Geschichte und Entwicklung des Magdeburger Bankwesens

Begibt man sich auf die Suche nach der wechselvollen Bankgeschichte in der Stadt Magdeburg, finden sich in den Depots des Magdeburger Stadtarchives auch Berichte, in denen sich Redakteure schon zur damaligen Zeit auf eine Zeitreise begaben. Der folgende Bericht zur Bankgeschichte wurde am 16. Mai 1925 in der Magdeburgischen Zeitung in einer Sonderbeilage abgedruckt.

Zweck und Aufgabe einer Darstellung des Magdeburger Bankwesens kann nicht eine lückenlose Wiedergabe der Geschichte sämtlicher Magdeburger Banken sein, es muss vielmehr an Hand der Entwicklungsgeschichte einzelner großer Privatbankgeschäfte  und späterhin der Aktienbanken mit der Entwicklung in die enge Verbindung des gesamten Bankwesens mit der Entwicklung Magdeburgs als eins der größten Industriezentren gezeigt werden. Magdeburg ist hierzu umso mehr geeignet, da es als Sitz des deutschen Zuckerhandels und der Rübenzuckerproduktion sowie als einer der Hauptorte der deutschen Maschinenindustrie anzusprechen ist. Beide Industrien haben sich aus kleinen Anfängen seit 1835 unaufhaltsam vergrößert und unserer Heimatstadt zu ihrer heutigen wirtschaftlichen Bedeutung verholfen.

Im Gegensatz zu anderen größeren Städten Mitteldeutschlands wie Halle, Leipzig, usw. zeigten sich in Magdeburg die Anfänge des Bankwesens erst spät, um 1750 herum. Im Jahre 1768 wurde hier ein „Kontor“ der drei Jahre vorher von Friedrich dem Großen ins Leben gerufenen Königlichen Bank errichtet. Die Beweggründe des Königs waren nach dem von ihm eigenhändig unterzeichneten Gründungsdekret, „die vorteilhafte Lage der Stadt im Handelsverkehr auszunutzen, den öffentlichen Credit zu vergrößern und den Umlauf des Geldes zu vermehren“. Die Geschäftsräume befanden sich im Hause der heutigen Stadtbank, der früheren Reichsbankhauptstelle in der Münzstraße. Wechseldiskontierung, Lombardierung. Depositengeschäfte waren die Hauptzweige des „Kontors“, das in enger Verbindung mit der Hauptbank in Berlin stand. Der Geschäftsverkehr war nicht unerheblich, da Privatbankiers noch kaum vorhanden waren.

Um 1800 erreicht das Magdeburger Wirtschaftsleben hohe Blüte, besonders da sich seit 1790 der Rheinhandel infolge der französischen Eroberungskriege zur Elbehauptstadt hinzog. Die ersten Anfänge des heutigen Bankwesens lassen sich erkennen. Die Grundlage für die moderne Entwicklung bildeten die zahlreichen Privatbankgeschäfte, die aus den Speditions- und Kommissionshandlungen hervorgingen. Handel und Bankwesen zeigen sich hier in ihren Anfängen in engster Verbindung, ja meistens in einer Person vereinigt. Die Speditions- und Kommissionsgeschäfte konnten am besten die Geldwechsel betreiben und das viele fremde und großenteils minderwertige Geld verwerten, das infolge der Kleinstaaterei im Süden und Südwesten Magdeburgs hier zusammenlief. Berghauer nannte in seiner „Beschreibung von Magdeburg und der umliegenden Gegend“ (1800) sechs Kaufleute, deren Haupterwerbszweig Geld- und Wechselgeschäfte waren. Von den Bankhäusern, die um 1800 in Erscheinung traten und deren Namen heute noch bekannt sind, sind zu erwähnen Morgenstern & Co. (gegr. 1. Mai 1797) als Speditions-, Kommissions- und Wechselhandlung und E. Bennewitz (gegr. 1806 als Goldnotenhandlung).

Die Napoleonischen Kriege und die Kontinentalsperre brachten schwere Erschütterungen für Magdeburgs Handel und Wirtschaftsleben. Die Bestände des Königlichen Bankkontors fielen in die Hände der Franzosen, die sie als selbstständige „Bank zu Magdeburg“ 1808 wieder einrichteten. Zu großer Wirksamkeit ist die Königliche Westfälische Bank von Napoleons Gnaden jedoch nicht gekommen. Erst Ende der 20er Jahre konnte nach Wiederherstellung der Verbindung mit der Königlichen Bank in Berlin der geregelte Geschäftsbetrieb wieder aufgenommen werden.

