Haben Spitzenpolitiker mehr Testosteron?

Populistische Politiker scheinen heute überall auf der Überholspur zu sein. Sie versuchen bei den Wählern mit einfachen Rezepten für die Lösung komplizierter Probleme zu punkten. Davon abgesehen drängt sich die Frage auf: Sind ihre Wahlerfolge vielleicht auch auf einen besonderen Reichtum am männlichen Sexualhormon zurückzuführen?

In diesem Jahr werden die Deutschen überdurchschnittlich oft zur Wahlurne gerufen. Angeführt wird dieser Reigen von der Wahl des Europäischen Parlaments, gefolgt von Landtagswahlen in Bremen, Brandenburg, Sachsen und Thüringen und neun Kommunalwahlen. Lieber Leser, Sie sind sicher auch davon überzeugt, dass die Art zu reden großen Einfluss auf die Wahlchancen eines Politikers hat? Ist es nicht der öffentliche Diskurs gewesen, der die griechische Demokratie in der Antike mitgeprägt hat? War es nicht die Redekunst von Cicero (106 – 43 v. Chr), dem römischen Politiker und Konsul, die ihm ein Gedenken bis heute bewahrt hat. Übrigens, es gibt auch seit 2004 ein Magazin für politische Kultur, das sich mit dem Namen von Cicero an eine anspruchsvolle Lesergemeinde wendet. Und es ist doch auch eine Binsenweisheit, dass derjenige, der gut reden kann, in fast allen Bereichen des Lebens die Nase vorn hat.

Mir hat einmal ein Schweizer den Erfolg deutscher Bewerber um Aufträge oder Stellenausschreibungen in der Schweiz damit erklärt, dass die Deutschen den Schweizern darin überlegen sind, ihre Gedanken klarer und schneller auf den Punkt zu bringen. Die Redekunst (Rhetorik) ist die Fähigkeit vor Publikum überzeugend zu reden. Wer sie beherrscht, kann damit Werbung für sich machen. Deshalb wird heute in den Schulen das freie Reden und Vorträgehalten gedrillt. Ich habe jedenfalls die Erfahrung gemacht, dass sich Studenten, selbst bei kurzer Vorbereitung, beeindruckend präsentieren können. Abgesehen von ganz wenigen Ausnahmen, wurde in meiner Jugend wenig wert auf die Entwicklung dieser Fähigkeit gelegt. Zudem gehörte es auch nicht zu den Erziehungszielen der Volksbildung in der DDR, sich mit geschliffener Rede in der Masse sichtbar zu machen. Wer das Talent zur charismatischen Rede hat, der hat einen Mangel an Gefolgschaft. Um nur bei den positiven Beispielen zu bleiben, sind es nicht auch die Reden von Willy Brandt und Helmut Schmidt gewesen, die uns für deren konstruktive Politik in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts so begeistert haben. Man sagt auch, es soll die Rede von Schäuble im Bundestag gewesen sein, die Berlin zu Ungunsten von Bonn zur Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands gemacht hat.

Man hört gelegentlich, dass Politiker viel Testos-teron im Blut haben müssen. Im Biologieunterricht haben wir gelernt, dass dieser körpereigene „Anreger“ und „Antreiber“ (altgriechisch: horman = anregen, erregen) unser Leben mit-orches-triert. Hormone werden durch innere Drüsen gebildet, zu bestimmten Anlässen in das Blut ausgeschüttet und so zu Zielgeweben transportiert. Dort angekommen, lassen sie uns wachsen, modellieren den Körper, stimmen den Stoffwechsel auf Low Carb- oder High Carb-Diäten, Fasten, Stress usw. ein. Aber macht Testosteron auch Politik? Interne Kommentare unter Parteigenossen, wie, „manchmal ist vielleicht zu viel Testosteron im Spiel“, lassen es vermuten. Einem ehemaligen SPD-Spitzenpolitiker wird sogar ein besonderer Reichtum an diesem Hormon nachgesagt, weshalb er parteiintern „Don Testosteron“ genannt wurde. Unabhängig davon scheint es auch im Leben prominenter Politiker, wie dem des abgestürzten Stars der französischen Sozialisten, Dominique Strauss-Kahn, eine selbstzerstörerische Rolle gespielt zu haben.

