriebes kaufte Nathusius in Hamburg eine Schiffsladung angeblich durch Wasser verdorbenen Tabak, was aber nicht stimmte. Dabei gewann er 30.000 Taler.
1806 war er bereits der reichste Bürger Magdeburgs und durch seine Tabakpäckchen eine der bekanntesten Personen, was ihn auch in die führenden Kreise des neu gegründeten Königreichs Westfalen mit Kassel als Hauptstadt brachte. Magdeburg wurde Sitz der Verwaltung des Elbdepartements. Als Mitglied der Reichsstände weilte er oft längere Zeit in Kassel, was zur Bekanntschaft seiner späteren Frau Luise als Tochter des Kreisgerichtsrats Engelhard führte, da er bei seinen Aufenthalten in dessen Hause wohnte. Nach der Trauung am 27. Februar 1809 kaufte Nathusius im Juni 1810 das von Jerome Napoleon durch Dekret vom 17. Januar 1810 säkularisierte Klostergut Althaldensleben. Der Emdener Kantor Bock notierte eine Kaufsumme von 450.000 Französischen Franc (360.000 Mark), die er bar bezahlt haben soll. Nach dieser Publikation von 1920 hatte der Enkel von Johannes von Nathusius in Greifswald den originalen Kaufkontrakt dabei. Ausgenommen beim Kauf waren nach Bock die im nördlichen Teil liegenden beiden Kirchen nebst einer Kapelle sowie die Wohnungen der Geistlichen. Dies hatte zur Folge, dass Nathusius sich den Neubau der Simultankirche als Doppelkirche mit Turm sowie Pfarreien und Friedhofsland wünschte. Schließlich wurde die evangelische Kirche am 24. Januar 1830 eingeweiht und am 3. Ostertage 1830 die katholische Kirche.
Damit erhielt Althaldensleben ein von ihm geprägtes anderes Aussehen. Am Ort, 25 Kilometer nordwestlich seiner bisherigen Wohn- und Wirkungsstätte Magdeburg, enstanden bald mehrere Manufakturen. Ab 1813 beispielsweise eine Steingutfabrik sowie ab 1824 eine Porzellanmanufaktur. In Kochs Publikation zur 1000-Jahr-Feier 1966 sind weitere gewerbliche Betriebe aufgeführt wie eine Brauerei mit Mälzerei, eine Runkelrübenzuckerfabrik mit Raffinerie für indischen Rohrzucker, eine Schweizerkäsefabrik, eine Stärke- und Nudelfabrik, eine Obstweinkelterei, eine Weinessig-, Likör- und Mostrichfabrik, Mühlen (Wassermühlen), Ziegeleien und Steinbrüche, eine Eisengießerei, eine Steindruckerei, ein Kupferhammer sowie eine Maschinenfabrik, die im heutigen Hauptsaal des Barockschlosses eingerichtet war. Unter Johann Gottlob Nathusius kam es zu baulichen Veränderungen durch die Einziehung einer Zwischendecke, wodurch kleinere Produktionsräume entstanden. Die obere Hälfte blieb ungeteilt vom Dachboden aus zugänglich. Vermutlich wurden daher Gemälde aus dem Festsaal in das Treppenhaus des Schlosses umgehängt. Heute erinnern in Althaldensleben nur noch einige Gebäude an dieses goldene Industriezeitalter zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Das Klostergut beherbergt jetzt ein Berufsschulausbildungszentrum des Landkreises Börde.
Unter Nathusius wurde der Klosterpark erweitert und als etwa 100 Hektar großer Landschaftspark mit einer Vielzahl seltener Gehölze angelegt. Er stellte ein Bindeglied zum ersteigerten Rittergut Hundisburg (13. November 1811) mit Barockschloss auf der Ostseite des Rundburggeländes der Hunoldesburg dar. Der Chronist Peter Wilhelm Behrends schrieb in seinem Buch über Nathusius‘ Schöpfungen 1824: „Kommt und schaut umher auf diesen herrlichen Fluren, ob nicht Natur und Kunst sich hier ein Eden erbaut!“ Laut Bock erschien 1825 der erste Baumschulkatalog über verkäufliche Bäume und Sträucher und 1826 nannte er unter anderem 350.000 bevorratete Obstsämlinge, 30.000 Nadelhö̈lzer, 18.000 amerikanische Eschen, 9.000 Tulpenbäume (Liriodendron), 7.000 Gleditschien und 36.000 Akazien, die wohl Robinien waren. Später schreibt er dazu: „Bald war unsere Handelsgä̈rtnerei die größte und bedeutendste in Deutschland. Ihre Verzeichnisse trugen den Vordruck: Verzeichnis der im Freien ausdauernden in- und ausländischen Bäume und Strä̈ucher sowie der Obstsorten und Stauden-Gewächse, die in den Plantagen und Gärten zu Althaldensleben bei Magdeburg kultiviert und um beigesetzte Preise verkauft werden. … Als die Allee nach Neuhaldensleben gepflanzt wurde, betrug der Vorrat an Ahornbä̈umen noch 35.000.

