Horizonterweiterung

„Kloster“ sagte ich unbedacht, da erhielt ich schon die Korrektur: „Bitte! Wir sind das Kunstmuseum der Landeshauptstadt! Kloster ist dieses Haus seit der Reformation nicht mehr.“ „Gut“, sagte ich, „aber für die Magdeburger ist die ‚Betitelung’ Kloster für das Kunstmuseum, als ob er Purzel oder Bienchen zu seiner Frau sagt.“ „Mit Kloster als Nickname kann ich gut leben“, sagt sie da. Sie – das ist die „Chefin“ eines Kunsthauses in Deutschland, das sie nach Aussagen führender deutscher Kunstwissenschaftler in den Jahren seit 2001, als sie nach Ausschreibung die Leitung dieses Hauses übernahm, natürlich mit ihrem Team im Haus, das zweifellos zu den kleinsten Teams in Deutschland gehört, zu einem Haus von nationaler, ja internationaler Wirkung und Ausstrahlung gemacht hat. 2012 erhielt sie für ihre Arbeit den anerkannten Museumspreis der Kunststiftung der hbs, der von der niedersächsischen Sparkassenstiftung verwaltet wird. Er wird für außergewöhnliche Ausstellungsvorhaben verliehen. Die Laudatio hielt seinerzeit Prof. Wulf Herzogenrath, Direktor der Sektion Bildende Kunst der Akademie der  Künste Berlin.

Ludwig Schumann: Gehen wir doch mal in medias res: Ein Künstler in Magdeburg meinte, Kloster? Naja, die stellen doch so drittklassige internationale Kunst aus. Was antworten Sie darauf?
Dr. Annegret Laabs: Da bin ich erst mal platt! Wir werden, denke ich, von vielen, national wie inzwischen auch international, gänzlich anders wahrgenommen. Das kriegen wir immer wieder zurückgespiegelt, sowohl seitens der Kunstwissenschaft als auch der Künstler.

Möglicherweise spiegelt sich in einer solchen Replik das Gefühl einheimischer Künstler, vom ersten Kunsthaus am Platze nicht wahrgenommen zu werden.
Das würde so nicht stimmen. Als ich 2001 in Magdeburg anfing, war diese Erwartungshaltung sicher sehr stark da. Wir sind aber keine Galerie, sondern das  Kunstmuseum einer Landeshauptstadt. Das hat einen anderen Auftrag: Unser Auftrag ist, die nationale und internationale Kunst in die Stadt zu bringen, den Stand in der Diskussion der nationalen und internationalen bildenden Kunst widerzuspiegeln. Bis 2001 hatte man sich im Kloster vor allem dem Skulpturalem gewidmet. Wir haben dann begonnen, die bildende Kunst darüber hinaus in unseren Ausstellungen abzubilden. Ich denke, das hat man in den zurückliegenden Jahren auch gesehen. Wir verstehen unsere Ausstellungen ja auch als einen Dienst an unseren Künstlern, indem wir Ihnen mit der Ausstellung wichtiger Künstler unserer Zeit Anregungen zu eigenen Standortbestimmung oder zur Weiterarbeit widmen. Auf den Punkt gebracht: Unsere Arbeit dient der Horizonterweiterung. Wir haben allerdings auch bei Überblicksausstellungen immer im Blick, welche Kunst aus unserer Region gezeigt werden kann: Hans Wulf Kunze ist dabei. Demnächst gibt es eine Ausstellung mit Mario Lobedan. Aber, wie gesagt, das Kunstmuseum der Landeshauptstadt hat eine andere Aufgabe als die Galerien und die Vereine in der Stadt.

Es wird immer mal wieder geklagt, dass die Skulpturensammlung „unsichtbar“ geworden ist.
Ja, aber das stimmt so nicht. Die Skulpturen, die Sie früher in der oberen Tonne sahen, die finden Sie heute in dem Raum, für den diese ja eigentlich bestimmt waren: Im Freien, auf dem Gelände um das Kloster herum. Das wird merkwürdigerweise bis heute nicht wirklich wahrgenommen. Wir haben auch vieles noch im Magazin, das wir aus Platzgründen momentan nicht zeigen können. Aber da gibt es eine interessante Entwicklung, die gerade für einen großen Aufreger sorgt.