Das Elixier der Männlichkeit
Bei seiner Namensgebung war der Bildungsort Pate, der Hoden (lat. testiculus). Testosteron gilt schlechthin als Synonym der männlichen Potenz. Muss man bei seinem Namen nicht sofort an den Taurus, den Stier denken, der auf seinem Rücken die Europa (die Tochter des phönizischen Königs Agenor und der Königin Telephassa) dem liebeshungrigen Zeus zugeführt hat? Auch der Modedrink Red Bull wirbt mit der Kraft des Stieres, nicht nur mit dem Namen, sondern auch mit einem Inhaltsstoff, dem Taurin (dem Abbauprodukt der schwefelhaltigen Aminosäure Cystein). Es ist ja auch der Stier, der in Picassos Bildern ein wildes, unbändiges Leben symbolisiert. Dass dieser allgewaltige Mannesstoff aus dem übel beleumundeten Cholesterol gebildet wird, ist etwas enttäuschend.

Die Chemie des Testosterons wurde 1935 entblättert, nachdem der deutsche Mediziner und Pharmakologe Ernst Laqueur es in einer winzigen Menge aus einer Tonne von Rinderhoden isoliert hatte. Mit dem Testosteron schien das Elixier gefunden worden zu sein, das die Alphamänner hervorbringt. Eine frühe Wirkung entfaltet es bereits im männlichen Embryo. Dort legt es in der sechsten Schwangerschaftswoche einen Schalter um, wodurch die Weichenstellung für die Entwicklung zum Knaben endgültig besiegelt wird. Später macht es seine Stimme tiefer. Im Barockzeitalter war man über diese Wirkung auf die Alt- und Sopranstimmen von sangesbegabten Knaben sehr unglücklich. Deshalb wurden in dieser Zeit heranwachsende Sängertalente zu Engel wider Willen gemacht. Neapel war als „Kastraten-Werkstatt“ eine berühmte Adresse. Der Alleskönner Testosteron fördert aber auch den Haarwuchs, verhilft zu längeren Erektionen und kräftigt die Muskeln. Seine Wirkung auf die Muskeln machte es als Anabolikum berühmt.

Die Karriere im Leistungssport begann mit dem amerikanischen Rennpferd Holloway, das 1941 nach einer „Testosteron-Kur“ jedes Rennen gewann. Auch die antiken Athleten sollen schon auf die leistungsfördernde Wirkung von Stierhoden gebaut haben. Wie sich aber schnell bei den Anabolika-schluckenden Kraftsportlern herausstellte, hat das Testosteron auch eine Kehrseite. Das sind Leberschäden, Herz- und Gefäßkrankheiten und es lässt die Hoden auf Erbsengröße schrumpfen. In den USA wird neuerdings die Griesgrämigkeit älterer Männer („Grumpy Old Man-Syndrom“) mit dem sinkenden Testosteronspiegel im Blut erklärt. Deswegen empfehlen Ärzte den Männern weniger Bier zu trinken, weil im Bier das weibliche Pendant des Testosterons, das Östrogen, enthalten ist. Dieser Sicht steht aber entgegen, dass trotz der altersbedingten Abnahme des Testosterons, der Mann keine Beschwerden hat und die „männlichen Wechseljahre“ eine Erfindung sind.

Macht Testosteron Politik?
Die Ergebnisse von dazu durchgeführten Studien sind widersprüchlich. Eine an bolivianischen Ureinwohnern des Tsimane-Stammes durchgeführte Studie kommt zu dem Schluss, dass wirklich harte Männer wenig Testosteron besitzen. Ihr Testosteronspiegel beträgt nämlich nur ein Drittel von dem der Männer der Industrieländer. Im Gegenteil, viel Testosteron ist für den Überlebenskampf der Tsimane-Männer sogar nachteilig. Da die Männer im Regenwald den Attacken unterschiedlichster Parasiten ausgesetzt sind, müssen sie ein starkes, wehrfähiges Immunsystem haben. Ein solches wird aber durch einen hohen Testosteronspiegel unterdrückt. Der heutige, hohe Testosteronspiegel der Männer ist offensichtlich erst durch die verbesserten Lebensbedingungen entstanden.

