Der Preis der Medien

Was wurde in Zeiten des technischen Fortschritts nicht alles „beerdigt“. Aber Totgesagte leben bekanntlich länger. Daher sollten die traditionellen Medien auch nicht ab-, ihre Konzepte jedoch umgeschrieben werden.
Video killed the radio star … In my mind and in my car, we can't rewind we've gone too far” sang die Gruppe „The Buggles“ Anfang der 1980er Jahre und schaffte es mit ihrer Botschaft, in die Geschichte des US-amerikanischen Musiksenders MTV einzugehen – als erster Clip, der beim Sendestart 1981 gespielt wurde. Zurückspulen lässt sich die Zeit sicher nicht und vielleicht sind wir auch schon zu weit gegangen. Aber weder hat das Video den Radio Star umgebracht, noch hat das Fernsehen die Printmedien verdrängt oder das eBook das gedruckte Buch abgelöst. Jede Neuerung, jeder Fortschritt hat in irgendeiner Weise Veränderungen nach sich gezogen. Einen der drastischsten Einschnitte der vergangenen Jahrzehnte brachte für die Medienlandschaft ohne Frage das Internet mit sich.
Rasant vollzieht sich der Wandel, der durch die digitale Revolution ausgelöst wurde. Das Internet ist jedoch nicht einfach eine neue Instanz, die eine alte ablöst. Vielmehr bildet es eine übergeordnete Ebene, über die traditionelle Massenmedien wie Zeitung/Zeitschrift, Fernsehen und Radio konsumiert werden können. „Wir befinden uns seit einer Weile im Umbruch“, sagt Jan Pinseler, Professor für Medienforschung an der Hochschule Magdeburg-Stendal. „Die klassischen Medien, geprägt durch eine professionelle Produktion und ihre Monopolstellung, werden kritischer beäugt, da die neuen Medien Möglichkeiten schaffen, Öffentlichkeit schneller und einfacher herzustellen. Das führt dazu, dass wir schneller an Informationen gelangen. Jeder kann ein Bild hochladen oder seine Meinung posten, die Neuigkeiten – egal wie wertvoll – gehen sofort raus.“ Das führe jedoch dazu, dass eben das fehle, was den Journalismus ausmacht: die Einordnung. „Nachrichten stehen nicht mehr im Kontext, oft kann man die Quelle der Information nicht mehr nachvollziehen, unterschiedliche Sichtweisen und Meinungen fehlen“, so Pinseler. „Das läuft im traditionellen Journalismus auch nicht immer optimal, aber dass sich auf gewissen Plattformen Sichtweisen hochschaukeln, ohne anderen Meinungen eine Chance zu geben – das hat eine neue Qualität erreicht.“
Für den Magdeburger Medienwissenschaftler ist es daher für die Zukunft des Journalismus essentiell, dass ein Fachmann Facebook & Co. durchaus als Möglichkeit nutzt, sich zu informieren. Im Nachgang müssten diese Angaben jedoch gründlich recherchiert und eingeordnet werden. „Die Grundanforderungen an Journalis-ten bleiben also dieselben wie bislang auch: Sie müssen ihr Handwerk beherrschen und brauchen einen kritischen Blick“, sagt Jan Pinseler.
Das alles ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass sich der Weg, mit Informationen zu versorgen, grundlegend geändert hat. Wir warten nicht darauf, dass um 20 Uhr die Tagesschau beginnt oder wir die Zeitung in der Hand halten. Wir wollen Informationen sofort – und erhalten diese in sozialen Medien oder auf den Internetseiten und über Apps der klassischen Medien. So hat sich das Smartphone in kurzer Zeit für viele zum Informationszentrum entwickelt. Der „Digital News Report“ des britischen Reuters Institute, das gemeinsam mit der University of Oxford Daten über die Mediennutzung in mehr als 30 Ländern erhebt, zeigt, dass die Zeit, die Smartphone-Besitzer mit dem Lesen von Nachrichten auf dem Gerät verbringen, stetig steigt. Kurze Texte und Videos spielen dabei vor allem eine Rolle. Die Forscher, die am „Digital News Report“ 2017 gearbeitet haben, machen jedoch auch klar, dass die Befragten soziale Medien nicht unbedingt für glaubwürdig halten, da beispielsweise nicht genug getan wird, um Fiktion von Fakten unterscheiden zu können. 29 Prozent der Befragten gaben sogar an, Nachrichten in sozialen Medien überhaupt nicht zu lesen, da sie eine negative Auswirkung auf ihre Stimmung hätten und unzuverlässig seien.