Grundriss der Stadt Magdeburg von 1798. Der Nathusius-Garten befand sich auf der rechten Werderspitze.

Es konnte sich unsere Kunst- und Handelsgärtnerei einer Reihe von Neuzüchtungen von Pflanzenarten rühmen, ich nenne davon nur die ,Althaldensleber Zellernuss’ und ,Nathusius Taubenapfel’.“ Nathusius selbst sagte über sein gärtnerisches Engagement: „Jeder meiner Betriebe hat seinen eigenen Direktor, aber für meine Gärten bin ich selbst Leiter.“ Es soll keine Pflanze, die er nicht mit Namen kannte, gegeben haben. Nathusius’ bester Gehölzkunde wurde kein Geringerer als Hermann Ludwig Heinrich Fü̈rst von Pü̈ckler-Muskau. Dieser hatte am 1. Mai 1815 die Schaffung des Muskauer Parks ausgerufen und selbigen am 23. Juni 1823 gemeinsam mit der Errichtung Bad Muskaus eröffnet. Nathusius belieferte aber auch den Waldpark Harbke. Dieser Waldpark mit seinen vielen Gehö̈lzen aus Nordamerika zog 1805 auch Goethe in seinen Bann, um dort die wilde Baumzucht zu studieren.
Zurück zu Nathusius: Die Umwandlung des Dorfes Althaldensleben in einen betriebsamen Fabrikort führte zu einem raschen Wachstum der Einwohnerzahl auf über 1.000 Personen sowie zu einem neuen 0rtsteil. Zunächst bezog Nathusius mit seiner Familie das Schloss Hundisburg, ehe 1815 das Kloster Althaldensleben als Wohnstätte diente. Schloss Hundisburg funktionierte er zur Produktionsstätte um. Dies führte dazu, dass die seit 1709 im Turmgewö̈lbe eingelagerte Lehnsbibliothek der Alvensleben und viele Gemälde bereits 1811 in die beiden Schlösser von Erxleben über-fü̈hrt wurden. Beim Emdener Kantor Bock heißt es 1920: „So war nun Althaldensleben der Mittelpunkt für unsere Gegend, nicht Neuhaldensleben.“ Was wäre Althaldensleben heute, wenn dieser Nathusius dort geblieben wäre? Die Massenanzucht von Platanen war lange ein Althaldensleber Geheimnis.
Umstritten ist, ob auch Peter Joseph Lenné ihn in Althaldensleben besuchte schon allein aufgrund der ihm bestimmt bekannten Tatsache, dass sein von ihm ungeliebter Fürst von Pü̈ckler-Muskau so enge Geschäftsbeziehungen zu Nathusius unterhielt. Dazu heißt es bei Günther und Harksen: „Die Arbeiten für Magdeburg sind im Zusammenhang mit der Beziehung Lennés zu dem Magdeburger Johann Gottlob Nathusius zu sehen, der in Althaldensleben und Hundisburg Industrien entwickelte und die Landschaft verschönte. Nathusius‘ Briefwechsel mit Lenné aus den Jahren 1821 bis 1824 ist erhalten. Nicht belegt ist Lennés Einfluss auf die Gartenanlagen von Nathusius.“
Die Gä̈rten standen für jedermann zu jeder Zeit offen. Obwohl Johann Gottlob Nathusius sich als unerschrockener und penibel kalkulierender Unternehmer weltweit Ruhm erwarb, blieb er ein Mann, der jedes Staatsamt und jede Ordensauszeichnung sowie die Erhebung in den erblichen Adelsstand ablehnte. Erst seine Söhne wurden nach seinem Tode am 23. Juli 1835 bei der Krönung des preußischen Kö̈nigs Wilhelm I. (1797 bis 1888) zum deutschen Kaiser am 18. Januar 1871 in Versailles geadelt. Nathusius war und blieb zeitlebens Volksmann, der mit seinen Angestellten wie mit seinesgleichen verkehrte. Heiner von Nathusius, Abkömmling der geadelten Familie, sorgt allerdings aktuell eher dafür, dass das Ansehen von Nathusius’ durch die Sangerhausener MIFA-Insolvenz in Verruf gerät.
