Digitaler Wandel und analoge Bildung

Da kommt etwas auf uns zu, was zwar als Wort schon viel gehört, von seiner Bedeutung her aber völlig unterschätzt wird: Die Digitalisierung. Wenn Volksvertreter aller Couleur ständig darüber erzählen – besser sollte man schwadronieren sagen, da vielen die Sachkenntnis fehlt –, dass die Digitalisierung unser Leben in der Zukunft stark verändern wird, so haben sie recht, nur fürchte ich, sie sind sich weder des Umfanges noch der Konsequenzen bewusst.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat einen „Zukunftsmonitor“ veröffentlicht, der die künftigen Jahre etwas transparenter macht. Hinter der Digitalisierung verbergen sich der Einsatz von Künstlicher Intelligenz in allen Bereichen der Gesellschaft, eine Revolution im Verkehrswesen, im Gesundheitswesen, in jeder Form der Kommunikation, in der Verwaltung und nicht zuletzt in der Robotertechnik, die die Industrie 4.0 erzeugen wird. Achim Berg, der Präsident des Digitalverbandes Bitkom schätzt, dass in absehbarer Zukunft, so etwa in den nächsten 20 Jahren, nahezu die Hälfte aller Aufgaben bisheriger Berufe von Computern und Robotern erledigt wird, d. h. also im Klartext, dass ca. 50 Prozent der konventionellen Beschäftigungen verschwinden könnten. Machen Sie sich das bitte bewusst: Jeder 2. Arbeitsplatz wird überflüssig. Es gibt noch schlimmere Schätzungen. Natürlich werden auch neue Arbeitsplätze entstehen, aber nur für ausreichend Ausgebildete.

Auch wenn sich Deutschland der digitalen Revolution komplett verweigern würde, wird das passieren, angetrieben durch die führenden Industrienationen in der globalisierten Welt, insbesondere durch China und die USA. China z. B. weiß schon, warum es sich die KUKA AG in Augsburg, die modernste Roboterfirma Deutschlands gekauft hat.  Wir sind bei dieser Revolution entweder dabei oder – mit allen Konsequenzen für den Wohlstand – außen vor.  Ein Zurück zur Natur bei trautem Kerzenschein (nachts scheint keine Sonne und es ist windstill), trotz  des vereinten Absingens revolutionärer Kampflieder, wird dann die Folge sein. Wie reagieren verantwortliche Politiker darauf? Denn sie, nicht die Ingenieure, müssen Antworten geben: Sie reden über Breitbandausbau auf dem Land und die Verteilung von Tablets für Schüler zur Verbesserung der Bildung.

Grundsätzlich sollte auch der entlegenste Winkel unseres Landes in die moderne Kommunikationstechnologie einbezogen sein, so wie er selbstverständlich auch mit Strom und Wasser versorgt ist,  das Tablet aber wird es nicht richten. Bildung findet noch immer analog statt. Wie kann man nur glauben, dass der Verführung, die von der Verfügbarkeit beliebigster Informationen für die Schülerinnen und Schüler ausgeht, allein durch stählernen Willen standgehalten werden kann. Die Vermittlung der Kernkompetenzen einer Grundschulausbildung, Lesen, Schreiben und Rechnen, ist bereits heute nicht mehr gewährleistet. Glauben Sie, dass Jugendliche auf der Straße, die an ihrem Handy hängen, sich mit Einsteins Relativitätstheorie oder irgendeinem anderen Bildungsziel beschäftigen? Ich sehe in der Straßenbahn immer mal zufällig auf ein fremdes Display: Sinnfreie Spiele oder noch sinnlosere Kommunikation. Wir sollten deshalb eines nicht vergessen: Wenn die so genannte Künstliche Intelligenz künftig noch intensiver in unser Leben einziehen wird, so müssen wir ihr mit menschlicher Intelligenz begegnen. Noch gestaltet der gebildete Mensch die Zukunft. Die Technik soll uns helfen, nicht uns dominieren oder sogar domestizieren. Investieren wir also in Bildung, aber durch sinnvolle, dem „analogen“ Menschen entsprechende pädagogische Mittel und Methoden, durch Einfühlsamkeit und Hilfe, aber auch durch Herausforderung, Konsequenz und Unduldsamkeit gegenüber trägem und lernunwilligem Verhalten, das manche Heranwachsende leider oft genug zeigen. Prof. Dr.-Ing. Viktor Otte

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