Die böse Landwirtschaft
Landwirte gelten als Naturvernichter, Giftverbreiter und Tierquäler! Das folgt aus dem verbreiteten Bild über die moderne Landschwirschaft. Stimmt das? Ein Plädoyer gegen Mythen und Vorurteile.
Wenn man die schlimmsten Bösewichte benennen will und man sich an der Mainstreampresse orientiert, sind die Favoriten für den Platz 1 die Vorstände der Konzerne aber auch die Polizei und die Landwirte. Die Konzerne sind ja per se böse. Aber nicht Wenige mögen VW, BMW und Siemens trotzdem und manche haben ja auch bei den Konzernen ihren Arbeitsplatz. Kurz, diese eignen sich nicht so richtig für den Platz 1 auf der Liste der Unholde. Und die Polizisten? Die schon eher! Wenn sie von Autonomen besetzte Häuser räumen, ist das sowieso unverhältnismäßig, weil der Linksextremismus ja eh aufgebauscht ist und die „Welcome to Hell“-Randalen in Hamburg seien von marodierenden Polizisten (Kippling, Die Linke) ausgelöst worden. Also wären alle Voraussetzungen gegeben, die Polizei auf den Platz 1 der Megabösen zu setzen. Aber unsere Bürger sehnen sich zunehmend nach Schutz vor Gewalttätern. Da wagen dann auch schon mal einige Parteien Solidarität mit Polizisten und die Einheitsfront bröckelt. Bleiben also die Landwirte übrig. Sie seien nur auf Maximalgewinne aus, scheren sich weder um die Natur noch um die Gesundheit von Mensch und Tier, vergiften unsere Nahrungsmittel mit Pestiziden und das Grundwasser mit Nitraten. Sie stehen für den Anbau von Monokulturen und den Artenrückgang in der Natur. Sie betreiben eine tierquälerische Tierhaltung und erzeugen die multiresistenten Krankheitserreger. So jedenfalls liest man es. Öffentliche Beschimpfungen des Berufsstandes gibt es auch von hochrangigen Politikern. Das Berufsbild des Landwirtes ist mittlerweile so ruiniert, dass in vielen ländlichen Gebieten kein einziger Jugendlicher mehr diesen früher zu Recht beliebten Beruf ergreifen möchte. Lehrer schlagen Alarm, denn immer mehr Kinder werden gemobbt. In Berlin sind es wieder die Juden, die um ihre Kinder fürchten müssen, auf dem Lande sind es die Landwirte. Kinder von Tierquälern und Umweltsündern mag man nicht!
Was ist dran an den Vorwürfen? Werfen wir einmal einen Blick zurück. Um 1900 lag der Anteil der in der Landwirtschaft Erwerbstätigen bei 38 Prozent, Anfang der 50er Jahre betrug er 24 Prozent. Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts arbeiteten weniger als 2 Prozent in der Landwirtschaft. Ein Landwirt erzeugte um 1900 Produkte, mit denen man 4 Personen versorgen konnte. 1950 ernährte ein Landwirt 10 und 2010 bis zu 131 Personen. Die Landwirtschaft setzte durch ihre Industrialisierung jene Arbeitskräfte frei, die heute Industriegüter erzeugen, forschen und lehren, soziale Dienste ausüben und uns mit Kultur bereichern. Aber jährlich demonstrieren in Berlin (mit der Sympathie der Bevölkerung) unter dem Slogan „Wir haben es satt“ ca. 18.000 Menschen gegen die industrielle Landwirtschaft. Man ignoriert, dass unser Aufstieg in eine Wohlstandsgesellschaft dem Wandel in der Landwirtschaft zu verdanken ist. Wer sollte denn all die Leistungen erbringen, die eine moderne Gesellschaft benötigt, wenn wir Heerscharen von Arbeitskräften auf die Felder schicken müssten? Übrigens: Die Sommer- und Herbstferien wurden erfunden, damit die Kinder auf den Feldern arbeiten konnten - im Sommer zum Jäten, im Herbst zum Ernten. Ich selber habe das alles mitgemacht. Als ich 8 Jahre alt war (1953), war angesagt, nach der Schule Kartoffelkäfer zu sammeln. Für jeden Käfer, der in der „Bürgermeisterei“ unseres Dorfes abgegeben wurde, gab es einen Pfennig. Meine beiden Brüder und ich sammelten knapp 30.000 gefräßige Krabbler (ein 750 ml Glas enthielt ca. 1.000 Käfer). Unsere Eltern kauften von den ca. 300 Mark für jeden von uns je eine Mandoline bzw. ein Akkordeon (alles gebraucht). Die wohlfeile Forderung, die Landwirtschaft möge doch bitteschön die Leistungen von heute erbringen aber nicht industriell sein, ist absurd. Überall fehlen Arbeitskräfte, da gibt es für die Landwirtschaft kaum Luft!