Noch immer tragen die beherrschenden Firmen im Bank- und Wechselverkehr die Speditionshandlungen. 1818 wurde das Geschäfte von Zuckschwerdt u. Beuchel als Speditions-, Kommissions- und Warenhandlung begründet und wurde unter der rührigen Leitung des alten Zuckschwerdt bald das beherrschende Geschäft am Platze. Als reine Speditions- und Warenhandlung entstand am 1. Juli 1820 die Firma H. L. Banck, die sich schon nach einigen Jahren in der Hauptsache dem Bankgeschäft zuwandte.

Die Jahrzehnte von 1830 bis 1850 wurden nun von entscheidender Bedeutung für das wirtschaftliche Leben unserer Heimat. Ende der 30er Jahre nahmen in der Börde die ersten Rübenzuckerfabriken ihren Betrieb auf. Französische Vorbilder und deutsche Tatkraft entwickelten die Rübenzuckerindustrie in wenigen Jahrzehnten zu ihrer heutigen Weltbedeutung und schlugen Englands Kolonialhandel schwere Wunden. Hinzu kam der schnelle Bau der Eisenbahnen in Mitteldeutschland. Mit der Blütezeit der Zuckerindustrie ist eng verbunden die Entwicklung der Magdeburger Maschinenindustrie. Die günstigen Vorbedingungen für einen raschen Aufschwung des Bankwesens waren somit gegeben. Als die politischen Unruhen und die durch Missernten der 40er Jahre hervorgerufene Wirtschaftskrise 1847/48 beendet war, durchwehte ein frischer Hauch das Wirtschaftsleben unserer Heimatstadt. Die ersten Projekte von Aktienbanken, zum Teil in eigenartiger Ausgestaltung wurden erörtert, gingen aber sämtlich nach kurzer Zeit des Bestehens wieder ein. Nach langen Kämpfen der Magdeburger Kaufleutekooperation mit dem preußischen Handelsministerium wurde im Jahre 1856 die Errichtung der  „Magdeburger Privatbank“, eine der ersten sieben deutschen Zettelbanken, vom Könige genehmigt. Das Grundkapital betrug eine Millionen Thaler. Hauptgeschäftszweige waren die Notenausgabe und Wechselgeschäfte. Ihre Entwicklung ist unzertrennbar verbunden mit dem Namen des Kommerzienrates Carl Dencke, eine der größten Magdeburger Persönlichkeiten im damaligen Wirtschaftsleben Mitteldeutschlands. Auch die letzten großen Privatbankhäuser, die bisher noch Waren- und Speditionshandel betrieben hatten, gaben diese Zweige auf, und widmeten sich dem reinen Bankgeschäft. Die Entwicklung aus dem Kommissions- und Speditions- über den Geld- und Wechselhandel zum Bankgeschäft war nahezu vollendet. Die Beziehung zwischen Zucker- und Maschinenindustrie einerseits und Bankwesen andererseits wurden enger und fester geknüpft. Namen wie Neubauer & Porré, heute F. A. Neubauer, Dingel & Bandelow, heute Dingel & Co., geben ein besonderes Zeugnis dafür.

Im Jahre 1867 trat der Magdeburger Bankverein, Klinksieck, Schwanert & Co. in den Kreis des Magdeburger Bankwesens ein. Seine Gründung erfolgte als Kommanditgesellschaft unter Vorsitz des Kommerzienrates Knoblauch, und entsprach den umwälzenden Theorien im Bankwesen der 50er Jahre, dass nicht das bisher gehegte und geschützte Notenbankwesen die Triebfeder der deutschen Wirtschaft sei, sondern Banken, die es verstanden, durch engen Anschluss an Handel und Industrie im Wege der Kreditgewährung den wirtschaftlichen Fortschritt zu fördern. – Die Entwicklung des Königlichen Bankkontors, das nach der Umwandlung der Berliner Hauptbank 1846 zur Preußischen Bankstelle  geworden war, ging in ruhigen Bahnen weiter, sie wurde jedoch bald von der Privatbank und dem Bankverein überflügelt.

Die Zeit der Gründungsjahre nach dem großen Kriege 1870 führte im Allgemeinen, so auch in Magdeburg, zu einer Krise, die unserer heutigen Inflations- und Wirtschaftskrise sehr, sehr ähnlich sieht. Über 32 Aktiengesellschaften entstanden in kurzem Zeitraum in Magdeburg und Umgebung, größtenteils unterstützt von Berliner, Frankfurter und Breslauer Banken. Nur wenige Magdeburger Bankgeschäfte waren es, die den Verlockungen der Zeit nicht Widerstand leisteten. Und die Magdeburger Wechsel- und Diskontobank, 1872 als reines Schwindel-(Inflations-)Unternehmen gegründet, verstand es, drei sonst solide Privatbankhäuser durch Übernahme von erheblichen Aktienpolicen bei ihrem Zusammenbruch 1874 in Mitleidenschaft zu ziehen. Die beiden beherrschenden Geschäfte Magdeburgs, der Bankverein und die Privatbank gingen unberührt aus der Wirtschaftskrise heraus.

