„Du hast mir gar nichts zu sagen!“

Rechte von Eltern, Stiefeltern und Kindern in Patchwork-Familien

Gertrud Oertwig, Fachanwältin für Familienrecht

Wenn Partner Kinder mit in die neue Familie bringen, spricht man von Patchwork. Jede 10. ist eine Patchwork-Familie, bei Partnerschaften ohne Trauschein spricht man sogar von 50 Prozent. Doch das Zusammenleben bringt gesetzliche Besonderheiten mit sich. Vor allem im Verhältnis zwischen neuem Partner und Kind des jeweils anderen. Zur Gesetzeslage in Patchwork-Familien sprach Birgit Ahlert mit Gertrud Oertwig, Fachanwältin für Familienrecht.

Magdeburg Kompakt: Haben die neuen Partner dieselben Rechte wie leibliche Eltern?
Gertrud Oertwig: Nein. Dem Stiefelternteil steht grundsätzlich kein Sorgerecht zu. Nur wenn der leibliche Elternteil für das Kind die Alleinsorge hat, räumt das Bügerliche Gesetzbuch (BGB) dem Stiefelternteil ein sogenanntes „kleines Sorgerecht“ zu. Wenn beide leiblichen Eltern des jeweiligen Kindes die elterliche Sorge, so wie es heute die Regel ist, gemeinsam ausüben, kann es auch kein „kleines Sorgerecht“ geben.

Was beinhaltet das „kleine Sorgerecht“?
Der Stiefelternteil hat im Einvernehmen mit dem sorgeberechtigten Elternteil die Befugnis zur Mitentscheidung in Angelegenheiten des täglichen Lebens. In Notsituationen ist es dem Stiefelternteil gestattet, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes notwendig sind. Der sorgeberechtigte Elternteil muss allerdings unverzüglich darüber informiert werden.

Welche Regelungen gelten bei gemeinsamer elterlicher Sorge der leiblichen Eltern?
So lange eine gemeinschaftliche elterliche Sorge besteht, kann nicht ohne Zustimmung der leiblichen Eltern gehandelt werden. Die mündliche Zustimmung des leiblichen Elternteils, bei dem das Kind lebt, reicht hinsichtlich der Entscheidungen des täglichen Lebens dann nicht aus. In diesem Fall kann eine Stiefelternvollmacht Abhilfe schaffen. Damit kann der Stiefelternteil im Rahmen der seinem Partner zustehenden Ermächtigungen Entscheidungen, die das tägliche Leben betreffen, fällen. Das sind Entscheidungen, die jeder Elternteil allein treffen kann. Die Vollmacht muss im Original vorgelegt werden können, wenn sie verlangt wird.

Welche Entscheidungen sind damit möglich?
Es handelt sich um Entscheidungen, die das tägliche Leben betreffen und keine Auswirkungen auf die künftige Entwicklung des Kindes haben, die von dem Elternteil, bei dem sich das Kind gerade aufhält, allein getroffen werden können. Ich empfehle den Partnern in der Patchworkfamilie sich gegenseitig zu bevollmächtigen, um somit alle dringlichen Belange des Kindes bei Bedarf regeln zu können. Zu diesen Entscheidungen zählen zum Beispiel: Schulalltag, Teilnahme am Elterngespräch, Essensfragen, Bestimmung der Schlafenszeit, Fernsehkonsum, Umgang mit Freunden der Kinder, gewöhnliche medizinische Versorgung (Kinderkrankheiten, Behandlungen bei leichteren Verletzungen, Zahnbehandlungen) und Taschengeld. Von erheblicher Bedeutung sind alle Angelegenheiten, die für das weitere Leben des Kindes Auswirkungen haben oder haben können. Dazu zählen zum Beispiel: Anmeldung in einer Kindertagesstätte oder Schule, Ausbildung, religiöse Erziehung, Aufenthaltsbestimmungsrecht, Umgangsrecht, medizinische Eingriffe mit der Gefahr von erheblichen Komplikationen, Operationen oder sonstige schwerere Erkrankungen. Derartige Entscheidungen können die leiblichen sorgeberechtigten Eltern nur gemeinsam treffen, keinesfalls jedoch der Stiefelternteil. Doch der Volksmund sagt: „Wo kein Kläger, da kein Richter“. Wenn die leibliche Mutter im Kindergarten zu verstehen gibt, wie toll sie das findet, was ihr neuer Ehemann oder Lebenspartner so alles für ihre Tochter tut, dann reicht das oftmals schon aus. Dann kann das Kind auch ohne Vorlage einer Vollmacht auf Grund der mündlichen Erklärung der Kindesmutter von diesem aus der Kita abgeholt werden kann, denn die Fragen des täglichen Lebens kann man innerhalb der Familie regeln. Der neue Partner kann sogar mit dem Kind allein verreisen, vorausgesetzt, das Kind lebt auch sonst mit ihm zusammen.