Sie bauen an?
Noch nicht. Aber Professor Ralf Niebergall hat seinen internationalen Studierenden an der Hochschule Anhalt in Dessau den Jahresauftrag gegeben, einen modernen Anbau an das Kunstmuseum zu planen. Die Ergebnisse wurden gerade vorgestellt. Es handelt sich um die Freifläche zur Elbe hin, für die zwanzig Studierende einen Anbau an das Kunstmuseum entworfen haben. Ich habe dieser Tage im Kulturausschuss darüber sprechen wollen und dürfen, dass wir das weiter verfolgen wollen. Natürlich im Moment nur als Idee. Aber wir sind der Meinung, dass das Kunstmuseum in den Grenzen des Klosters Unser Lieben Frauen für die vielfältigen Aufgaben, die wir wahrnehmen müssen, zu wenig Raum vorhält. Unsere Aufgaben sind, national und international bedeutende Künstler auszustellen, sie in unserem landeshauptstädtischen Diskussionsraum zu präsentieren. Damit haben wir uns ja für Magdeburg auch international diesen anerkannten Ruf erarbeitet. Um diesem damit ja auch wachsenden Anspruch gerecht zu werden, fehlt uns ganz einfach der Platz. Wir können keine großen Installationen zeigen, keine Skulpturen, die Raum brauchen. Dass wir uns da beschränken müssen, grenzt natürlich Künstler aus, die so arbeiten. Und es begrenzt auch die Möglichkeit, unsere Sammlungen zu zeigen. Da steht ja allerhand bei uns im Magazin. Es gibt natürlich eine rege, wie ich finde, schöne, Diskussion um den Anbau. Es gibt natürlich auch ein Erschrecken, wie bei allem Neuen. Auch den Hinweis, ob das nicht alles viel zu groß sei. Da kommt schon mal die Frage, ob „die“ jetzt alle verrückt geworden seien. Nein, da ist eher das Gefühl: Es geht noch was. Man kann das auch übersetzen in: Wir trauen Magdeburg und uns in Magdeburg Zukunft zu. Ich empfinde diese Situation im Moment sehr schön. Karen Stone hatte gestern im 23. Kunsttalk am Beispiel Enrico Castellanis gesagt: „Ihr habt hier eine Weltklasse-Kunst, das ist unglaublich. Ihr könnt inzwischen mithalten mit den großen Museen.“ Das ist tatsächlich unser Anspruch. Ich sage das noch einmal: Magdeburg ist Landeshauptstadt. Wir sind das Kunstmuseum der Landeshauptstadt, Schon deshalb geht das gar nicht anders.

Nach welchen Kriterien suchen Sie die Ausstellungen, sagen wir, der nächsten zwei Jahre aus? Gibt es so etwas wie einen roten Faden?
Es gibt wohl keinen Kurator, der nicht nach subjektiven Kriterien aussucht. Das ist kein unwichtiger Ansatzpunkt. Wir wollen dabei ein möglichst breites Spektrum heutiger Kunst in unseren Ausstellungen abbilden. Es wird dabei nie den großen Schwerpunkt Malerei geben. Es wird nie den großen Schwerpunkt Minimalismus geben. Das geben unsere Räume nicht her. Die Beschränkung auf die Skulptur, wie sie in der Tradition unseres Hauses zu finden ist, war solange sinnvoll, wie man diese Kategorisierungen in der Kunst hatte. Die gibt es heute nicht mehr. Skulpturen nehmen nur noch einen sehr kleinen Bereich in der Gegenwartskunst ein. Die Frage ist doch: Warum kommt dieses Gespräch, dieser Ruf zur Beschränkung immer hier auf? Die das von uns verlangen, kämen nie auf die Idee, Gleiches von den Kunstmuseen in Aachen, Köln oder München zu verlangen. Ich antworte: Die Kunst beschränkt sich nicht, und wir als Kunstmuseum der Landeshauptstadt werden das deshalb auch nicht tun. Auch wenn wir nicht alles machen können. Und es zeigt sich ja auch, wie ich das anhand der gegenwärtigen Ausstellung mit Fotografien von Phillip Toledano beobachten kann, dass dies von unserem Publikum auch gewollt ist.

