Die Stadt neu „inszenieren“

Der Aufschrei im stationären Einzelhandel wird lauter. Geschäfte in den Städten leiden unter Umsatzschwund. Dabei sind die Deutschen nach wie vor Spitzenreiter im Einkaufen. 541,6 Milliarden Euro geben Menschen bundesweit in den Geschäften aus, allerdings immer häufiger online. 2016 waren es 50,6 Milliarden Euro. Bis 2021 wird eine Steigerung im Internetgeschäft auf rund 72 Milliarden Euro erwartet. Dieser Trend kostet manchem Laden schon jetzt die Existenz, Mitarbeitern den Arbeitsplatz und in Städten werden entlang von Einkaufsmeilen häufiger leere Ladenlokale sichtbar. Das bequeme Einkaufen im Internet hat ganz reale Auswirkungen auf die Lebendigkeit von Innenstädten, die Vielfalt von Angeboten und den Branchenmix.
Im Modebereich wird der Wandel im Kaufverhalten besoners deutlich. So geben mittlerweile 66 Prozent der Frauen an, sich vorstellen zu können, ihre Konfektionswünsche ausschließlich online zu erfüllen. Männer decken ihren Bekleidungsbedarf dagegen seltener im Internetshop.
Der Magdeburger Einzelhandel muss sich derzeit nicht nur dem Druck des Online-Handels stellen, sondern ächzt zusätzlich unter den beschnittenen Verkehrsanbindungen. Und voraussichtlich ist da bis 2020 kaum eine Änderung zu erwarten, weil der Tunnelbau am Damaschkeplatz eine der wichtigsten Zufahrtswege in die Innenstadt und wieder heraus verschließt und außerdem eine Sperrung im Südabschnitt des Breiten Wegs auch diese Route lahmlegt. Trotz dieser Hindernisse lässt das Baugeschehen in der City hoffen. Mit dem Bau des Domviertels, in dem Einzelhandelsflächen, Gaststätten und über 200 Wohnungen entstehen sollen, bekommt die Innenstadt neue Lebensimpulse. Nach Fertigstellung wohnen dort rund 400 Menschen mehr. Oliver Hornemann, Vorstand der Otto von Guericke Wohnungsbaugenossenschaft setzt darauf, dass die Geschäftsräume seines Unternehmens völlig neue Einzelhandelsangebote einbringen sollen: „Um den Domplatz herum spielt sich der Tourismus ab. Wir wollen hier deshalb Ladenbetreiber gewinnen, die Magdeburger Gästen attraktive Angebote unterbreiten.“ Mit dem heimischen Spirituosen-Produzenten Abtshof wolle man sprechen und das Unternehmen mit einem Werks- und Spezialitätenverkauf in die City locken. Vielleicht ließe sich auch die Röstfein Kaffee GmbH gewinnen, hier Magdeburger Kaffeetradition sichtbar werden zu lassen.
Peter Lackner, Geschäftsführer des städtischen Wohnungsunternehmens Wobau, setzt hier auf ähnliche Impulse: „Erstmals ziehen in der Innenstadt drei Wohnungsunternehmen an einem Strang. Das schafft mehr Energie und Anziehung.“ Im Herbst bezieht das Unternehmen außerdem die Firmenzentrale im ehemaligen Staatsbankgebäude, das außerdem das Dommuseum beherbergt.
Die MWG ist beim Domviertel mit im Boot und plant weitere innerstädtische Projekte wie den Luisenturm an der Erzberger Straße. Hier sollen weitere rund 500 Menschen einziehen. Bauarbeiten am Areal des einstigen Altstadt-Krankenhauses haben bereits begonnen.
Aber auch Politik und Verwaltung gehen das Thema lebendige Innenstadt an. Die Fraktion der Grünen beantragte bereits vor einem Jahr, einen Plan für die Entwicklung der Innenstadt und von Stadtteilzentren zu entwickeln. Das erste Konzept liegt jetzt in einer Drucksache vor und wird am 31. August erstmals im Ausschuss für Wirtschaftsförderung, Tourismus und regionale Entwicklung diskutiert. Ein wesentlicher Punkt des Papiers steht unter der Überschrift „Inszenierte Innenstadt“. Darunter verstehen die Autoren, dass die Aufenthaltsqualität verbessert werden sollte. Bevorzugte Plätze und Fußgängerbereiche könnten neue Sitzmöbel erhalten. Das ist zwar konträr zur Diskussion um den Hasselbachplatz, wo man gerade Bänke entfernen möchte, würde aber das Vorhaben vielleicht unterlaufen. Infrastruktur und kulturelle Angebote sollen innerhalb definierter Areale verbessert bzw. neu geschaffen werden. Denkbar ist, dass Künstler, kreative Projekte und Start-ups günstige Konditionen erhalten, um leerstehende Ladenflächen zu nutzen. Überhaupt sollte in Magdeburg ein Leerstandsmanagement Lücken erfassen und zwischen Vermietern und Interessenten für eine bessere Kommunikation sorgen. Rund eine Millionen Euro Investitionskosten werden dafür prognostiziert.
Zunächst ist die Drucksache noch ein unkonkretes Konzeptpapier. Auf dieser Grundlage können Stadträte nun diskutieren. Der Einzelhandel, Stadtmarketing, Kulturakteure und andere sollen in die Debatte einbezogen werden und Ideen einbringen. Thomas Wischnewski

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