Foodwatch und bestimmte Parteien reden den Konsumenten ein, ihre Lebensmittel wären unnatürlich produziert, voller Antibiotika und Pestizide, also schlicht lebensgefährlich. Aber noch nie waren Lebensmittel so wertvoll und sicher wie heute. Jeder, selbst ein Hartz-IV-Empfänger, kann sich gesund ernähren. Unser Problem ist nicht, dass wir durch Lebensmittel krank würden, sondern, dass wir u. a. durch optimale Ernährung immer älter werden. Aber das ist ein schönes Problem, auch wenn die Rentenkassen ächzen. Was Menschen wirklich krankmacht, sind die Ängste, die Organisationen wie Foodwatch verbreiten. Natürlich gibt es überall dort, wo viele Produzenten an der Herstellung von Gütern beteiligt sind, auch solche, die schlampig oder gar betrügerisch handeln. Daraus resultieren „Lebensmittelskandale“ wie Dioxin in Bioeiern, Nitrofen im Bio-Getreide und die aktuelle Kontamination von Eiern mit Fipronil. Obwohl das alles nicht hinzunehmen ist, gab es in all diesen Fällen nie eine Gefährdung der Verbraucher. Z. B. betrug die Fipronilkonzentration in Eiern 1 Prozent von dem, was gefährlich werden könnte! In einer Zeit, in der die Bevölkerung reichlich Alkohol trinkt, sich Menschen massenhaft höchst bedenkliche Tattoo-Farben unter die Haut applizieren lassen und sogar der Ruf nach Freigabe von Rauschgiften immer stärker wird, vernichten wir viele Millionen Eier, von denen keine Gefahr ausgeht!
Weltweit sterben tausende Menschen an multiresistenten Krankheitserregern (MRE). Die gegen Antibiotika unempfindlichen Keime entstehen ohne Zutun des Menschen, weil naturgegeben Änderungen im Erbgut auftreten. Dort, wo Antibiotika eingesetzt werden, kommt es auslesebedingt zu deren Vermehrung. Das geschieht überall, wo Kranke behandelt werden und auch in der Tierhaltung. Beheben ließe sich das Problem, wenn man aus dem schier unerschöpflichen Reservoir der Natur neue Antibiotika auswählen und diese testen würde. Das kostet Millionen. Bei Erfolg stuft allerdings die Politik solche neuen Medikamente sofort als Reserveantibiotika ein, wodurch sie nur noch gegen MRE eingesetzt werden dürfen. Damit ist der Umsatz so gering, dass für die Hersteller Verluste von vielen Millionen Euro vorprogrammiert wären. Da lassen sie es lieber sein. Die Politik setzt die Marktwirtschaft außer Kraft, ergreift aber für die Lösung der Probleme keine Maßnahmen. Da ist es wohlfeil, die „Massentierhaltung“ zum Sündenbock zu erklären. Aber die Landwirte tragen zu dem Problem nur wenig bei.