Darf ich trotzdem noch mal auf die DDR-Skulpturensammlung zu sprechen kommen? Ist die „eingemottet“ oder taucht sie irgendwann ausstellungsmäßig wieder auf?
Wir sind gerade dabei, unseren Sammlungskatalog zu erstellen. Da wird man ihr ja wieder begegnen. Ich verweise noch mal auf unsere Ausstellungen im Außenraum. Da findet man die Bronzen wieder. Die prominentesten Stücke, die wir unser eigen nennen, stehen im Skulpturenpark unterhalb des Klosters. Es wird ja manchmal behauptet, wir versteckten diese Sammlung. Nein, schaut doch mal hin. Da begegnen Euch unsere Skulpturen. Und natürlich, wenn wir hier eine Ausstellung mit Kleinplastiken haben, wird auch gesichtet, was wir aus unseren Beständen dazu beitragen können. Also: Wir arbeiten damit. Wir verstecken nichts.

Was könnte der Grund sein, dass man die Skulpturen im Außenbereich nicht als Teil einer Ausstellung begreift?
Vielleicht weil der Zeitpunkt der Aufstellung nicht glücklich war. Im Herbst 1989, als alle Leute mit anderen Dingen beschäftigt waren, hatte man im Kunstmuseum begonnen, diesen Außenbereich zu gestalten. Ich höre tatsächlich bis heute: Wo sind denn diese Skulpturen abgeblieben? Ich sage den Fragern: Gehen Sie doch einfach vor die Tür. Da stehen die Skulpturen, die Sie suchen. Die stehen da, seit sie im Herbst 1989 hier aufgestellt wurden. Seltsam, nicht? Das waren alles Skulpturen, die in der oberen Tonne standen. Aber, wie gesagt, zum Zeitpunkt ihrer Aufstellung außen waren die Leute mit der Grenzöffnung beschäftigt, mit dem ersten Erleben des Westens. Ich denke, das ist der Grund dieser verschobenen Wahrnehmung.
Aber eines muss man auch noch mal sagen: Diese kleine abgeschlossene Sammlung mit Kunst aus der DDR wird eine Generation später einfach die Kunst einer kleinen Episode in der Geschichte sein. Wir reden von 40 (vierzig!) Jahren. Es ist eine historisch abgeschlossene Sammlung, mit der wir arbeiten, wie man das mit einer solchen Sammlung tut. Wir haben seit dem politischen Umbruch schon 30 Jahre neuer Kunstproduktion hinter uns, das ist doch unglaublich.

Aber nun die Ausblicke!
Wir haben im Juni eine große Ausstellung über die Verbindung von Musik und Kunst. Das spielt ja gerade in der Videokunst eine große Rolle. Es ist aber auch Klangkunst entstanden, die wiederum Elemente der bildenden Kunst mit Klang verbindet. Beide Kunstformen zueinander zu bringen, wird, denke ich, auch wiederum eine andere Zuschauerklientel ansprechen, als wir bis dahin haben. Aber es wird auch zahlreiche monographische Ausstellungen geben. Wir wollen also einen gewissen Wechsel von Gruppenausstellungen mit monographischen Ausstellungen erreichen, damit auch eine unterschiedliche Klientel ansprechen. Foto und Video sind in der momentanen Situation ohnehin bestimmende Formen. Was ich mir nicht nachsagen lassen möchte, ist, dass wir die Künstler des Ostens nicht wahrnehmen würden. Wir sind eines der wenigen Kunsthäuser im Osten, das auf diesem Gebiet wirklich etwas leistet, denken Sie nur an die Ausstellungen von Frieder Heinze, die Kirchenfenster, die der Dresdner Max Uhlig für die Johanniskirche fertigt, seine Ausstellung hier, oder Peter Hermanns Arbeiten. Das sind alles Leute, die hier in Mitteldeutschland verankert sind. Und wir fragen natürlich: Was machen die heute? Das ist auch unsere Frage, wenn dann Mario Lobedan bei uns ausstellt. Wir sind weniger am Lebenswerk interessiert, sondern als modernes Kunstmuseum wollen wir natürlich präsentieren, was aktuell zur bildenden Kunst beigetragen wird. Ich denke, das macht unsere Ausstellungen spannend – und es ist so etwas wie der Lohn für eine Arbeit, die man über die Jahre durchgetragen hat, dass nun auch die nationale und internationale Anerkennung kommt.

Frau Dr. Laabs, herzlichen Dank für die Zeit, die sie sich nahmen, trotz aller alltäglichen Hektik in der Unterbesetzung. Behalten Sie Ihre Obsession für das, was Sie da machen, zusammen mit Ihren Mitarbeitern, voran Uwe Jens Gellner. Meinen persönlichen Dank für Ihrer aller Arbeit können Sie sicher sein.

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