Richtig ist, dass Testosteron bei verschiedenen Tierarten das Dominanzverhalten gegenüber dem männlichen Rivalen steigert, und damit den Fortpflanzungserfolg des Aggressiveren erhöht. Bei Menschen scheint seine Wirkung jedoch vielschichtiger zu sein. Nach einer Hypothese des irischen Forschers Jean-Claude Dreher macht  Testosteron den Mann großzügig und zu einem geschickten Verhandlungspartner und verbessert dadurch sein gesellschaftliches Ansehen (http://www.pnas.org/content/113/41/11633.) Diese Erkenntnis wurde übrigens vom Einfluss des Testosterons auf das Verhalten von Männern beim Glücksspiel abgeleitet. Übrigens, Ähnliches ist von Menschenaffen bekannt. Alphamännchen mit hohem Testosteronspiegel sichern die soziale Hierarchie, indem sie Artgenossen, die aus der Reihe tanzen, bestrafen, wogegen  Kooperationsbereite mit großzügigem Zugang zu Weibchen und Fress-Resourcen belohnt werden.

„Soft skills“ bringen auch Erfolg
Wenn man nun aber davon überzeugt ist, dass Testosteron den durchsetzungsstarken Politiker ausmacht, dann sollten ja im Umkehrschluss Frauen als Spitzenpolitiker gänzlich ungeeignet sein? Frauen bilden zwar auch Testosteron in den Eierstöcken und den Nebennieren, dieses wird aber sehr schnell zu den Östrogenen weiterverarbeitet. Und trotzdem gab und gibt es Frauen, die in höchsten politischen Ämtern wie Felsen in der Brandung stehen. Für diese stehen die Namen von Hillary Clinton, die „Eiserne Lady“ Margaret Thatcher, Angelika Merkel, Theresa May, Annegret Kramp-Karrenbauer und viele andere mehr. Wir haben alle die Bilder von der britischen Premierministerin Theresa May vor Augen, wie sie mit einer höchst beeindruckenden Frus-trationstoleranz im Unterhaus für die Akzeptanz eines weichen Brexits kämpft. Für den Außenstehenden hat es den Anschein, dass diese Frauen trotz massiven männlichen Gegenwindes, permanenter Reisestrapazen oder sonstigen, kräftezehrenden Aktivitäten ihres Politikerdaseins keine Probleme mit der Arbeitsbelastung und Stressbewältigung haben. Wie schaffen es diese Frauen nur, ohne pulsierende Testosteron-Schübe in der Politik standfest zu bleiben und dann auch noch als Sieger hervorzugehen? Frauen, die in der Politik Schlachten gegen Männer gewinnen, haben mit Sicherheit einen evolutionären Auswahlprozess auf verschiedenen Ebenen erfolgreich bestanden. Abgesehen von Charisma und analytischer Intelligenz setzen sie ihre „soft skills“ erfolgreich in der Politik ein. Die Psychologie versteht darunter „weiche Faktoren“, wie fachübergreifende Kompetenzen und ein besonderes diplomatisches Geschick im Umgang mit den männlichen Mitstreitern.

Abschließend noch ein Wort zum Testosteron. Nach einer kürzlich durchgeführten Studie soll es nur ein Indikator für die Mannesgesundheit sein. Im Unterschied zum Tierreich spielt es für sich allein im Geschlechtsleben und Verhalten gegenüber Artgenossen keine dominierende Rolle (Haring, Europäische Fachhochschule Rostock). Peter Schönfeld

Prof. Dr. Peter Schönfeld: Chemiestudium und Promotion an der TU Dresden (1966 – 1973). Von 1973-1976 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralinstitut für Organische Chemie der Akademie der Wissenschaften der DDR. Habilitation 1991 und seit 1995 Hochschuldozent für Biochemie an der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.

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