Hengstmanns andere Seite: … anschließend Tanz

Zu Zeiten, da sich die sogenannte „Wende“ noch in weiter Ferne befand, bewarben rührige Kulturarbeiter Veranstaltungen wie populärwissenschaftliche Vorträge, Dia-Abende oder Lesungen des „Zirkels schreibender Arbeiter“ immer mit der Bekanntmachung: Anschließend Tanz! So hoffte man, die oft nicht so stark besuchten Veranstaltungen doch noch irgendwie voll zu kriegen.
Das waren hohe Zeiten für Tanzkapellen oder Discotheken. Wobei sich der „Discjockey“ offiziell gar nicht so nennen durfte. In seiner staatlichen „Freudeverbreitungszulassung“ stand eben nicht „Discjockey“ sondern „Schallplattenunterhalter“, kurz „SPU“. Doch auch hier kam es zu Irritationen. Der Schallplattenunterhalter unterhielt seine tanzwütige Klientel gar nicht mit Schallplatten. Nein: Es waren fast immer Tonbandgeräte. Und die machten die Musik.
Hauptsächlich Musik, die vom Schallplattenunterhalter unter großem Zeitaufwand, meist nachts, von Radiosendern aus dem kapitalistischen Kulturkreis mitgeschnitten wurden. Aber man musste als Schallplattenunterhalter beim Abspielen dieser nicht östlichen Musik immer wachsam sein. Es gab nämlich damals die „AWA“. Die „AWA“ war das, was heute die „GEMA“ ist. („AWA“: Anstalt zur Wahrung der Aufführungsrechte) Und es gab, ähnlich wie heute die „GEMAListe“, eine „AWA-Liste“. Auf dieser Liste musste akribisch dokumentiert werden, welche Titel der Schallplattenunterhalter zum Tanz aufspielte. Oberste Prämisse: 60:40! Das bedeutete 60 Prozent der Titel aus sozialistischer Feder und eben nur 40 Prozent von „Drüben“.
Wenn sich aber ein Schallplattenunterhalter an diese 60:40-Regelung hielt, wurde er von den Tanzenden mit großem Missfallen bedacht. Also musste der Schallplattenunterhalter mit sich selbst einen Kompromiss eingehen und spielte 0:100! Also Null Prozent Ost und 100 Prozent West. Nun trieben sich aber von der „AWA“ ausgeschickte konspirative Gesellen auf den Tanzveranstaltungen herum. Sie mussten im Geheimen überprüfen, ob sich der Schallplattenunterhalter auch an die Prämisse 60:40 hielt. Wurde der Schallplattenunterhalter bei 0:100 erwischt, drohte ihm der Entzug der „Pappe“. Also der „Staatlichen Zulassung im volkskünstlerischen Schaffen“ also „SPU“. Und da waren ja auch noch diese „AWA-Listen“. Diese wurde dann vom „SPU“ mit ungutem Gewissen so ausgefüllt, dass sich die Prämisse 60:40 ergab.
Alles das, was es über die Schallplattenunterhalter zu erzählen gab, traf natürlich auch auf die zahlreichen Tanzkapellen zu. Unter der Rubrik: „Es war nicht alles schlecht“ muss man sagen, dass fast alle im Osten auf einem sehr hohen Niveau musizierten. Das lag zum einen an der Qualität der Musikanten. Zum anderen aber auch an der Qualität der Instrumente und der Technik. Es galt: 0:100. Alles sogenannte West-Technik. Doch hier war das Dilemma sehr groß. Wenn sich eine Tanzkapelle zu einem Bezirksleistungsvergleich der Tanzmusik mit einer „Vermona-Anlage“ auf die Bühne stellte, brauchte sie nicht einen Ton zu spielen. Sie fiel bei der Jury von vornherein durch. Wenn die Musiker zum Beispiel „Smoke on the Water“ auf einer „Vermona-Anlage“ zum Klingen bringen wollte, klang das irgendwie komisch. So, als wenn eine Ziege in einen Melkeimer pinkelt. Deshalb wurden Westinstrumente zu horrenden Preisen unter den Ostmusikern gehandelt. Nach dem Motto: Tausche „Farfisa-Orgel“ gegen Trabant mit Wertausgleich. So war das eben damals. Der Mangel im Osten kam eben auch den Tanzmusikern teuer zu stehen.
Noch einmal kurz zurück ins Hier und Heute. Apropos 60:40. Viele Sänger, Komponisten und Produzenten im nun geeinten Tanzbetrieb wollen mit großer Vehemenz diese 60:40-Regelung wieder haben. Dieses Mal aber unter der Prämisse: 60 Prozent deutsche Tanzmusik und 40 Prozent englische. Da möchte ich aber mal Mäuschen spielen und mir heimlich eine heutige GEMA-Liste ansehen. Aber egal. Ich habe nur Bedenken wenn es irgendwann mal wieder heißt: Anschließend Tanz!

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