Die Landwirtschaft steht in der öffentlichen Wahrnehmung für den Anbau von Monokulturen und eine Verödung der Landschaft. Und da ist auch etwas dran. Agrarkulturen wachsen auf riesigen Flächen. Unkräuter werden sehr erfolgreich bekämpft. Die heutigen Hauptkulturen (außer Raps) bringen keine Blüten hervor, von denen Insekten leben könnten und so nehmen nicht nur Populationen der Insekten, sondern auch die der Singvögel dramatisch ab. Das Jubilieren der Lerchen hört man kaum noch, Kuckucksrufe werden zur Seltenheit und Rebhühner kennt man nur noch aus dem Zoo. Natürlich tragen die Landwirte an der Entwicklung Mitschuld. Ihre Felder sind meist viel zu groß, es gibt zu wenig Feldraine, zu wenig Blühstreifen, Feldwege und Hecken. Aber vergessen wir die Schreibtischtäter nicht! Bis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts bauten die Landwirte eine Vielzahl von Pflanzen an. Es blühten Luzerne, Klee, Süßlupinen, Pferdebohnen, Erbsen, Kartoffeln u. a. m. Die Blüten ernährten Insekten und indirekt auch Vögel. Aber 2004 trat das Energieeinspeisungsgesetz des Jürgen Trittin in Kraft und die Landwirtschaftsministerin Renate Künast pries die Zukunft der Bauern: Sie könnten die "Ölscheichs von morgen" werden … Proteinreiche Futtermittel werden nun vorwiegend importiert, weil Deutschland mittlerweile auf einem Fünftel der landwirtschaftlichen Nutzfläche Energiepflanzen anbaut. Mais und Raps, aber auch Weizen und Zuckerrüben, werden kultiviert, um sie zu Biogas, Biodiesel und E-10-Kraftstoff zu verarbeiten. Das alles ist ethisch sehr fragwürdig! Verwandelt Brachen in blühende Rapsfelder, war die Devise. Da könnten Bienen Honig saugen, Bauern werden zu Ölscheichs und die große Wählergruppe der Autofahrer profitiert ebenfalls. Doch selbst die Blütenmeere der Rapsfelder sind ökologische Einöden und damit Killerpflanzen für bodenbrütende Vögel. Von den Maiswüsten ganz zu schweigen! Interessant ist auch ein anderer Aspekt: Zur Durchsetzung der Energiewende wurde eine Düngeprivilegierung der Biogas-Gülle gegenüber der Tiergülle eingeführt. Sie darf „obenauf“ auf die Tiergülle ausgebracht werden, auch auf Böden, die Nitrat-inkontinent sind und nur geringe Dungmengen vertragen. Kein Wunder, dass es bei der angestrebten Rückführung der Nitratbelastung des Grundwassers keine Fortschritte gibt! Wie schizophren muss man sein, um solche Gesetze zu erlassen und anschließend die Landwirte für daraus resultierende Missstände anzuklagen?
Zurück zum Artenschutz: Dieser ist keinesfalls nur eine Aufgabe der Landwirte. Die Städte haben tausende Hektar Land in ihrer Regie. Sie gestalten Parks, Friedhöfe und Grünanlagen rasenmäherfreundlich und entfernen das so wichtige Unterholz. Der „Englische Rasen“ ist Gestaltungsziel. Schafgarbe, Klee, Malven, Habichtskraut und Wegewarte fallen als „Störfaktoren“ dem „Ordnungssinn“ der Ämter zum Opfer. Wären Stadträte umweltbewusst, würden sie andere Verfahrensweisen durchsetzen! Versagen ist bei vielen Personen des öffentlichen Rechts zu beobachten. Die Sitzkreise der Kirchen diskutieren gern über die „Bewahrung der Schöpfung“, schützen aber ihre Kirchtürme mit Nylonnetzen vor der Besiedlung mit Schleiereulen, Sperlingen und Fledermäusen. Die waren früher dort zu Hause. Das Verschwinden von bäuerlichen Scheunen im Zusammenspiel mit dem Vergittern der Kirchtürme ist ein signifikanter Beitrag zum Artensterben!