Wünschenswert wä̈re, dass Magdeburg auf der Werder-Nordspitze, dem einstigen Nathusius Wohnsitz mit einer Gedenktafel an den Industriepionier und Freund von Johann Kaspar Coqui (Fabrikant und Magdeburger Kommunalpolitiker, 1747 bis 1824) erinnert. Anlass dafü̈r kö̈nnte der 260. Geburtstag von Johann Gottlob Nathusius am 30. April 2020 sein.
Nathusius huldigten zu Lebzeiten bereits berü̈hmte Köpfe: Besucher war der königlich schwedische Leibarzt Magnus von Pontin, der mit seinem Freund, dem Chemiker Berzelius, 1830 kam. Althaldensleben einen Besuch abstattete. Im Fremdenbuch sind aber auch Besucher wie der Herzog von Cambridge und Vizekönig von Hannover genannt, der Oberpräsident von Westfalen von Vinke, der Feldmarschall Gneisenau, der Leibarzt der Königin Luise, der Zoologe Onken, der Großherzog von Sachsen-Weimar und Goethe-Förderer Karl August. Goethe mag sich zwar für Althaldensleben interessiert haben, war aber wohl nie selbst dort. Vermutet wird ein Treffen zwischen ihm und Johann Gottlob Nathusius dagegen in Harbke. Ein Franzose schrieb über seinen Besuch in Althaldensleben ins Fremdenbuch: „Nachdem ich den größten Teil Europas zum Zwecke der Gewerbekunde besucht habe, gestehe ich, dass ich nirgends so viel Zweige bei einem einzigen Besitzer vereinigt und so wohlverwaltet gesehen habe.“
Am 23. Juli 1835 starb Johann Gottlob Nathusius im Alter von 75 Jahren in Althaldensleben. Die Grabstätte befindet sich in seinem Park auf der ehemaligen Burgstätte. Seitdem ist dies die Erbbegräbnisstätte der Familie von Nathusius. Sie wird heute noch entsprechend gepflegt.
Wünschenswert wäre es, wenn sich sowohl die Stadt Haldensleben als auch die Familie von Nathusius zu einem Denkmal für den Förderer der Region und Industriepionier im Landschaftspark oder am Ölmühlenteich in Althaldensleben entschließen könnte. Die dort heute noch stehende Solitärplatane wurde laut Bock im Frühjahr 1832 von seinem Vater gepflanzt, womit sie jetzt 185 Jahre dort wächst und somit zu den ältesten Park-bäumen aus der Entstehungszeit des Landschaftsparks Haldensleben-Hundisburg zählt. Kaum ein anderer hat sich derart für die Entwicklung Haldenslebens in der 1.051-jährigen Stadtgeschichte eingesetzt wie es Johann Gottlob Nathusius tat. Er hätte dieses Würdigung verdient. Der Emdener Kantor Bock erinnert an Nathusius in besonderer Weise: „Inzwischen ist das Klostergut in andere Hä̈nde übergegangen, die Nachkommen haben sich in alle Winde zerstreut und von den Schöpfungen (Gewerbestätten) ist keine mehr vorhanden. Doch das Andenken an den Mann, der unser Althaldensleben vor hundert Jahren weltbekannt und weltberü̈hmt gemacht hat, soll unter uns wach bleiben, ihm zum ehrenden Gedächtnis und unserer Jugend zur Nacheiferung. Die Stä̈tte, die ein guter Mensch betrat, ist eingeweiht; nach hundert Jahren klingt sein Wort und seine Tat dem Enkel wieder.“ Dipl. Ing. Volker A. W. Wittich, Magdeburg

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