Genügt bei Auslandsreisen der Reisepass?
Nein. Dann muss auf jeden Fall neben dem Reisepass des Kindes die Vollmacht vorgelegt werden, die belegt, dass derjenige Erwachsene mit dem Kind auch tatsächlich verreisen darf. Sonst müsste man eventuell damit rechnen, dass die Einreisebehörde von einer Kindesentführung ausgeht. Daher wird eine notarielle Vollmacht dringend empfohlen. Diese muss im Original vorgelegt werden.

Ist der Stiefelternteil dem Kind des anderen Partners gegenüber unterhaltsverpflichtet?
Stiefmutter oder -vater sind nie unterhaltsverpflichtet. Es gibt keinerlei finanzielle Verpflichtungen dem Kind gegenüber. Lediglich im Rahmen des Familienunterhaltes findet eine Teilhabe an der Versorgung durch das Stiefkind statt.

Die Unterhaltspflicht des nicht in dieser Familie lebenden leiblichen Elternteils bleibt also bestehen?
Selbstverständlich. Es sei denn, das Kind wird adoptiert. Dann wird aus dem Stief- ein Elternteil mit allen Rechten und Pflichten biologischer Eltern.

Welche weiteren Regelungen sollte man kennen?
Auch Stiefeltern können für nicht leibliche Kinder das Kindergeld beziehen, wenn der leibliche Elternteil zustimmt und es innerhalb der neuen Familie so geregelt ist. Entscheidend ist, dass das Kind im Haushalt des entsprechenden leiblichen Elternteils lebt, der auch das Kindergeld vorher bezogen hat. Ein Stiefelternteil kann sogar Elternzeit nehmen und Elterngeld beziehen, jedoch nur mit Zustimmung des leiblichen Elternteils.

Ist eine Namensänderung auch ohne Adoption möglich? Wenn in der Familie alle den gleichen Namen haben, nur das Stiefkind den des anderen Elternteils trägt?
Wenn das Kind dadurch besonders belastet ist, sich nicht dazugehörig fühlt und es darunter leidet, kann man eine Namensänderung, eine sogenannte Einbenennung beantragen. Dazu müssen beide leiblichen Eltern zustimmen. Wird die Zustimmung verweigert, kann eine entsprechende Entscheidung durch das Familiengericht herbeigeführt werden. Es handelt sich immer um eine Einzelfallentscheidung. Das Gericht prüft, wie schlimm die Situation für das Kind ist und lässt sich bei der Entscheidung ausschließlich vom Kindeswohl leiten. Wenn das Einverständnis beider leiblichen Eltern und des Stiefelternteils zur Namensänderung vorliegt, kann diese auch ohne Hinzuziehung des Gerichts beim Standesamt beantragt werden.

Hat ein Stiefkind Anrecht auf Erbe?
Nein. Gesetzlich kann das Stiefkind, ohne adoptiert zu sein, seine Stiefeltern nicht beerben, aber testamentarisch. Es hat somit auch keinen Pflichtteilsanspruch. In dem Fall würde für die Erbschaftssteuer der Steuersatz herangezogen werden wie bei leiblichen Kindern nach der Steuerklasse I. Auch Stiefkinder erhalten einen Steuerfreibetrag von derzeit 400.000 Euro.

Haben Stiefeltern im Trennungsfall Umgangsrecht zum Stiefkind?
Hier gilt § 1685 BGB analog. Maßgeblich ist, dass der Umgang dem Wohl des Kindes dient. Das Kind muss längere Zeit mit dem Stiefelternteil in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben. Der Wille eines Kindes ist aufgrund der individuellen Reife beachtlich.

Der berühmte Satz „Du hast mir gar nichts zu sagen!” dürfte gerade Stiefeltern bekannt sein. Ist er richtig?
Nein. Es kommt vielmehr darauf an, innerhalb der Familie die Erziehungsfragen von vornherein zu klären und auch das Kind altersentsprechend mit einzubeziehen. Ob Erziehungsentscheidungen vom neuen Partner getroffen werden dürfen, entscheidet allein der leibliche Elternteil. Je besser man sich in der Familie über die Erziehung der Kinder abstimmt, je einfacher wird die Erziehung der Kinder sein. Wichtig ist, dass der leibliche Elternteil trotz Trennung oder Scheidung Elternteil des Kindes bleibt und als solcher auch respektiert und geachtet wird. Trotz der neuen Partnerschaft hat das Kind Anrecht auf beide leiblichen Elternteile. Mutter oder Vater sollten also dafür Sorge tragen, dass das Kind zum getrennt lebenden Elternteil eine gute Beziehung aufrechterhalten kann. Es wird den Verlust dann nicht so sehr als solchen empfinden und den neuen Partner leichter akzeptieren.

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