Renate Künast kann man für ihre Amtszeit auch eine gute Tat zubilligen. Sie hat das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) ins Leben gerufen. Ebenso wie in der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bewerten hier hochqualifizierte Wissenschaftler auch Agrochemikalien. Sowie aber deren Urteil über eine Chemikalie nicht ins Weltbild des Mainstreamjournalismus passt, wird ihnen Bestechlichkeit vorgeworfen. Sie seien vom teuflischen MONSANTO-Konzern gekauft worden. Ein typisches Beispiel ist der Feldzug gegen Glyphosat. Entgegen den Einschätzungen der Wissenschaftler sei die Chemikalie nicht nur krebserregend, sondern auch umweltschädlich, weil sie alles Grüne abtötet. Aber die Landwirte setzen sie ein, um vor der Aussaat die grüne Pflanzendecke aus Wildkräutern und dem Auswuchs aus ausgefallenen Körnern zu beseitigen. Früher hat man den Acker gepflügt. Das vernichtete nicht nur das Unkraut genauso radikal wie Glyphosat, sondern tötete obendrein Insekten und Amphibien. Glyphosat ermöglicht eine pfluglose Beseitigung der Krautschicht, es sichert das Überleben tierischer Feldbewohner, es wird viel Diesel gespart und das Land wird vor Bodenerosion geschützt. Aber die MONSANTO-Chemikalie sei ein Teufelszeug. Damit der Schrecken groß genug wird, illustrieren Journalisten diese Meldung mit Bildern von Geräten, die angeblich Glyphosat in blühende Rapsfelder spritzen. Das zeigt man im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, in der TAZ, in der Süddeutschen und nahezu allen Leitmedien. Glyphosat ist ein Totalherbizid, das alles abtötet, was grün ist! Natürlich könnte selbst das sprichwörtlich geistig schlichte „Lieschen Müller“ darauf kommen, dass es in der ganzen Welt wohl keinen einzigen Landwirt gibt, der seine Rapsfelder in der Phase bester Entwicklung abtötet. Das tut auch niemand, sondern die Bilder zeigen, wie Landwirte Pilzerkrankungen mit Fungiziden bekämpfen. Aber die Journalisten können darauf bauen, dass die Bevölkerung, vollgepumpt mit Vorurteilen, nicht groß nachdenkt. Begriffe wie „Glyphosat“, übrigens auch „Gentechnik“, sind geeignet, Gehirne auszuschalten.
Aber natürlich ist die Anwendung von Agrochemie tatsächlich ein zweischneidiges Schwert. Trotzdem, bisher geht es ohne chemischen Pflanzenschutz nicht, weder im konventionellen Feldbau noch in der sogenannten Biolandwirtschaft. Insektizide töten hier wie dort nicht nur Schadinsekten sondern auch Nützlinge. Fatal ist, dass eine neue Gruppe von Insektiziden namens „Neonicotinoide“ schlimme Folgen für die Umwelt hatten. Zusammen mit der beschriebenen Verödung der Landschaft führten sie zu einem dramatischen Rückgang der Insektenpopulationen. Die Zusammenhänge wurden lange Zeit nicht erkannt. So etwas geschieht, wenn an den deutschen Universitäten immer mehr Institute für Landwirtschaft abgewickelt werden. Man könnte mittels innovativer Biotechnologie einen Pflanzenschutz entwickeln, der nur die Schädlinge bekämpft aber Nützlinge schont. Bevor die von der „Vierten Gewalt“ unterstützten rotgrünen Parteien das aber zulassen, akzeptieren sie lieber das Aussterben weiterer Insekten und Vogelarten. Als Schuldige stehen ja sowieso schon jetzt die Landwirte fest. Prof. Dr. Reinhard Szibor