Die Zeit von 1875 bis 1900 ist gekennzeichnet durch den ruhigen Ausbau des Geschäftes. Deutschland wurde zum ausgesprochenen Indus-triestaat. Das Bankwesen nahm andere Züge an. Waren bisher noch die kleinen Privatbankgeschäfte, die sich aus Wechsel- und Speditionshandlungen entwickelt hatten, von großer Bedeutung, so traten sie jetzt hinter der großen Zahl von Aktienbanken zurück. Die kleineren gingen ein, die anderen vereinigten sich mit den Aktienbanken, und nur ganz wenige haben es verstanden, sich durch ihre enge Verbindung mit der heimischen Industrie weiterzuentwickeln zu Banken, deren Namen noch heute zu den großen im Magdeburger Wirtschaftsleben zählen. Ein abschließendes Urteil hierüber zu fällen, wäre verfrüht, da unsere wirtschaftliche Entwicklung auch nach dem Kriege wiederum sehr vielen das Weiterbestehen als Einzelprivatgeschäft erschwert hat.

Wenn wir rückschauend einen Blick auf das Magdeburger Bankgewerbe werfen, so sehen wir, dass es von der Jahrhundertwende bis gegen die Nachkriegszeit im großen und ganzen von schweren Erschütterungen verschont geblieben ist. Am glanzvollen Aufstieg des deutschen Wirtschaftslebens vor dem Kriege hatte auch Magdeburg einen erheblichen Anteil. Daher waren auch seine Geldinstitute in fortschreitender Erstarkung begriffen.

Auffallend war, dass die Kapitalkonzentration, die das Wachsen der Industrie begleitete, damals im Magdeburger Bankgewerbe nur wenig äußere Veränderung zur Folge hatte. Die an sich große Zahl von alteingesessenen Privatbankiers (25 bis 30 Firmen) wurde hier nicht, wie in anderen Großstädten, durch Aussaugung durch die Großbanken gelichtet, sondern konnte sich gut behaupten. Dies war wohl ein Zeichen von finanzieller Kraft und Tüchtigkeit, aber auch von vernünftiger Selbstbescheidung, denn die Privatinstitute beschränkten sich offensichtlich auf die ihrer Kapitalstärke angemessenen Geschäfte. Die  Magdeburger Privatbank hatte, nachdem sie Anfang der 90er Jahre das Notenprivileg aufgegeben hatte, Spielraum für freie Entfaltung bekommen. Sie war jetzt nicht mehr an die längst überholten gesetzlichen Beschränkungen ihrer Geschäftstätigkeit gebunden und ging daher bald um die Jahrhundertwende daran, in den größeren und kleineren Ort der Provinz Sachsen Zweigstellen zu errichten, häufig unter Uebernahme bestehender Firmen. So finden wir z. B., dass die Privatbank allein im Jahr 1907 folgende Bankinstitute in sich aufgenommen hat: Sangerhäuser Bankverein, Eisleber Bankverein, Torgauer Bank, Wernigeröder Bank. Bald beschränkte sich die Privatbank nicht mehr auf die Provinz Sachsen, sondern ging weit über die Grenzen hinaus, so, als sie sich die Wechselbank in Hamburg, den Dresdner Bankverein u.a. angliederte.

Diese Expansionslust war damals in Deutschland etwas Ungewöhnliches. Daher wurde sie in der Handelspresse zuerst lebhaft kritisiert. Der Ausdehnungsdrang mag sicher dadurch Bedenkliches an sich gehabt haben, dass die Entwicklung vielfach zu schnell vor sich ging. Hatte doch 1918 die Privatbank mit einem Aktienkapital von 60 Millionen Mark und ihrem Filialnetz von rund 100 Stellen die Mehrzahl der Provinzbanken weit überflügelt. Man kann wohl aber jetzt sagen, dass die Politik der Privatbank, begünstigt durch die gute Wirtschaftslage, die richtige gewesen ist.