Auch wenn sich der Hype um soziale Netzwerke wieder relativiert, der Schaden für die traditionellen Medien ist unumkehrbar. Die Anpassung an eine schnelllebigere Zeit wurde verschlafen. Die Tageszeitung oder die Nachrichtensendung im Fernsehen ist nicht mehr dazu da, um Neuigkeiten zu übermitteln, sondern um zu analysieren und Informationen zu vertiefen. Dazu braucht es jedoch eine gewisse Substanz. „Die Zeitung muss mir beispielsweise auch am Nachmittag noch etwas bringen“, meint Jan Pinseler. „Und daher bin ich immer wieder baff, dass Tageszeitungen nichts aus ihrer Monopolstellung machen und mehr in den Lokaljournalismus investieren. Die Zeiten, in denen die Zeitung das Fenster zur Welt war, sind längst vorbei. Sie muss sich darauf konzentrieren, das Fenster zur Region zu sein und muss das auch für junge Leser attraktiv machen.“
Ebenso überholt – wie eine Nachricht von gestern – wirken die statischen Konzepte von Zeitung und Nachrichtensendung. Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport stehen immer auf der gleichen Seite oder werden stets zum gleichen Termin gesendet. Und die Auswahl, was gedruckt oder gesendet wird, lässt es nicht zu, individuelle Interessen zu berücksichtigen … was in einer Welt, in der Informationen ständig digital verfügbar sind und in kurzer Zeit schon wieder an Bedeutung verloren haben, nicht gerade attraktiv wirkt.  
Doch dies ist kein Abgesang auf die Zeitung. Schließlich hat das Video auch nicht den Radio Star getötet. Es wird sie immer geben – die Menschen, die beim Frühstück bedrucktes Papier in den Händen halten wollen … die Wert auf die Haptik legen … die sich auf einen ganz bestimmten Artikel konzentrieren, ohne sich dabei von automatisch abgespielten Clips irritieren oder weiterführenden Links ablenken zu lassen … für die das Lesen der Zeitung oder Zeitschrift Entschleunigung bedeutet … die auf die unkontrollierte Informationsflut im Internet verzichten … die sich eine besondere Geschichte beiseitelegen, um sie später zu lesen. Aber dazu braucht es eben auch diese besonderen Geschichten, die sich vom Alltags-Einerlei abheben. Dessen müssen sich die Medienschaffenden bewusst sein. Ebenso wie der Tatsache, dass die Schar derer, die Medien auf diese Weise konsumieren, kontinuierlich kleiner wird.
Qualität und Unabhängigkeit ist das, was guten Journalismus auszeichnen sollte. Und genau das ist das Problem. „Es wird in Zukunft immer Informationen geben, für die niemand mehr bezahlt, weil sie beispielsweise eine schnellere Verbreitung über das Internet finden“, sagt Jan Pinseler. „Das haben sich die Zeitungen jedoch selbst eingebrockt.“ Jahrelang wurden Nachrichten kostenfrei ins Netz gestellt. Die Ambitionen, Bezahlschranken oder ähnliche Modelle einzuführen, kamen viel zu spät. „Daher muss im Journalismus nun verstärkt auf Informationen gesetzt werden, die nicht überall zu finden sind – und da landen wir wieder beim Lokaljournalismus.“
Nicht nur die schnellere Verbreitung ist ein Aspekt für die Werbeindustrie. Auch die Anzahl der Menschen, die über das Internet erreicht werden kann, und die individuelle Abstimmung, die durch die Bekanntheit des Wohnorts, der Suchabfragen und der bereits besuchten Seiten möglich ist. Und so mussten vor allem Printmedien in den vergangenen Jahren große Anzeigenverluste hinnehmen. Um die Wertschöpfungskette weiterhin aufrecht erhalten zu können, wurden in der Vergangenheit bereits diverse Modelle diskutiert – wie beispielsweise Volksaktien für die Leser, ein öffentlich-rechtliches Zeitungsmodell, auch staatliche Hilfen oder, ähnlich wie in den USA die Non-Profit-News, stiftungsfinanzierter Journalismus.
Es gibt allerdings auch andere, keinesfalls unumstrittene Wege. „Das Unternehmen Axel Springer verlagert sein Geschäft seit Jahren verstärkt ins Netz“, zählt Jan Pinseler als Beispiel auf. Zum Konzern gehören Anzeigen-Portale wie Immonet und Stepstone genauso wie Online-Vermarktungsdienste und eben der Printbereich. „Durch den Umbau entsteht ein Konzern, der alles macht … nebenbei auch Medien“, meint der Professor für Medienforschung und lässt seine Zweifel an diesem Modell erkennen, das keineswegs eine Seltenheit ist. Bereits 2013 verkaufte Don Graham die „Washington Post“, die sich spätes-tens mit „Watergate“ einen Namen gemacht hatte und die sich seit vielen Jahrzehnten in den Händen der Verlegerfamilie Graham befand. Und er verkaufte nicht an irgendwen. Jeff Bezos, Gründer des Internetversandhandels Amazon, ist nun neuer Besitzer der „Washington Post“ und Kritiker sahen den Journalismus als vierte Gewalt im Staat in seiner Unabhängigkeit gefährdet – bislang unbegründet.
Wo der Weg für die Medien in Zukunft hinführt, ist nach wie vor nicht eindeutig absehbar. Auch Jan Pinseler hat darauf nicht „die eine richtige Antwort“. Fest steht: Qualität hat ihren Preis. Die Frage ist nur: Wer soll diesen Preis bezahlen? Tina Heinz

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