Flachland statt Toskana

Der Diesel soll aus den Städten verbannt werden. Anderswo weiß man gerade nicht, ob man noch willkommen ist. In den großen Städten und zu den großen Events weiß man mittlerweile nicht mehr, ob, was man gerade bewundert, noch zum Feuerwerk gehört oder bereits der nächste Terrorangriff ist. Ja, spricht das nicht alles für einen  entspannten Ausflug in nahezu unbekannte Gefilde, nämlich die vor der eigenen Haustür? Flache, fahrradgeeignete Landschaften entfalten sich da. Kleine Entdeckungen sind ohne Zahl zu machen. Hier eine Rast auf einem Ziegenhof, dort kann man in einem bezaubernden Café Kraft tanken, Kultur findet man am Wegesrand. Und, wie schon mal gesagt, unsere Jäger geben uns mit ihrer außerordentlich großen Zahl von Anständen in der Landschaft das anheimelnde Gefühl zurück, dass wir, sollten wir wieder Bedarf an Konzentrationslagern haben, diese schnell einzurichten wären. Picknicken im Schatten der Wachtürme heißt dann das Programm. Ja, es gibt viel zu entdecken in unseren ausgereiften Landschaften. Apropos Toskana: Luther fällt mir da ein. In diesem Jahr ist Lutherjahr. Margot Käßmann, gefallene Bischöfin und Lutherbotschafterin, hat in Wittenberg für ein Highlight gesorgt, indem sie den Drewermannfreund und wie dieser, den ehemaligen Katholiken Konstantin Wecker zum Kirchentag nach Wittenberg einlud. „Poesie und Widerstand“ heißt die neue, zu seinem 70. Geburtstag erscheinende CD, in Anlehnung an Dorothee Sölles Buch „Mystik und Widerstand“.  Mal abgesehen davon, dass man die restaurierte Schlosskirche und all die Lutherheiligtümer in den Lutherstädten Eisleben und Wittenberg besichtigen kann, lässt sich an solchen Tagen auch staunend zur Kenntnis nehmen, dass die Kirche lebendiger ist als im Alltag scheint. In Magdeburg haben wir ja noch die Johanniskirche als den Ort, in dem Luther predigte, dass die Magdeburger nicht anders konnten, als „Unseres Herrgotts Kanzlei“ auf evangelisch zu werden. Es ist ihnen, also uns als Stadt, in der Folge nicht gut bekommen. Magdeburg selber mal als die „Stadt des Neuen Bauens“ wahrzunehmen, die in den zwanziger Jahren mit Frankfurt am Main um diesen Titel konkurrierte, könnte auch ein interessantes Reiseziel sein: Die Stadthalle, für die die Stadt sich dringend und schnell eine grundlegende Restaurierung befehlen sollte, gehört dazu, der Albinmüller-Turm neben der von Göderitz erbauten Stadthalle, aber auch eine Reihe Wohngebiete. In der Börde ist Ummendorf mit seinem in der Burg beheimateten Museum ein interessanter Ausflugsort. Wer den besten Bötel im Magdeburger Land essen will, dem seien Hansens Gaststätten am Bahnhof Ochtmersleben empfohlen. Manch Älterer wird die Gaststätten noch von Brigadefeiern aus DDR-Zeiten kennen. Ein wahrer Schatz wartet in Hundisburg mit barocker Schlossanlage, dem Lebenswerk von Heinrich Apel im Schloss, dem englischen Landschaftspark in Richtung Althaldensleben auf Besucher. Hier gehen Sie auch auf den Spuren zweier kreativer Seelen, die sich hier gern trafen: Dem Vater des Deutschlandliedes, Heinrich Hoffmann von Fallersleben, von dem auch „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ oder, hier, in Althaldensleben gedichtet, „Alle Vögel sind schon da“ stammt, sowie Marie Nathusius, die schreibende Frau des Industriellen Philipp von Nathusius, von der die Melodie zum Volkslied stammt. Ja, und Ostelbien ist natürlich auch eine Entdeckung wert. Die Kirchen mit den meisterlichen spätgotischen Flügelaltären, die als solche nur überlebt haben, weil die Gemeinden, die diese Kirchen nutzten, während der Barockzeit zu den ganz armen Kirchgemeinden gehörten, die sich eine Modernisierung ihrer Kirchen einfach nicht leisten konnten. Woran man sieht, dass Armut auch konservierende Wirkung haben kann, zumindest für Kunstwerke. Ein Verein gründete sich, der die „Straße spätgotischer Flügelaltäre“ in Obhut nahm und nach und nach die Kirchen, in denen diese Kleinode mittelalterlicher Schnitzkunst zu bewundern sind, restauriert. Natürlich lohnt sich da ein Besuch im Loburger „Barbycafé“ mit seiner anheimelnden Atmosphäre, den stets frisch gebackenen Torten, dem im Hause hergestellten Eis. Im Hof gibt es einen Kinderspielplatz. Die Loburger Burg ist zu besichtigen – und nicht vergessen: Der Storchenhof ist immer einen Besuch wert! Burg bereitet sich gerade auf die Landesgartenschau 2018 vor. Das ist ein Tipp bereits für das kommende Jahr. Und das wird sich lohnen, dann einen Ausflug in die bislang unbekannteste Stadt Sachsen-Anhalts zu unternehmen. Vergessen Sie dabei nicht, den „Rotfuchs“ am Magdalenenplatz zu besuchen, Gemischtwarenhandlung und Restaurant mit Angeboten aus der Region. Kurz und gut: War die Toskana bisher Ihr Sehnsuchtsland, haben Sie in diesem Jahr dank der allgemeinen Weltlage die einmalige Chance zur Korrektur. Künftig liegt Ihr Sehnsuchtsland direkt vor der Haustür. Ist das mal ein Gewinn? Ludwig Schumann

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