Die unheilvollen Auswirkungen des Krieges und des Friedensvertrages hatte die Bank rechtzeitig erkannt. Sie hat sich daher mit der angesehenen Commerz- und Diskontobank zusammengeschlossen und heißt jetzt Commerz- und Privatbank  A. G.. Das umfangreiche Magdeburger Geschäft ist durch die Verlegung der Hauptleistung nach Berlin nicht wesentlich berührt worden. Allerdings hat die Privatbank ihr früheres System des ausgedehnten Filialnetzes nicht mehr voll aufrechterhalten, eine Anzahl kleinerer Stellen ging ein.

Die andere Aktienbank Magdeburgs, der Magdeburger Bankverein, kann auf eine ruhige und stetigere Entwicklung zurückblicken. Lange Jahre stand das Institut im Magdeburger Bankgewerbe wegen seiner Solidität mit an erster Stelle. Die Entwicklung der Zucker- und Maschinenindustrie Magdeburgs und seiner näheren Umgebung ist gerade durch den Bankverein in umfangreichem Maße gefördert worden, da er von Anfang an in rein kaufmännischem Geiste geleitet und Beschränkungen wie bei der Privatbank nicht unterworfen war. Die Kapitalkonzentration führte auch beim Bankverein zu einer Ausdehnung seiner Verbindungen durch Errichtung von Filialen und Depositenkassen, doch blieb diese Expansionstätigkeit in gewollten engeren Grenzen und hat sich kaum über die Heimatprovinz hinaus erstreckt. Zweigstellen wurden nur an größeren Orten eröffnet. Der Grundzug kaufmännischer Vorsicht, der von der Gründung des Instituts 1867 an zu verfolgen ist, macht sich auch hier wieder geltend. Daher kann der Bankverein weniger auf einen glänzenden äußeren Aufstieg mit starker Kapitalsteigerung und großem Filialkreis zurückblicken. Er blieb der Typ des soliden Provinzinstitutes, das auf das Engste mit dem bodenständigen Wirtschaftsleben verknüpft ist.

Schon früh hatte die  Diskonto-Gesellschaft, Berlin, Interesse am Bankverein genommen. Im Jahre 1917, nach 50-jähriger Tätigkeit, ging das Institut auf diese altangesehene Großbank über und reiht sich damit in die Traditionen eines der ersten deutschen Geldkonzerne von außerordentlich weitreichender Wirksamkeit ein.

Die Inflation und ihre katastrophalen Wirkungen hatten in der Struktur unseres einheimischen Bankgewerbes naturgemäß einige Veränderungen hervorgerufen. Von neu entstandenen Firmen sind bereits einige wieder verschwunden. Die Lage der Privatbankiers ist gegen früher eine schwierigere geworden. Nur da, wo das Eigenvermögen der Inhaber erhalten geblieben ist, sind die Auswirkungen für die Zukunft günstiger. Augenscheinlich sind die altbewährten Institute glimpflich durch die Wirrnisse der Inflation hindurchgekommen, namentlich solche Firmen, die sich von ungesunden Gründungswesen ferngehalten haben. Wie das gesamte deutsche Bankgewerbe werden aber auch sie zunächst ihre Betriebe klein halten und erst Schritt für Schritt der wachsenden Wirtschaft anpassen müssen.

Eine scharfe Konkurrenz ist den Privatbankiers durch die Eröffnung von Großbankfilialen in Magdeburg entstanden. Diese haben dem heimischen Bankgewerbe gegen früher ein ganz anderes Gesicht gegeben. War die  Diskonto-Gesellschaft 1917 die erste, die durch Übernahme des angesehenen  Magdeburger Bankvereins  festen Fuß fasste, so sind bald die Darmstädter und Nationalbank, die Deutsche Bank, die Mitteldeutsche Kreditbank und die Allgemeine Deutsche Kreditanstalt gefolgt. Auch Spezialbanken (z.B. für den Kreditbedarf der Landwirtschaft und Getreidehandels) sind jetzt vorhanden. – Die kommunale Geldwirtschaft wird von der Girozentrale gepflegt. Auch die Sparkasse gliederte sich eine Stadtbank an.

Angesichts dieser Vielzahl und Vielgestaltigkeit des Magdeburger Bankgewerbes der Jetztzeit hat man wohl den Eindruck, als ob dieses Gewerbe seinen Ruhepunkt noch nicht wieder erreicht hat. Es werden daher Veränderungen aller Art auch für die Zukunft nicht ausgeschlossen sein. Zur tatkräftigen Unterstützung unseres Wirtschaftslebens ist aber zu wünschen, dass das Bankgewerbe tüchtig und leis-tungsfähig bleibt. Möge es sich für die schwierigen Aufgaben, die ihm bevorstehen, stärken durch den Rückblick auf eine glanzvolle Vergangenheit! Dr. W. M.; Magdeburgische Zeitung 1925

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